Pekings Umgang mit dem Coronavirus: Die Wut in China wächst
In China steigt der Unmut über den Umgang der Behörden mit der Viruskrise. Die Regierung verschiebt den Volkskongress – und findet erste Schuldige.
Schlechte Nachrichten wohl dosiert und streng kontrolliert zu präsentieren, darin hat die chinesische Führung Übung. Am Montag verkündete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua kurz und knapp, dass der Führungskreis des Ständigen Ausschusses der Kommunistischen Partei Chinas es für notwendig halte, den Nationalen Volkskongress auf einen „angemessenen Zeitpunkt“ zu verschieben. Damit könnte das wichtigste politische Treffen im Land vielleicht sogar ausfallen, das seit Mitte 1980 regelmäßig stattfand und auch zur Sars-Zeit im Jahr 2003 nicht abgesagt wurde.
Zwar soll die endgültige Entscheidung in der nächsten Woche bekannt gegeben werden, doch die Begründung, die Xinhua gleich mitlieferte, lässt schon jetzt erahnen, wie diese ausfallen wird: Zang Tiewei, ein Sprecher der Volkskongress-Kommission für legislative Angelegenheiten, sagte gegenüber Xinhua, dass ein Drittel der nationalen Gesetzgeber auch lokale Regierungsbeamte seien, die derzeit daran arbeiten, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus im Land zu stoppen.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte Ende Januar betont, dass die „oberste Priorität im Land“ derzeit die Bekämpfung des neuartigen Coronavirus hätte. Die „South China Morning Post“ berichtete am Dienstagnachmittag von mehr als 73 400 Infizierten und 1873 Toten. Rund 3000 Delegierte kommen jedes Jahr für zwei Sitzungen in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammen – der Plenartagung des Nationalen Volkskongresses und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes. Es ist das größte Scheinparlament der Welt, denn die Abgeordneten sind von der Partei bestimmt und dafür bekannt, die Anträge nur durchzuwinken.
Die mögliche Absage signalisiert einerseits, dass Peking offenbar auch nicht damit rechnet, bis Anfang März die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bekommen. Mit der „Verschiebung“ des Kongresses kann die chinesische Führung vorerst nicht der Welt Stärke und Zusammenhalt durch das Schaulaufen seiner Funktionäre demonstrieren.
Stattdessen steht Staatschef Xi Jinping unter ungewöhnlich hohem Druck. Normalerweise wird schon der kleinste Hauch von Kritik an seiner Person, von der Zensur zeitnah aus den sozialen Medien gelöscht. Doch am Samstag veröffentlichte die chinesische Partei-Zeitschrift „Qiushi“ – „Suche nach Wahrheit“ – eine Rede von Xi, die belegen soll, dass er bereits am 7. Januar, dem Politbüro Anweisungen gegeben habe, wie mit dem Virus umzugehen sei. Obwohl er sich fast zwei Wochen später zum ersten Mal öffentlich dazu äußerte.
Vor einer Woche tauschte die Regierung den Parteichef in Hubei aus
Es könnte ein Versuch sein, die Verantwortlichkeit für das anfängliche Zögern im Kampf gegen den Virus auf die lokalen Behörden und Parteifunktionäre in Wuhan abzuwälzen. Denn nun fragen sich viele Nutzer auf Weibo, Chinas twitterähnlichem Netzwerk, was in der Zeit vom 7 .Januar bis zum 23. Januar, als Wuhan unter Quarantäne gestellt worden ist, unternommen wurde. Die Wut der Bürger über den Umgang der Behörden mit der Coronakrise wächst. „Medizinisches Material ist knapp, die Krankenhäuser sind voller Patienten und viele Infizierte haben keine Chance, die Krankheit diagnostizieren zu lassen“, schrieb der Anti-Korruptions-Aktivist Xu Zhiyong auf Twitter über die Coronavirus-Epidemie. „Es ist ein Chaos.“ Nach Angaben von Amnesty International hat die Polizei ihn inzwischen festgenommen.
Vor einer Woche tauschte Chinas Regierung den Parteichef in der Provinz Hubei und den Provinzgouverneur der elf Millionen Metropole Wuhan, dem Zentrum des Ausbruchs des Coronavirus, aus. Ihnen wurde unter anderem die „Vernachlässigung ihrer Pflichten“ vorgeworfen. Damit reagierte die Führung auch auf die Kritik aus der Öffentlichkeit am Umgang mit Li Wenliang, der am Coronavirus verstorben ist. Der Arzt aus Wuhan hatte als einer von acht Medizinern schon Ende Dezember vor einem „sarsähnlichen Virus“ gewarnt – und war dann von den örtlichen Sicherheitsbehörden zum Schweigen gebracht worden.
Li kämpfte weiter gegen die Krankheit und starb als Märtyrer, der die Probleme der Partei schonungslos offengelegt hatte. Nach dem Bekanntwerden seines Todes mehrten sich die Forderungen nach Meinungs- und Redefreiheit in den sozialen Netzwerken, dann wurden die kritischen Kommentare jeweils innerhalb weniger Stunden gelöscht. Doch solange kein Ende der Krise abzusehen ist, nimmt auch der Druck auf Chinas Führung weiter zu.
Ning Wang