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Der Tugce-Prozess wurde am Montag, den 4. 5. 2015 fortgesetzt. Sanel M. steht wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht. Er soll der 22-jährigen Tugce im November vergangenen Jahres auf dem Parkplatz des Restaurants so heftig ins Gesicht geschlagen haben, dass sie stürzte, mit dem Kopf hart aufschlug und später starb.
© dpa

Prozess in Darmstadt: Freund des Angeklagten: Tugce hat den Streit ausgelöst

Im Tugce-Prozess weist ein Freund des Angeklagten der getöteten Studentin und ihren Freundinnen eine aktivere Rolle zu. Tugces Freundinnen verstricken sich derweil in Widersprüche.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce häufen sich die Widersprüche. Am Montag sagten erstmals zwei Freunde des Angeklagten Sanel M. aus. Darunter war ein 19-jähriger Abiturient, der in der Tatnacht das Auto gefahren hatte, mit dem Sanel M. nach seinem Schlag den Parkplatz der Offenbacher McDonald’s-Filiale fluchtartig verließ. Im Gerichtssaal des Darmstädter Langerichts beschrieb der Zeuge den Verlauf des Streits ganz anders, als es Tugces Freundinnen an den ersten beiden Verhandlungstagen getan hatten. Ein gemeinsamer Freund von ihm und Sanel M. hätte Tugce und ihre Freundin angeflirtet, als diese das Restaurant betreten hätten. „Am Anfang ist alles friedlich gewesen“, erklärte der junge Mann mit selbstsicherer und ruhiger Art. Aufdringlich sei niemand gewesen. Falsch sei die Behauptung, dass er, Sanel M. und ein weiterer Freund zwei minderjährige Mädchen in der Damentoilette des Schnellrestaurants belästigt hätten.

Der Vorsitzende Richter Jens Aßling konfrontierte den Zeugen daraufhin mit den Aussagen der beiden Mädchen: „Jemand von ihnen soll einem der Mädchen einen Strauß Blumen weggenommen, ihn in den Handtrockner gesteckt und dann gesagt haben: Wenn ihr mit zu uns nach Hause kommt, schenken wir euch einen neuen.“ Der 19-Jährige widersprach dieser Darstellung und meinte, es habe sich lediglich um Smalltalk gehandelt. Tugce, die offenbar den Mädchen zur Hilfe eilen wollte, hätte mit den Worten „Verpisst euch“ den Streit überhaupt erst ausgelöst.

Sanel M. habe in der Tatnacht des 15. November seinen 18. Geburtstag nachgefeiert und sei stark betrunken gewesen, „aber eigentlich gut drauf“, erinnerte sich der Zeuge. Beleidigungen seien nach der Szene auf der Damentoilette zwischen Sanel M. und seinen Freunden sowie Tugce und ihren Freundinnen hin und her geflogen. Um keine Eskalation zu riskieren, hätte er Sanel M. zu seinem Auto gebracht, erklärte der Zeuge. Als die Gruppe um Tugce dann aber Sanel M.s „Familie von A bis Z beleidigt“ habe, sei dieser aggressiv geworden und zurückgeeilt und habe Tugce eine Ohrfeige gegeben.

Insgesamt schrieb der Freund des Angeklagten Tugce und ihren Freundinnen eine deutlich aktivere Rolle im Streit zu, als die Freundinnen das in ihren Aussagen vor Gericht geschildert hatten. Einige hätten im Verlauf der Auseinandersetzung zum Beispiel gespuckt.

Ein zweiter Freund des Angeklagten konnte sich in seiner Aussage kaum an den Ablauf der Tatnacht erinnern und sorgte mit seinen verwirrenden Schilderungen vom Hörensagen beim Vorsitzenden Richter, der Staatsanwaltschaft und den Anwälten für Stirnrunzeln und Kopfschütteln.

Am Morgen hatte Tugces beste Freundin ausgesagt. Die 21-jährige Studentin gestand, ihre Erinnerungen an die Tatnacht hätten sich inzwischen mit Informationen aus den Medien und Schilderungen von Freundinnen vermischt. „Ab der Situation auf dem Parkplatz ist meine Erinnerung sehr verschwommen“, schilderte die junge Frau. Tugces Freundin bestätigte die Aussage früherer Zeuginnen, wonach Sanel M. Tugce schon im Restaurant gedroht hatte, als Tugce zwei Mädchen vor der vermeintlichen Belästigung durch Sanel M. und zwei Freunde beschützen wollte. „Du wirst noch sehen“, habe Sanel angekündigt. „Sein Blick war so böse, dass ich ihn gar nicht beschreiben kann“, sagte sie.

Die 21-Jährige gestand, dass sie schon im Dezember in der Vernehmung bei der Polizei eigene Erinnerungen und Informationen von anderen vermischt hatte und Dinge ausgesagt hatte, die sie selbst gar nicht gesehen hatte – zum Beispiel Sanel M.s verhängnisvollen Schlag. „Ich glaube, ich bin die Verwirrteste von allen“, entschuldigte sich Tugces Freundin beim Vorsitzenden Richter.

Zwei weitere von Tugces Freundinnen, die als Zeuginnen aussagten, verstrickten sich ebenfalls in Widersprüche. Eine schilderte etwa, wie sie den hasserfüllten Blick von Sanel M. unmittelbar nach der Auseinandersetzung auf der Damentoilette gesehen habe. In der Vernehmung bei der Polizei hatte sie noch ausgesagt, sie habe Sanel M. später auf dem Parkplatz zum ersten Mal überhaupt gesehen.

Ob das Gericht diese und andere Aussagen allerdings als belastbare Beweise verwerten mag, ist fraglich. Macit Karaahmetoglu, der Nebenklageanwalt von Tugces Bruder, war bemüht, die Widersprüche zu relativieren: „Ich denke, das Kerngeschehen ist unstrittig.“ Das Gericht werde in der Lage sein, verwertbare Indizien herauszufiltern. Einen Aufschluss über die Verletzungen, denen Tugce erlag, gaben am Montag zwei Rettungssanitäter und zwei Ärzte aus der Notaufnahme des Offenbacher Klinikums. Demnach starb Tugce an schweren Hirnschäden, die durch eine Schädelfraktur und starke Hirnblutungen ausgelöst wurden.

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