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Kate Bingham hat den Vorsprung der Briten bei den Impfungen ermöglicht.
© ddp/News Licensing

„Der aufregendste Job der Welt“: Sie ist verantwortlich für Großbritanniens erfolgreiches Impfprogramm

Großbritannien hat das Corona-Chaos hinter sich gelassen, geimpft wird so schnell wie fast nirgendwo. Kate Bingham hat das Fundament dafür geschaffen.

Verheerende Fehlentscheidungen – Missachtung der Warnungen von Wissenschaftlern, später Lockdown, unkontrollierte Grenzen, mangelhafter Schutz von Alten- und Pflegeheimen und keine effiziente Rückverfolgung von Kontaktinfizierten – Großbritannien wirkte in seinem Kampf gegen die Pandemie lange unkoordiniert und erfolglos. Die fehlende Strategie trug dazu bei, dass die Insel mehr als 130.000 Coronatote zu beklagen hat – die schlimmste Rate im Vergleich zu anderen großen Industriestaaten.

Diese Woche erinnerte ein Auftritt im Unterhaus die Briten an die schlimmsten Momente des Coronajahres. Zu Gast im Wissenschaftsausschuss war die Symbolfigur der Brexitregierung – Premier Boris Johnsons einstiger Chefberater Dominic Cummings.

Der Vordenker der „Vote Leave“-Bewegung war wie kaum ein anderer dafür verantwortlich, dass sein Chef Anfang 2020 alle Routiniers aus dem Kabinett feuerte – einer der Gründe, warum die britische Regierung im Kampf gegen Sars-CoV-2 zunächst hilflos, ja amateurhaft wirkte. Die Einlassungen Cummings im Unterhaus ließen klare Rückschlüsse darauf zu, wie die Fundamente für das nun so phänomenal erfolgreiche Impfprogramm gelegt wurden, mit dem das Vereinigte Königreich seit Wochen die Welt beeindruckt. Symbolisch und als Gegenpol zu Cummings steht dafür Kate Bingham.

Boris Johnson bei der Corona-Impfung.
Boris Johnson bei der Corona-Impfung.
© Frank Augstein/dpa

„Traue ich mir das zu?“

Bei der erfahrenen Wagniskapital-Bankerin meldete sich im vergangenen Frühjahr der von schwerer Covid-Erkrankung genesene Premierminister. Er, vielmehr das Land brauche sie als Leiterin einer Taskforce für den Ankauf von Impfstoffen, soll Johnson gesagt haben. Bingham zögerte, wie sie später der BBC anvertraute: „Traue ich mir das zu?“

[Lesen Sie auch: EU droht Briten mit Exportverbot für Vakzine]

Das deutet auf herzerfrischende Bescheidenheit, jedenfalls aber auf beinahe rührende Naivität hin. Denn wer wäre besser qualifiziert gewesen, die wissenschaftliche Gründlichkeit und gleichzeitig die kommerzielle Gewandtheit eines zukünftigen Impfproduzenten zu beurteilen?

Studium in Oxford und Harvard

Seit ihrem Biochemie-Studium in Oxford (Note Eins) und einem MBA in Harvard arbeitete die älteste Tochter des früheren höchsten Richters des Landes, Lord Thomas Bingham, an dieser Schnittstelle, seit 1991 bei Schroder Ventures, heute SV Health Investments. Als Managing Partner betreute sie dort den Biotechnik-Sektor, investierte in junge Start-ups, deren Medikamente medizinische Fortschritte versprachen.

„Mein Leben besteht daraus zu fragen: Welche tollen Ideen gibt es, und wie können wir sie in Medikamente umsetzen, die den Patienten weiterhelfen? Es ist der aufregendste Job der Welt“, hat die Bankerin in der „Times" geschwärmt.

Längst gehörte die Mutter dreier erwachsener Kinder und Hobby-Oboistin dem Aufsichtsrat des weltberühmten Crick-Instituts an, diente als Mitglied des Regierungsgremiums zur Förderung von Life Science-Unternehmen. Boris Johnsons wissenschaftlichem Chefberater Patrick Vallance war die schnellsprechende Expertin also wohlbekannt, als er dem Chef den Anruf bei Bingham empfahl.

Diesem dürfte die nach eigenen Angaben unpolitische Spitzenmanagerin in anderer Hinsicht ein Begriff gewesen sein. Nämlich als Frau des klugen Tory-Abgeordneten und Finanzstaatssekretär Jesse Norman.

Zusage für sechs Monate

Binghams Entscheidung für eine Zusage zur Abordnung für sechs Monate – ohne jede Vergütung – beruhte auf der Zusage des direkten Zugangs zum Premierminister und möglichst wenig Bürokratie: „Wenn sie 58 Leute einkopieren müssen, werden keine schnellen Entscheidungen getroffen.“ Genau diese aber waren nötig, um dem Land möglichst guten Zugang zu möglichst vielen Impfdosen zu sichern.

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Von Anfang an behielt Binghams Team nicht nur die Impfstoff-Forschung, sondern auch die anschließende industrielle Fertigung der Medikamente im Auge. Dafür wurden die Wissenschaftler an der Uni Oxford und die beteiligten Firmen, vor allem Astrazeneca, großzügig subventioniert und mit ihnen garantierte Abnahmemengen vereinbart. Auch galt für ihre Impfstoffe nicht die sonst übliche Produkthaftung.

357 Millionen Dosen gesichert

Biontech/Pfizer erhielt einen Auftrag über 40 Millionen Dosen, bei Astrazeneca orderte Bingham sogar 100 Millionen. Als dritter Impfstoff ist mittlerweile auch das Präparat der US-Firma Moderna freigegeben, vom Frühjahr an erwarten die Briten von dort weitere 17 Millionen Dosen.

Mit der deutschen Firma Curevac ist der Kauf von zusätzlichen 50Millionen Dosen vereinbart, falls sich deren Wirkstoff in den klinischen Versuchen als geeignet erweist. Insgesamt schloss das Team um Bingham Verträge über potenziell 357 Millionen Dosen und damit fünfmal so viel wie die derzeitige Bevölkerung des Landes (66 Millionen). Dabei habe der Preis für die Vakzine eine wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle gespielt, berichtete die Bankerin der deutschen „Welt“.

Datenbank entscheidend

Als wesentlich für das Gelingen ihrer Aufgabe identifizierte Bingham die Einrichtung einer Datenbank, mit der das Nationale Gesundheitssystem NHS rasch bis zu 400.000 Freiwillige aller Altersstufen für Medikamentenforschung zusammentrommeln kann. Dies ermöglichte den Unternehmen die Beschleunigung der wichtigen klinischen Versuchsreihen, auf denen wiederum die rasche Zulassung durch die Arzneimittelbehörde MHRA beruhte.

Inzwischen sind auf der Insel mehr als 25 Millionen Menschen über 50 Jahre mindestens einmal gegen Sars-CoV-2 geimpft, dieser Tage ist es auch beim 56-jährigen Premier so weit.

Dessen früherer Chefberater Cummings, 49, wird sich noch ein wenig gedulden müssen: Ende des Monats – wenn seine Altersgruppe eigentlich an der Reihe wäre – könnte es auch auf der Insel zu ernsten, wenn auch lediglich vorübergehenden Versorgungsschwierigkeiten kommen.

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