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Ein Fahrrad-Piktogramm auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße.
© imago images / Klaus Martin Höfer

Verkehrspolitik in Berlin: Die Genossen geben Gas

Die Berliner SPD eröffnet den verkehrspolitischen Wahlkampf – in der Hoffnung, den Grünen damit Wähler wegzunehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stefan Jacobs

Berlin im Dezember 2016: SPD, Linke und Grüne unterschreiben einen Koalitionsvertrag mit verkehrspolitischen Zielen: „Vorrang für den Umweltverbund bedeutet auch Umverteilung des Straßenraums zugunsten des ÖPNV, des Rad- und Fußverkehrs. Die Koalition will den Straßenraum gerechter nutzen und noch mehr lebenswerte Straßen und Plätze schaffen.“ Eine verbindliche Leitlinie für neue Stadtquartiere sieht „innovative Mobilitätskonzepte und verkehrsberuhigte Gestaltung“ vor.

Eine „umfassende Machbarkeitsstudie“ soll „die Einführung einer Nahverkehrsabgabe/Infrastrukturabgabe“ sowie „die Einführung einer solidarischen Umlagefinanzierung im ÖPNV“ untersuchen. Man wolle „den Ausbau der Straßenbahn vorantreiben“. Ein Ausbau der U-Bahn wird nicht erwähnt.

Berlin im September 2020: Ein von der grün geführten Verkehrsverwaltung erarbeitetes Klimapaket wird von den SPD-Ressorts zunächst mitgezeichnet, aber dann von Regierungschef Michael Müller (SPD) im Senat abgeräumt.

Tage später verteilt die SPD-Fraktionsspitze ein Papier, in dem „die Planung von Stadtquartieren generell ohne eigenen Pkw“ ebenso abgelehnt wird wie eine „Zwangsabgabe BVG“ – die im Klimapaket als Option steht; also gemäß Koalitionsvereinbarung. Und die Genossen monieren, „dass der Ausbau der U-Bahn auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wird“. Massiv erhöhte Parkgebühren – Inbegriff einer gerechteren Nutzung des Straßenraums – werden strikt abgelehnt.

Ein Jahr vor dem Termin hat die SPD damit den Wahlkampf eröffnet – und sich als Hauptgegner die Grünen vorgenommen und als Hauptthema deren Art, den Verkehr in Berlin neu zu organisieren. Schon der erste Satz signalisiert, dass die Genossen auf Krawall aus sind: „Die Zeiten, in denen Mobilität einer vermögenden Oberschicht vorbehalten war, sind lange vorbei – sollte man denken.“ Tenor: Wir machen keine grüne Parteipolitik.

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Durchbrüche in Sachen Verkehr sind nach dieser Show bis zur Wahl eher nicht mehr zu erwarten. Die SPD signalisiert, dass sie an die von ihr viel besungenen „kleinen Leute“ denkt – woran die oft city- und fahrradfixierten Grünen in der Tat gelegentlich zweifeln lassen. Ob das der SPD nützt, ist eine andere Frage. Denn zum einen zeigt sie, dass sie 2016 entweder schlecht verhandelt oder schlecht aufgepasst hat. Zum anderen signalisiert sie, dass sie am Status Quo der Autodominanz festhalten will. Wer darauf Wert legt, kann allerdings mit der CDU das konservative Original wählen.

Benzinpreise und BVG-Ticketpreise driften auseinander

Zugegeben: Die SPD fordert auch billigere BVG-Tickets. Aber sie sagt nicht, wo das Geld dafür herkommen soll. Und sie verschweigt, dass sich der Benzinpreis auf dem Niveau von 2005 befindet, während der für ein BVG-Ticket zurzeit 40 und bald wohl 50 Prozent darüber liegt. Die Anwohnerparkvignette kostet deshalb 10,20 Euro im Jahr, weil das den bei der Währungsunion vor 19 Jahren umgerechneten 20 D-Mark entspricht.

Der Wert der Fläche, die das Auto belegt, hat sich je nach Kiez locker verzehnfacht. Das ineffizienteste und klimaschädlichste Stadtverkehrsmittel hat es also angesichts der Rahmenbedingungen – Rekorddürre durch Klimawandel, Hunderttausende lärmgeplagte Anwohner, nachgewiesene Gesundheitsschäden durch Feinstaub und Stickoxide, immer knapperer Platz, Bewegungsmangel als Volkskrankheit, fehlende Freiräume für Kinder – ziemlich gemütlich.

Zugleich scheitert die grüne Verwaltung bei einer Innovation wie den Pop-up-Radwegen an einer makabren juristischen Logik: Der vom Gericht geforderte Gefahrennachweis wird gewöhnlich in Form von Unfällen mit Personenschaden erbracht. Der Fakt, dass potentielle Radfahrer lieber das Auto nehmen, als selbst unter die Räder zu kommen, ist schwer nachweisbar.

Wenn also die SPD den „kleinen Leuten“ etwas Gutes tun will, könnte sie helfen, ihnen sichere Freiräume außerhalb ihrer Wohnungen zu schaffen. Die sind theoretisch vorhanden – aber praktisch steht oder fährt meist ein Auto darauf.

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