Prozess in Darmstadt: Tugce soll Angeklagten als "Hurensohn" beleidigt haben
Der Freund des Angeklagten Sanel M. spricht im Prozess um Tugce von einer Provokation durch die Studentin. Das Gericht sieht sich mit zwei sehr unterschiedlichen Deutungen der Tatnacht in Offenbach konfrontriert.
Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce hat ein Freund des Angeklagten ausgesagt, die 22-Jährige habe ihren Angreifer kurz vor dem Schlag schwer beleidigt. Sie sei auf dem Parkplatz in Offenbach zwei, drei Meter weit schnell auf Sanel M. zugelaufen, sagte der 18 Jahre alte Zeuge am Freitag vor dem Landgericht Darmstadt. Außerdem habe sie Sanel M. mit den Worten provoziert: „Komm doch her, Du kleiner Hurensohn“. Der 18 Jahre alte Sanel M. habe Tugce daraufhin mit der rechten Hand auf die linke Kopfseite geschlagen. Tugce sei direkt umgefallen. Er habe angenommen, sie sei ohnmächtig.
Der 18-jährige Schüler hatte in der Tatnacht des 15. November mit aller Kraft versucht, den Streit zu schlichten und Sanel M. davon abzuhalten, auf Tugce loszugehen. Als Sanel M. dann doch über die Arme seines Freundes hinweg zuschlug, traf er Tugce mit seiner Ohrfeige im Gesicht. Sein Freund bekam dabei den Oberarm ins Gesicht. „Das war nicht besonders hart“, befand der recht kleine Zeuge, der mit einem weißen Surfer-T-Shirt zur Gerichtsverhandlung erschienen war. „Ich gehe davon aus, dass er sie abschrecken wollte.“
Zeuge schildert Schlag in Tugces Gesicht
Dass Sanel M. nicht mit der Faust, sondern mit der flachen Hand zugeschlagen hat, ist inzwischen unstrittig. Über die Wucht seines Schlages herrscht hingegen noch keine Klarheit. Immerhin fiel Tugce nach der Ohrfeige ohne jede Abwehrreaktion zu Boden und zog sich wohl deshalb beim Aufprall derart schwere Schädelverletzungen zu, dass sie später verstarb. Im Augenblick des Schlages habe er sich zu Tugce umgedreht, schilderte der Freund des Angeklagten: „Ich habe genau gesehen, wie die Hand seitlich das Gesicht und den Kiefer traf.“
Er könne nicht sagen, wer den Streit begonnen habe, sagte der Schüler. Worte wie „Hure“, „Schlampe“, „Pisser“ und „Wichser“ seien sowohl aus der Mädchenclique um Tugce gekommen wie von Sanel M. und seinen Freunden. Genaue Zuordnungen fielen ihm deshalb schwer. „Ich habe aber ganz genau gehört, wie Tugce Sanel unmittelbar vor der Eskalation provoziert hat“, beteuerte der Zeuge. Die Beleidigung „Hurensohn“ habe Sanel M. dazu gebracht, auszurasten. „So aggressiv wie in dieser Nacht habe ich ihn noch nie erlebt“, sagte der 18-Jährige.
„Ganz ruhiger Typ“
Er sei seit acht Jahren mit Sanel befreundet, sie hätten oft Fußball gespielt und sich getroffen. Seinen Freund beschrieb er als „ganz ruhigen Typ“, der irgendwann die falschen Leute kennengelernt habe und dann abgerutscht sei – auch schulisch, vom Gymnasium über die Realschule auf die Hauptschule.
Zwei Stunden lang befragte das Gericht den offenbar besten Freund des Angeklagten, führte ihm auch noch einmal das Video der Überwachungskamera vor. Am Ende merkte der 18-Jährige an, dass Tugces großer Bruder ihn in einer kurzen Pause auf den Gängen des Gerichts als „Hurensohn“ beschimpft habe. Die folgende Aufregung im Gerichtssaal stoppte der Vorsitzende Richter Jens Aßling mit den Worten: „Das werden wir hier jetzt nicht klären.“ Tugces Vater, der wieder zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen die Verhandlung verfolgte, gestattete der Richter nicht, sich zu dem Vorwurf gegen seinen Sohn zu äußern.
Stimmung im Gerichtssaal angespannt bis aggressiv
Zwei der insgesamt vier Freunde von Sanel, die am Freitag vor dem Landgericht Darmstadt aussagten, sagten aus, dass sie sich bedroht fühlten. Auf den Zuschauerrängen des Gerichtssaals und auf dem Flur davor begegnen sich inzwischen immer häufiger Freunde aus beiden Lagern, die im Prozess bereits als Zeugen ausgesagt haben. Die Stimmung schwankte am Freitag zwischen angespannt und aggressiv. „Ich bitte alle hier Anwesenden, von jeglichen Handlungen abzusehen, durch die sich ein anderer bedroht fühlen könnte“, appellierte Richter Aßling.
Nach dem vierten Verhandlungstag und den Aussagen von Sanels Freunden wird immer deutlicher, dass das Gericht mit zwei sehr unterschiedlichen Deutungen der verhängnisvollen Nacht im November des vergangenen Jahres konfrontiert ist. Tugces Freundinnen beschreiben die Gruppe um Sanel M. als aggressiv und beleidigend. Die jungen Männer hätten den Streit ausgelöst und in der Offenbacher McDonald’s-Filiale sowohl sie als auch zwei minderjährige Mädchen auf der Damentoilette belästigt.
Die Freunde von Sanel M. wiederum sprechen von Flirtversuchen, die keinesfalls aufdringlich und belästigend gewesen seien. Auf viele Nachfragen des Vorsitzenden Richters Aßling und der Staatsanwaltschaft antworten sie: „Das habe ich so nicht gehört.“ Oder: „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“ Ihre Aussagen belasten den Angeklagten mit keinem Wort.
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