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Schnurgerade in die Badlands, einer bizarren Felslandschaft, die sich im gleichnamigen Nationalpark in South Dakota auf einer Fläche von der Größe Berlins ausdehnt.
© IMAGO

Mit dem Wohnmobil durch die USA: Und kein Ende der Prärie

Von Seattle zu den Rockies bis nach Chicago – 5000 Kilometer durch den amerikanischen Westen im Planwagen de luxe, dem Wohnmobil.

Byron, Ende 30, aus Louisiana, ist eigentlich selbst so etwas wie der Exot hier. Nicht wegen seines sorgfältig gestutzten Bartes und dem dünnen Zöpfchen, das ist im Land der lustigen Outfits kein Thema. Nein, wegen seines Wohnwagens, einem kleinen, eiförmigen. Und das auf einem Campingplatz, auf dem die meisten mit Mobilen unterwegs sind, die die Dimensionen eines Reisebusses haben. Und nun steht Byron vor uns, fragt: „Seid ihr die Fremden?“, und macht uns klar, dass wir talk oft the town sind.

Kommen nicht viele Fremde nach Garryowen, sagt er wie zur Entschuldigung. Was für ein Dialog. Den kennt man doch nur aus Westernfilmen. Doch das passt ganz gut, denn wenn der Westen noch irgendwo wild ist, dann hier, in diesem Kaff an der Grenze zwischen den US-Staaten Montana und Wyoming.

Garryowen, 348 Einwohner, liegt im Reservat der Crow Indianer und hat nur eine Attraktion: ein Schlachtfeld, auf dem vor gut 140 Jahren eine Kavallerieeinheit unter ihrem Anführer George Armstrong Custer massakriert wurde. Der Ort am Little Bighorn River wurde berühmt in den USA. Im Gelände stehen weiße Steine für Custer und seine Leute, ein Schnauzbärtiger in der Khaki-Uniform der Parkranger erzählt Geschichten, als ob er dabei gewesen wäre. Vor zehn Jahren begann man auch dunkle Steine aufzustellen, für die im Gefecht getöteten Indianer. Darauf bescheinigt man ihnen je nach Stammeszugehörigkeit, sie seien für die Verteidigung des Cheyenne-, Sioux- oder Blackfeet Way of Life gefallen. Sie trugen klangvolle Namen wie „Macht Frauen zu Witwen“, aber auch „Voller Bauch“ oder „Hübsche Beine“.

Die Interstate 90 führt von Seattle nach Boston und ist der längste Highway der USA
Die Interstate 90 führt von Seattle nach Boston und ist der längste Highway der USA
© Austilat

Um internationaler Tourismusmagnet zu werden, reicht das nicht. Was also machen wir hier? Den Sonnenuntergang beobachten, der ist sensationell. Es ist, als ob der Himmel über der schier endlosen Prärie in Flammen stünde. Und außerdem, so erklären wir Byron, sind wir auf der Durchreise, haben uns in den Kopf gesetzt, die USA zu durchqueren. Mehr oder weniger immer entlang der Interstate 90, des längsten Highways in den Vereinigten Staaten. Der reicht von Seattle im Westküsten-Staat Washington bis Boston ganz im Osten. Er führt durch die Rocky Mountains und am Yellowstone Park vorüber, vorbei an den bizarren Felsen der Badlands, am Mount Rushmore und zu den Niagarafällen. Doch Letztere werden wir auf dieser Reise nicht sehen, denn in Chicago wird für uns Schluss sein. Mit allen Umwegen sind das immer noch über 5000 Kilometer.

Man kann diese Route auf vielerlei Weise bewältigen. Mit der Harley zum Beispiel, wie es die meist schon älteren Herren vormachen, die uns zuweilen entgegenkommen. Entspannt zurückgelehnt und vorzugsweise ohne Helm und im Muscle-Shirt. Oder mit dem Auto von Motel zu Motel. Weil 5000 Kilometer aber eine Menge sind, wird man selten länger als zwei Nächte an einem Ort verweilen. Was bedeutet: Der Motelgast lebt aus dem Koffer. Und er wird auf das überschaubare Essensangebot lokaler Diners angewiesen sein. Heißt weiter: Er wird sehr, sehr viele Eier essen mit ziemlich viel Speck. Oder eigenartige Pfannkuchen, die im Mund nicht weniger werden.

Wir haben uns für den anderen Weg entschieden und ein RV gemietet, ein Recreation Vehicle wie der Amerikaner das Wohnmobil nennt, ein Erholungsfahrzeug also. Ein Ding, das mit Camping wenig zu tun hat, sofern man unter Camping ein Mindestmaß an Entbehrung versteht.

Als wir unser Mobil das erste Mal betreten, sind wir beeindruckt. Von der Sitzgruppe, in der man auch zu fünft Platz hätte, von dem Bett, dessen Matratze so hoch ist, dass wir einen Hocker kaufen müssen, damit meine gar nicht so kleine Frau ohne Probleme hineinkommt. Von dem Herd mit drei Flammen und einem Backofen. Von dem Duschbad, wegen dem wir kein einziges Mal auf irgendeinem Campingplatz irgendein Sanitärgebäude aufsuchen mussten. Von dem Abwasserschlauch mit den Maßen eines Feuerwehr-C-Rohres, den man auf dem Platz in ein dafür vorgesehenes Loch im Boden versenkt, wenn man seine Hinterlassenschaft diskret verschwinden lassen will. „Full Hook-up“ nennt der Amerikaner Campingplätze, auf denen man das praktischerweise gleich auf der Parzelle erledigen kann, während Frischwasser unerschöpflich im Wagen im Handumdrehen aus dem Hahn strömt. Hat man kein Full Hook-up, auch kein Problem, zwei bis drei Tage reicht der Vorrat in Tanks und Batterie, um ohne Verbindung zur Außenwelt in der wildesten Wildnis zu stehen, vorausgesetzt der reichlich dimensionierte Kühlschrank ist voll.

Unser Wohnmobil zählt zu den kleineren Modellen

Mal wird vor Klapperschlangen gewarnt, dann wieder vor Grizzly-Bären.
Mal wird vor Klapperschlangen gewarnt, dann wieder vor Grizzly-Bären.
© Austilat

Und das alles, obwohl wir uns für ein Class-C-Modell entschieden haben, rund sieben Meter lang. Das ist so ziemlich das kleinste Modell hier, hat auch keinen slide out, wie man die Kämmerchen nennt, die abends aus der Seite gefahren werden, um das Mobil in ein Einfamilienhaus zu verwandeln. Brauchten wir nicht, obwohl wir zu dritt unterwegs sind, Vater, Mutter und 17-jährige Tochter. Das Mobil verfügt sogar über eine Art Keller im Heck, in dem leicht vier Koffer verschwinden, während die Sachen sämtlichst in Schränken Platz finden.

Class C, 23 Feet, Full Hook-up, das sind Begriffe, die sollte man sich merken. Campingplatzrezeptionisten fragen danach. Außerdem wollen sie wissen, wie viele Amps (sprich: Ämps) man braucht. Gemeint sind Ampere. 30 Amps, antwortet man dann ganz lässig, da fließt der Strom durch ein daumendickes Kabel.

Vor dem ersten Supermarkt kann unser Kleiner seine Vorteile noch nicht ausspielen. Weil man auch mit einem doppelt so großen Mobil leicht einen Parkplatz findet. In Montanas großartigem Glacier Nationalpark auch nicht. Es ist Mitte Juni, und die schönste Straße hinein in den Park tief verschneit. In der kühlen Abendluft sitzen Greg und Sandy vor ihrem Lagerfeuer und gucken auf die schneebedeckten Dreieinhalbtausender im Hintergrund. Die beiden sind den weiten Weg aus Chicago hierhergefahren, um nun festzustellen, dass sie ein wenig zu früh gekommen sind. Macht nichts, dafür haben wir den Platz vor dem Osteingang des Parks fast für uns. „Osteingang“, gibt uns Greg noch mit auf den Weg, „müsst ihr euch merken, hier ist nie so viel Rummel wie auf der anderen, der Westseite.“

Man hat uns geraten, einen Tag vorher auf dem Campingplatz der Wahl anzurufen, ob denn Platz für uns wäre. In Virginia City klappt das nicht. Die Leitung ist ständig besetzt, kein gutes Zeichen. Und so fahren wir ohne große Erwartung in die Hauptstraße des Cowboystädtchens ein, das seine Fassaden aus der Gründerzeit in den 1880er Jahren bemerkenswert gut erhalten hat. Am Ortsausgang behauptet das Navi den Platz gefunden zu haben, von dem freilich keine Spur zu sehen ist. Tatsächlich befindet er sich eine Kurve weiter, die Rezeption ist eine Bretterbude, hinter dem Tresen steht Hank, entschuldigt sich, dass seine Frau immer so lange telefonieren würde und ist begeistert, Gäste aus dem Ausland zu haben. Tatsächlich ist er wohl froh, überhaupt Gäste zu haben, der Platz ist so gut wie leer.

Die Verhältnisse ändern sich erst am Yellowstone River. Der Nationalpark dort ist fast viermal so groß wie das Saarland und damit einer der größten der USA. Er ist auch einer der ältesten und vielleicht einer der schönsten. Hier ragen Berge bis viertausend Meter auf, fräst sich der Yellowstone River durch eine spektakuläre Schlucht, weiden Bisons in den ausgedehnten Prärien, spuckt der Geysir zuverlässig im Stundentakt seine Fontäne in die Luft. Der Park hat nur einen Nachteil: Man hat ihn nie für sich. Einen Übernachtungsplatz finden wir hier nur außerhalb der Parkgrenzen. Im Park gilt first come, first serve, was bedeutet, dass man sich schon mittags um die Unterkunft kümmern müsste. Oder man reserviert ein halbes Jahr vorher.

Im Yellowstonepark führen zwei große Straßen ringförmig durch den Park, beide um die 230 Kilometer lang, eine erschließt den Süden, die andere den Norden. Andere Straßen gibt es nicht. Natürlich kann man auch eine Woche hier wandern, wenn man Zeit hat und sich von der Grizzly-Warnung nicht erschrecken lässt, die einem die Mitnahme eines Bärensprays empfiehlt. Damit soll man das Tier mit dem schönen lateinischen Namen Ursus arctos horribilis angeblich auf Distanz halten können, wenn er aufgerichtet bis zu drei Meter hoch vor einem steht. Wir haben keine Zeit zum wochenlangen Wandern, Bärenspray auch nicht – und doch verlasse ich wider besseren Wissens das Auto, als wir das erste Tier sichten: einen Hirsch. Ich bin nicht der Einzige, der das tut. Muss man sich merken: Tiere stehen todsicher dort, wo der größte Stau am Straßenrand ist. Eine Parkregel lautet: „Nähern Sie sich keinem Wildtier dichter als 25 Meter.“

Bei 24 Meter höre ich meine Frau hinter mir wegfahren. Dabei hat dieser Hirsch ein sehr großes Geweih, und vielleicht bin ich ja doch zu dicht. Warum sie weggefahren ist? Weil sie einen Parkplatz erspäht hat. Das ist nicht leicht im Yellowstone, gut, wenn man ein vergleichsweise kleines Wohnmobil fährt, die Großen drehen frustriert ab.

Man findet im Yellowstone Bisonherden, vielleicht Bären, Hirsche unbedingt. Naturschönheit, so atemberaubend, dass wir gar nicht wüssten, wo wir zum Beispiel Byron hinführen sollten, würde er uns einmal besuchen. Aber keine Einsamkeit. Und nicht dieses Gefühl, wirklich weit weg von zu Hause zu sein. Einsamkeit findet man eher im Gallatin, einem Nationalforst nicht weit vom Yellowstone, wo uns zwei Elche zuschauen, während wir an ihnen vorbeifahren und uns fragen, warum wir nicht hier unseren Wagen abgestellt haben. Oder im Custer State Park, wo uns eine Bisonherde stoppt. Hieß es nicht einmal, ein gewisser Buffalo Bill hätte die ausgerottet?

"Ihr müsst unbedingt Mount Rushmore sehen"

Saloon in Interior, South Dakota, am Tag des WM-Spiels gegen die USA.
Saloon in Interior, South Dakota, am Tag des WM-Spiels gegen die USA.
© Austilat

„Wo wollt ihr denn hin“, fragt an der Tankstelle ein Mann mit Piratentuch um den Kopf. „Nach Chicago.“ – „Ihr müsst unbedingt Mount Rushmore sehen, so etwas Großartiges gibt es nur in Amerika“, ruft er uns zu. Mount Rushmore, vier Präsidentenköpfe, in den 30er Jahren mit viel Dynamit und Pressluftbohrern in die Black Hills gehämmert. Doch die Köpfe sind kleiner als erwartet, kleiner als Cary Grant uns vorgemacht hat, als er in Alfreds Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ da oben rumturnte.

Das wahre Pharaonenwerk befindet sich 15 Kilometer weiter. Genervt vom Hochmut der Weißen gaben die Sioux vor 80 Jahren ein Porträt ihres mythenumwobenen Häuptlings Crazy Horse in Auftrag, des Siegers vom Little Bighorn. Wichtigste Bedingung: Crazy Horse muss größer werden als die Konkurrenz vom Mount Rushmore.

Inzwischen ist der polnische Bildhauer Korcak Ziolkowski auch schon 30 Jahre tot, seine zehn Kinder führen das Werk fort, doch gerade mal das Antlitz des Häuptlings ist fertig, wobei seine unvollendete Haarmähne schon jetzt größer ist als alle vier in den Fels gesprengten Präsidenten zusammen. Gerade wird am Pferd gearbeitet, bis der Häuptling fertig ist, werden wohl noch mindestens 50 Jahre vergehen.

Wurde die Fahrt nie langweilig? Eigentlich nicht. Nicht in Wyoming, wo die spärlich gesäten Abfahrten schon zwanzig Meter neben der Interstate im Ungefähren versanden und man sich fragt, was Leute, die hier runterfahren, eigentlich für ein Ziel haben. Vielleicht mal in Minnesota, wo man den Eindruck gewinnt, gerade durch einen 400 Kilometer breiten Bauernhof zu fahren und man froh ist endlich den Mississippi zu erreichen, der an der Grenze zu Wisconsin für etwas Abwechslung sorgt. Einen besonders schönen Campingplatz hatten wir uns für die Gegend ausgesucht. Doch der ist verschwunden, untergegangen im Fluss, der bei unserer Überfahrt eher einer Seenkette gleicht.

Dafür entschädigt der Platz bei Sheboygan am Ufer des Lake Michigan. Wenn man schon nicht die ganze Strecke bis nach Boston schafft, so hat man doch wenigstens hier den Eindruck, den Ozean erreicht zu haben. Denn ein anderes Ufer ist nicht in Sicht, der Strand gleicht dem an der Ostsee.

Ein letztes Mal Planwagengefühl einschließlich des auf amerikanischen Campingplätzen üblichen Lagerfeuers, ein letztes Bedauern darüber, nicht direkt auf die Skyline Chicagos zufahren zu dürfen. Das ist nicht erlaubt, das Wohnmobil muss vor den Toren abgegeben, die letzte Etappe im Shuttle absolviert werden.

Den müssen wir selbst organisieren, denn alle Wohnmobilverleiher garantieren lediglich den Abtransport zum Flughafen. Weshalb man klugerweise zumindest ein paar Tage zuvor ein Arrangement mit irgendeinem Limousinenservice vereinbart, wenn man vor hat, noch ein paar Tage Großstadt dranzuhängen.

Die Limousine fährt denn auch erstaunlich pünktlich vor, der Fahrer trägt schwarze Sonnenbrille und schwarzen Anzug. Keine Frage, das hier ist nicht mehr der wilde Westen, das ist Chicago!

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