Nationalparks in den USA: Vernachlässigtes Erbe
Zum 100. Geburtstag der US-Nationalparks sieht die Situation düster aus: ungeklärtes Abwasser, Uran-Abbau oder Holzindustrie gefährden die ungewöhnlichen Naturspektakel.
Es gab mal eine Zeit, da genoss der Schutz von Naturwundern bei amerikanischen Präsidenten höchste Priorität. Am 6. Juni 1944, dem Tag der Invasion der Weltkriegs-Alliierten in der Normandie, nahm sich der Präsident Franklin D. Roosevelt Zeit für ein Dokument, mit dem knapp 3000 Quadratkilometer Wildnis in Texas unter Naturschutz gestellt werden sollten. Wenige Tage später wurde der dortige Nationalpark Big Bend offiziell gegründet – einer von inzwischen 59 Nationalparks in den USA.
Einer von Roosevelts Amtsvorgängern, Woodrow Wilson, hatte am 25. August 1916 das Gesetz zur Gründung des National Park Service (NPS) als staatliche Aufseherin für die Parks unterzeichnet. Doch an ihrem hundertsten Geburtstag stehen die Parks vor vielen Problemen, die von gefräßigen Schlangen bis zum Klimawandel reichen.
Rund 300 Millionen Besucher im Jahr ziehen die Parks mit ihren spektakulären Naturwundern auf insgesamt mehr als 200 000 Quadratkilometern an: Der Yellowstone, der Grand Canyon und das Yosemite-Tal im Westen sowie die Everglades in Florida gehören zu den bekanntesten Publikumsmagneten auch für ausländische Touristen in den USA. Der in Kalifornien gelegene Joshua-Tree-Park taucht als pittoresk-wilder Hintergrund in vielen Musikvideos internationaler Künstler auf. Der Autor und Umweltaktivist Wallace Stegner nannte die Parks einmal „die beste Idee, die wir je hatten“.
Es gibt nicht amerikanischeres als Nationalparks
Mit ihrer überwältigenden Natur spielten die Nationalparks lange Zeit eine große Rolle im amerikanischen Selbstbild: „Eine sommerliche Pilgerfahrt zu den großen Parks im Westen war ein Ritual für jede amerikanische Familie“, heißt es auf der Internetseite des NPS. Bären, Wasserfälle, bizarre Felsformationen und unberührte Wälder erinnerten an die wilde, ungezähmte Natur der Pionierzeit. Präsident Roosevelt schwärmte damals, es gebe „nichts Amerikanischeres als unsere Nationalparks“.
Doch die Tage von Roosevelt sind längst vorbei. Nationalpark-Freunde klagen über Geldmangel, Verwahrlosung, Profitgier und andere Gefahren für die Naturreservate. Der NPS verwaltet nicht nur die großen Parks, sondern insgesamt mehr als 400 Schutzgebiete, zu denen auch historische Stätten im ganzen Land wie die Freiheitsstatue in New York gehören. Der Nachrichtensender CNN berichtete zum Geburtstag des NPS von zerfallenden oder zerstörten Gebäuden, verrotteten Telefonleitungen und fehlender Infrastruktur. Im Yosemite-Park könnte sich demnach schon bald ungeklärtes Abwasser ins majestätische Tal ergießen, weil 80 Millionen Dollar zur Reparatur dreier Kläranlagen in der Gegend fehlen.
Insgesamt zwölf Milliarden Dollar wären nötig, um alle Parks und Schutzgebiete in den USA auf Vordermann zu bringen, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender NPR. Eigentlich ein Klacks für die größte Volkswirtschaft der Welt, doch das Geld vom Staat bleibt aus, weil den Politikern anderes wichtiger ist.
Verfallen die Nationalparks?
Die Leitung des Joshua-Tree-Parks zum Beispiel arbeitet mit einem Budget von sechs Millionen Dollar im Jahr – müsste aber eigentlich das Zehnfache für Instandhaltungen ausgeben. Eintrittsgelder und Spenden reichen zur Finanzierung der Deckungslücke bei Weitem nicht aus. „Lassen wir unsere Nationalparks verfallen?“, fragte CNN besorgt.
Nicht nur Geldmangel ist ein Problem. Bergbaubetriebe dringen in die unmittelbare Nähe einiger Parks vor und gefährden das dortige Ökosystem. Der Uran-Abbau in der Umgebung des Grand Canyon soll bereits Teile des Grundwassers in der weltberühmten Schlucht verseucht haben. Auch die Holzindustrie hat ein Auge auf die waldreichen Parks geworfen.
Manchmal erschüttert zudem die außer Kontrolle geratene Natur das Gleichgewicht in den Parks. In den Everglades hat eine eingeschleppte Python-Art die Zahl kleiner Säugetiere im Schutzgebiet um 90 Prozent dezimiert, wie CNN meldete. In einem Park im Bundesstaat Washington haben sich eigens angesiedelte Bergziegen über die Zeit so stark vermehrt, dass sie den Murmeltieren das Futter wegfressen.
Überschwemmungen, Waldbrände, Stürme
Während Probleme mit Schlangen, Bergziegen und verfallenden Monumenten mit mehr Geld und Personal lösbar wären, stehen die Parks der vielleicht größten Herausforderung von allen machtlos gegenüber: Der weltweite Klimawandel lässt in Alaska und Montana die Gletscher schmelzen und sorgt in anderen Parks für Überschwemmungen, Waldbrände und eine Häufung zerstörerischer Stürme. Selbst die immer heftigeren Winden ausgesetzte Freiheitsstatue könnte in Gefahr geraten, sagte Präsident Barack Obama kürzlich.
Im Glacier National Park in Montana sind mehr als einhundert der ursprünglich 150 Gletscher und Eisfelder bereits verschwunden. Bis zum Jahr 2030 werden wahrscheinlich überhaupt keine mehr übrig sein, wie die „New York Times“ meldete. Am hundertsten Geburtstag der stolzen Nationalparks stimmt der Blick in die Zukunft nicht optimistisch.