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Die Wege in der Stadt sind fast überall auf Autos ausgerichtet – ein Anachronismus.
© Christian Charisius/dpa/dpa

Streitgespräch über Pop-up-Radwege: „Nimmt man Autos eine Spur weg, ist diese nicht verloren“

Pkw-Fahrer, Radler und Fußgänger – alle leiden unter dem Verkehrskollaps der Metropolen. Der ADFC will städtischen Raum neu verteilen. Ein Streitgespräch.

Rebecca Peters ist stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club). Sie studiert nachhaltige Stadtentwicklung und Verkehrsgeographie.

Bernd Petelkau sitzt seit 2017 für die CDU als Abgeordneter im Landtag von NRW. Der 55-Jährige ist auch Vorsitzender des CSU-Stadtverbandes und der CDU-Fraktion im Stadtrat Köln.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Pop-up-Radwege, kurzfristig abgeklebte Spuren für Radfahrer, als unzulässig bezeichnet. Köln hatte als eine der ersten Städte Pop-up-Radwege von vornherein ausgeschlossen. Fühlen Sie sich bestätigt?

Bernd Petelkau: Zumindest zeigt uns das Berliner Urteil, dass die Kölner Strategie des nachhaltigen Ausbaus besser funktioniert als Berliner Aktionismus. Wir haben das Thema Pop-up-Fahrradwege in Köln intensiv diskutiert, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass der Ausbau des Radwegenetzes einige Zeit und gute Planung braucht – keine Schnellschüsse.

Rebecca Peters: Aber seit Ausbruch der Corona-Pandemie müssen wir doch noch schneller als ohnehin schon neue Infrastruktur schaffen. Zählstationen, die durch Lichtschranken Fahrradfahrer erfassen, haben in den vergangenen Monaten Zuwächse von bis zu 100 Prozent verzeichnet. Und wer möchte schon gerne im Herbst, wenn die Infektionszahlen wieder steigen, in einem vollen Bus sitzen?

Petelkau: Schnelligkeit ist gut – aber Gründlichkeit auch. Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln, ich kann nur für NRW sprechen. Wir hatten immer die Möglichkeit einer Klage gegen Pop-up- Radwege im Hinterkopf – und einen Ausgang, wie man ihn jetzt in Berlin gesehen hat.

Peters: Hamburg hat gehandelt und gerade seinen ersten großen Pop-up-Fahrradweg eingeweiht. Berlin hatte vierzehn! Acht davon sollen jetzt, nebenbei gesagt auf Antrag eines AfD-Politikers, wieder abgebaut werden. Die Senatsverwaltung hat sofort angekündigt, dagegen Beschwerde einzulegen und kämpft um die Errungenschaft der Pop-up-Fahrradwege. Die wurden in dem Eilentscheid wohlgemerkt auch nicht generell für unzulässig erklärt. Das Gericht hat lediglich beanstandet, dass ihre Einrichtung nicht hinreichend begründet war. Das lässt sich doch nachbessern. In Köln dagegen: wird nur gesprochen.

Bernd Petelkau (CDU) ist Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen und Fraktionsvorsitzender im Kölner Stadtrat.
Bernd Petelkau (CDU) ist Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen und Fraktionsvorsitzender im Kölner Stadtrat.
© promo

Frau Peters, geht es bei Pop-up-Radwegen nicht in Wahrheit darum, den Straßenraum in einer Art Guerilla-Taktik neu zu verteilen, Fahrradfahrern und Fußgängern also auf Kosten von Autofahrern mehr Platz zu geben?

Peters: Pop-up-Radwege beschleunigen nur, was in Zukunft ohnehin notwendig wird: Den Raum in der Stadt neu und anders zu verteilen. Wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, dass im Straßenverkehr das Gros der Fläche an Autofahrer geht und die anderen sich die Restflächen teilen. Es muss beispielsweise der Begegnungsverkehr zwischen Rollstuhl und Rollstuhl oder Rollstuhl und Kinderwagen möglich sein. Das ist auf geteilten, schmalen Gehwegen nicht möglich – vor allem, wenn darauf auch noch Radfahrer unterwegs sind.

Petelkau: Wir haben ein Radwegekonzept, das wir umsetzen wollen. Gerade als Kommunalpolitiker wissen wir aber, wie emotional um die Verteilung des Platzes in der Stadt gerungen wird. Dass es Klagen gegen Pop-up-Wege geben würde, hat mich nicht überrascht. Deshalb setzen wir lieber auf langfristige Veränderungen.

Peters: In Berlin hat man sich die Pop-up-Spuren nicht einfach ausgedacht. Das waren Strecken, auf denen bereits Radwege geplant waren. Während der Pandemie wurde lediglich die Umsetzung beschleunigt.

Petelkau: Berlin hat ganz andere Voraussetzungen als andere Städte, breitere Straßen zum Beispiel. Berlin ist außerdem ein Bundesland und kann Baumaßnahmen schneller umsetzen. Wir müssen als Kommune europaweit Ausschreibungen machen. Generell, Frau Peters, muss es doch darum gehen, die Menschen überhaupt mobil zu halten. In Köln war der ÖPNV schon vor der Pandemie an seiner Kapazitätsgrenze. Deswegen müssen wir die S- Bahn ausbauen. Das ist besonders für Pendler wichtig, die oft 25 Kilometer bis in die Stadt fahren müssen. Denen ist mit Pop-up-Fahrradwegen nicht geholfen.

Peters: Und wenn die Menschen wegen der Pandemie den ÖPNV weniger nutzen, was dann? Wenn immer mehr Leute auf ihren privaten Pkw zurückgreifen, droht der Kollaps.

Petelkau: Die Fahrgastzahlen im ÖPNV steigen doch schon wieder. Aus meiner Sicht muss die Frage deshalb jetzt sein, wie wir die Standards im ÖPNV so heben, dass sich Menschen dort wohlfühlen. Das bedeutet zum Beispiel, intensiv für das Maskentragen in Bussen und Bahnen zu werben – anstatt fürs Ausweichen auf Fahrrad und Auto.

Peters: Masken allein reichen nicht. Ohne eine Qualitäts-Infrastruktur für den Radverkehr werden wir die Entwicklung nicht abfedern können.

Petelkau: Einverstanden, wir brauchen mehr Fahrrad-Infrastruktur. Aber für manche Radfahrer, ältere Menschen zum Beispiel, können schon kürzere Distanzen um die fünf Kilometer ein Hindernis sein. Deshalb ist es wichtig, auch von den Außenbezirken aus bessere Fahrradwege zu bauen. Das geht aber nur mit gründlicher Planung.

Rebecca Peters ist stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC.
Rebecca Peters ist stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC.
© ADFC

Bleibt die Frage: Muss man Autofahrern ein paar Spuren nehmen und Sie den Radfahrern geben?

Peters: Wenn man Autos eine Spur wegnimmt, ist diese Spur ja nicht verloren. Darauf läuft dann der Radverkehr. In vielen Städten – nicht nur in Deutschland, sondern global – beobachten wir doch: Wo Infrastruktur gesät wird, wird Verkehr geerntet. Wenn ich also einen komfortablen, gut asphaltierten Radweg baue, den ich mit dem Lastenrad, mit dem Hänger, mit dem Rennrad, als Kind oder als 80-Jährige nutzen kann, dann nutzen Menschen ihr Fahrrad dort gerne. Auf einmal können sie statt auf Nebenstraßen auf der Hauptroute fahren, die bisher zu eng oder zu gefährlich war.

Petelkau: Wir haben insoweit keinen Widerspruch, wenn wir sagen, wir brauchen einen Ausbau des ÖPNV und der Radwege. Die Frage ist bloß, ob wir mit kurzfristigen Umwandlungen mehr Radverkehr erzeugen oder nicht. Ich glaube, das adäquateste Mittel ist, die Städte mittelfristig so umzubauen, dass ein dauerhaftes Umsteigen auch funktioniert. Dazu gehört zum Beispiel auch, das Parken auf der Straße in der Innenstadt schrittweise einzuschränken und Autofahrer in die Tiefgaragen und Parkhäuser zu zwingen. Eine Schwierigkeit sehe ich aber darin, in Spitzenzeiten den Autoverkehr quasi auf null zu bringen. Bisher können noch nicht alle auf das Fahrrad und den ÖPNV umsteigen, weil wir in der Versorgung mit Bus und Bahn noch nicht da sind, wo wir im Jahr 2020 stehen müssten.

Peters: Aber für Menschen auf den kurzen Distanzen attraktiv, schnell und kurzfristig Angebote schaffen über Pop-up- Radwege möchten Sie auch nicht?

Petelkau: Nein. Als Kommunalpolitiker erlebe ich jeden Tag, wie emotional um die Verteilung des Straßenraums gestritten wird. Dass da jemand vor Gericht Einspruch gegen Pop-up-Wege einlegen würde, war absehbar. Insofern war das bei uns eine rein fachliche, keine Ideologie-getriebene Entscheidung.

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Würden sie sagen, dass es ideologisch getriebene Politik ist, den Autoverkehr wegen des Klimas einzuschränken zu wollen? In Berlin haben Unternehmensverbände das Gerichtsurteil gegen die Pop-up-Fahrradwege begrüßt, weil diese der Wirtschaft geschadet hätten.

Petelkau: Nein, das meine ich nicht. Wir können nur nicht quasi über Nacht ein komplettes Radwegenetz umsetzen, mit kurzfristigen Pop-Up-Radwegen, von denen ich noch nicht einmal weiß, ob ich sie am Ende wirklich brauche.

Peters: So wie es ist, kann es nicht weitergehen. Mit Abwarten und Rumdiskutieren wie in Köln ist es nicht getan. Mit Blick auf die globale Klimakrise brauchen wir eine Verkehrswende, und dafür brauchen wir drastische Einschnitte. Das heißt auch, dem Autoverkehr eine Spur zu nehmen, Parkplätze zu streichen und dort vielleicht Sitzgelegenheiten oder Cafés einzurichten. Es ist einiges möglich – wenn man möchte.

Petelkau: Das funktioniert doch nicht, indem wir einfach ein paar Schilder aufstellen. Uns fehlen ebenso viele breite Straßen, wie Berlin sie hat. Das ist übrigens nicht nur ein Problem für Köln, sondern für die meisten kleinen und mittelgroßen Städte.

Peters: Das stimmt, das ist kein spezifisches Kölner Problem. Schuld daran ist die autozentrierte Politik der 1970er Jahre. Mittlerweile stehen unsere Städte vor dem Kollaps. Trotzdem höre ich ständig Ausreden – in jeder Stadt, egal, mit wem ich spreche. Wenn es in Köln schon einen Plan für den Radwegeausbau gibt, warum werden dann bestimmte Strecken nicht kurzfristig als Pop-up-Radwege umgesetzt?

Wenn das Wetter im Herbst fahrradunfreundlicher wird und Menschen wegen des Ansteckungsrisikos nicht mit Bus und Bahn fahren wollen – bräuchte man dann nicht mehr Autospuren, um Staus zu vermeiden?

Peters: Es gibt kein falsches Wetter, um Rad zu fahren. Im Winter ist der entscheidende Faktor ®der Arbeitsplatz: Wenn man dort duschen und sich umziehen kann, ist das auch bei Regen und im Winter kein Problem. Im Winter wieder auf das Auto umzusteigen, wäre fatal. Dann wären alle positiven Effekte aus dem Sommer, vor allem für das Klima, hinfällig.

Petelkau: Unsere Ziele liegen gar nicht so weit auseinander. Es ist alternativlos, ÖPNV und Fahrradwege auszubauen. Wer glaubt, in der Stadt noch alles mit dem Auto erledigen zu können, lebt nicht im 21. Jahrhundert.

Peters: Über den Weg dahin bleiben wir uns aber uneinig.

Carolin Rückl, Christoph Twickel

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