Ebola-Epidemie breitet sich weiter aus: Liberia ruft Ausnahmezustand aus
In Westafrika bleibt Ebola eine tödliche Gefahr. Das besonders betroffene Liberia hat nun den Ausnahmezustand ausgerufen. US-Präsident Obama dämpfte unterdessen die Hoffnungen auf einen schnellen Einsatz eines experimentellen Serums.
Wer Glück hat, schafft es in eine der provisorischen Krankenstationen. Doch oft, ohne dieses Glück auch wirklich zu begreifen. Denn das Misstrauen vieler mit Ebola-Infizierter gegenüber weißen Medizinern und den von ihnen verwendeten Arzneien und Geräten sitzt tief. Dabei haben die schwer Erkrankten in ärztlicher Obhut zumindest eine kleine Chance, das tödliche Virus mit Erfolg zu bekämpfen, auch wenn derzeit noch immer mindestens jeder zweite Infizierte am Ende stirbt. Die in den Zentren verabreichten Antibiotika helfen aber zumindest dabei, weitere Infektionskrankheiten zu stoppen und die zeitgleich gegebene nährstoffreiche Kost soll den dehydrierten Körper stärken.
Mehr als 900 Ebola-Tote in Westafrika
Seit sechs Monaten breitet sich Ebola in Westafrika aus. 932 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den drei hauptbetroffenen westafrikanischen Staaten Guinea, Sierra Leone und Liberia gestorben. Nur ein kleiner Teil der Todesopfer starb in den Behandlungszentren westlicher Helfer. Die meisten starben bei ihren Familien daheim, in abgelegenen Dörfern. Unter dem Druck der steigenden Opferzahlen hat die Weltbank den betroffenen Ländern nun eine Nothilfe von bis zu 200 Millionen Dollar (149 Millionen Euro) gewährt. Die Mittel sollen Guinea, Liberia und Sierra Leone vor allem ermöglichen, die eigene Bevölkerung gründlich über die Ursachen der Epidemie und mögliche Schutzmaßnahmen aufzuklären, heißt es auf der Internetseite der Weltbank. Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf hat unterdessen den Ausnahmezustand für das westafrikanische Land ausgerufen. Die rasche Ausbreitung des tödlichen Virus "erfordert außerordentliche Maßnahmen, um das Überleben des Staates sicherzustellen", erklärte sie in der Nacht zum Donnerstag in der Hauptstadt Monrovia. Ihr Dekret soll im Laufe des Tages dem Parlament vorgelegt werden. In Liberia gibt es 282 Todesopfer. Die Epidemie "bedroht die Existenz, die Sicherheit und das Wohl der Republik", erklärte Sirleaf.
Traditionen stehen der Vorsicht entgegen
Die Durchsetzung der nötigen Schutzmaßnahmen dürfte allerdings schon deshalb schwierig werden, weil viele kulturellen Praktiken und oft jahrhundertealte Traditionen der Bewohner direkt mit den notwendigen Schutzmaßnahmen gegen die Krankheit in Konflikt stehen. Zu den Praktiken gehören neben dem gewohnheitsmäßigen Verzehr von Virusträgern wie Fledermäusen, Flughunden und Affen tief verwurzelte Riten wie das Waschen, Einkleiden und Küssen von Toten, bei denen mit der Körperflüssigkeit oft auch gleich oft tödliche Virus ausgetauscht wird. Gerade wegen der Bedeutung des Totenkults in Afrika dürfte es fast unmöglich sein, hier mit der gebotenen Eile einzugreifen, unabhängig von den zur Verfügung gestellten Geldmitteln.
Ebenso schwer dürfte es sein, eine Informationskampagne gegen die vielen Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind, zu lancieren. Oft werden ausgerechnet die Helfer von den Einheimischen bedroht oder gar aus den Dörfern vertrieben, weil viele von ihnen glauben, die Helfer würden die Krankheit erst verbreiten – zum Beispiel indem sie die Einheimischen mit den versprühten Desinfektionsmitteln vergiften. Andere glauben, dass schon die Blicke der Weißen töten können. Kein Wunder, dass sich viele Infizierte vor den Medizinern in ihren Furcht einflößenden Raumanzügen verstecken und bisweilen sogar aus Krankenstationen flüchten oder von von dort von ihren Verwandten „befreit“ werden. Die einfache Scheinwahrheit auf dem Land lautet jedenfalls oft: Wer behandelt wird, der stirbt.
Viele der ungebildeten Menschen sind angesichts ihres tiefen Aberglaubens fest davon überzeugt, dass das Ebola-Virus allein durch einen Fluch oder durch Hexerei übertragen wird und deshalb auch nur durch die Konsultation eines traditionellen Heilers und eines dort verabreichten Wundermittels besiegt werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die westliche Schulmedizin ihrerseits bislang noch kein Mittel gegen Ebola gefunden hat. Todesfälle wie sie noch immer sehr häufig sind, gelten den Einheimischen dann oft auch nur als Bestätigung der Mordthese. Ähnlich abstruse Theorien gibt es in Afrika auch in Zusammenhang mit der Aids-Epidemie.
Hygiene ist schwer einzuhalten
Umso wichtiger ist es nach Ansicht von Experten, bei der Bevölkerung ein Grundwissen über die Krankheit und ihre Vermeidung zu schaffen, wie es die Weltbank mit dem jetzt angebotenen Geld versucht. So müssten zum Beispiel zuerst einmal einfache Hygienevorschriften befolgt werden. Die Versorgung mit sauberem Wasser ist oft unzureichend, Seife ist auch nicht immer vorhanden, und einfaches Händewaschen ist oft ein zeitaufwändiges Unterfangen. Selbst in staatlichen Hospitälern sind die Zustände oft verheerend. Selbst dort ist es nicht überall möglich, ohne großen Aufwand die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Aber nur so kann eine Ausbreitung der Krankheit wirksam vermieden werden. Inzwischen werden zumindest die Passagiere an Flughäfen auf mögliche Symptome wie Fieber und Übelkeit untersucht, bevor sie in ein Flugzeug steigen - eine einfache Schutzmaßnahme, deren Einführung in Sierra Leone mehrere Wochen dauerte.
Reisewarnung des Auswärtigen Amts
Das Auswärtige Amt in Deutschland rät inzwischen „dringend“ von Reisen in die vor allem betroffenen Länder Sierra Leone, Liberia und Guinea ab. Es sei möglich, dass Ausreisemöglichkeiten aus diesen Ländern weiter beschränkt würden, heißt es in aktualisierten Reise- und Sicherheitshinweisen für die drei Länder. British Airways fliegt Liberia und Sierra Leone derzeit nicht mehr an. Am Wochenende hatte die Fluglinie Emirates entschieden, Flüge zu suspendieren.
Zweite Ebola-Tote in Nigeria
Wie wichtig schnelleres Handels gewesen wäre, zeigen die in Nigeria aufgetretenen Ebolafälle: Ein Arzt, der einen aus Liberia eingereisten in Lagos gestorbenen Fluggast behandelte, hat sich mit dem Virus infiziert, ebenso seine behandelnde Krankenschwester, die am Mittwoch starb. Insgesamt befinden sich inzwischen sieben Nigerianer in Quarantäne, mehr als 60 weitere würden überwacht, hieß es. Lagos ist eine anarchisch anmutende Megametropole mit mindestens 12 Millionen Einwohnern.
Ein wahrscheinlich mit dem Ebola-Virus infizierter Patient ist in Saudi-Arabien gestorben. Der Mann war am Montag in ein Krankenhaus der Hafenstadt Dschidda eingeliefert worden, teilte das saudische Gesundheitsministerium am Mittwoch mit. Er war demnach zuvor von einer Reise nach Sierra Leone zurückgekehrt. Sollte bei dem Mann tatsächlich das Ebola-Virus nachgewiesen werden, wäre er der erste Ebola-Tote in der arabischen Welt. Saudi-Arabien vergibt derzeit keine Visa mehr an Muslime aus Sierra Leone, Liberia und Guinea, die zur Pilgerfahrt nach Mekka wollen. Diese Regelung solle auf alle Länder ausgedehnt werden, in denen das Ebola-Virus aufgetaucht ist, sagte ein Sprecher des saudischen Gesundheitsministeriums.
Soldaten und göttlicher Beistand
Wegen der Gefahr einer weiteren Ausbreitung werden inzwischen in Westafrika ganze Gebiete unter Quarantäne zu stellen. Ob das möglich ist, wird jedoch selbst von Experten bezweifelt. Schließlich ist das Konzept einer solch völligen Abschottung für die Liberianer etwas ganz Fremdes. „Sie verbinden es mit Gefangenschaft“, sagt Stephanie Sala Martu Duncan von der Organisation Liberians Against Ebola. In Liberia müssen Ebola-Tote nun verbrannt werden. In den vergangenen Tagen hatten die Bewohner einer Vorstadt der Hauptstadt Monrovia dagegen demonstriert, die Ebola-Toten bei ihnen zu begraben. Präsidentin Ellen Sirleaf-Johnson hat zu einem dreitägigen Beten und Fasten aufgerufen, "damit Gott Mitleid mit uns hat und unsere Sünden vergibt und unser Land heilt, während wir gegen das tödliche Ebola-Virus kämpfen". Ohne göttlichen Beistand glaubt sie offenbar nicht mehr daran, die Seuche in den Griff zu bekommen. In Sierra Leone hat die Regierung die Armee in Bewegung gesetzt, um Krankenstationen zu schützen und Dörfer abzusperren. Aber auch das gehört eher in die Kategorie Aktionismus, nachdem sie monatelang überaus passiv auf die Krise reagiert hat.
Die wichtigste Hilfe bleibt einstweilen die Entsendung weiterer Epidemiologen, die einheimische Kräfte effektiv schulen. Allein die USA werden sofort 50 solcher Experten nach Westafrika schicken, um das Ebolavirus vor Ort unter Kontrolle zu bekommen. Unmöglich ist dies sicherlich nicht. Überraschend ist nämlich eigentlich, dass sich das sonst wegen seiner Tödlichkeit sehr schnell von allein ausrottende Virus diesmal so lange am Leben halten kann. Denn gerade weil die Ebola-Viren ihren Wirt rasch töten, können sie für gewöhnlich kaum allzu viele andere Menschen anstecken und verschwanden bislang genauso schnell wie sie gekommen waren.
Debatte um nicht erprobte Medikamente
Nachdem die USA einen infizierten Arzt und eine Krankenschwester aus Liberia nach Atlanta ausgeflogen haben, hat Spanien am Mittwoch entschieden, den 75 Jahre alten Geistlichen Miguel Pajares aus Liberia zurückzuholen, der sich ebenfalls angesteckt hat. Zehntausende Spanier hatten zuvor in einer Internetpetition von der Madrider Regierung gefordert, Pajares in sein Heimatland zurückzubringen. Die beiden Amerikaner hatten sich mit einem noch ungeprüften Medikament im Teststadium behandeln lassen und sind offenbar beide in einem stabilen Zustand. Ob das Medikament darauf Einfluss hatte, ist allerdings ungeklärt. Dennoch forderten führende Ebola-Experten die Weltgesundheitsorganisation WHO auf, noch nicht ausgetestete Impfstoffe und Medikamente zuzulassen, um eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Die drei Mediziner Peter Piot, David Heymann und Jeremy Farrar erklärten, derzeit würden einige antivirale Wirkstoffe, Antikörper und Impfstoffe getestet. Diese sollten afrikanischen Opfern und medizinischem Personal zur Verfügung gestellt werden. Dafür sei aber die Zustimmung der WHO nötig, erklärte das Team um Piot, einem der Entdecker von Ebola im Jahr 1976. Am Abend kündigte die WHO an, kommende Woche eine Entscheidung darüber zu treffen.
Die nigerianische Regierung hat die amerikanische Gesundheitsbehörde gebeten, die Arznei zugänglich zu machen. Die nigerianische Internetzeitung "Premium Times" zitiert den nigerianischen Gesundheitsminister Onyebuchi Chukwu mit den Worten: "Wir sind in Kontakt mit den Amerikanern." Er habe eine nigerianische Expertengruppe mit einer amerikanischen Expertengruppe in Kontakt gebracht, um zu sehen, "ob wir ähnliche Möglichkeiten haben".
US-Präsident Barack Obama hat die Hoffnungen in Westafrika auf ein experimentelles Serum gegen die Ebola-Epidemie jedoch gedämpft: Der Einsatz des Serums ZMapp in Afrika wäre "voreilig", es gebe noch keine ausreichenden Informationen über seine Wirkung, sagte Obama am Mittwochabend (Ortszeit) in Washington. "Wir müssen uns von der Wissenschaft leiten lassen", sagte Obama mit Blick auf das erhoffte Mittel, das bislang nur bei Tieren getestet wurde. Statt auf das Mittel zu setzen müssten die Gesundheitsbehörden in Westafrika die Ausbreitung der Epidemie wirksamer bekämpfen, sagte Obama. Die Gesundheitssysteme seien nicht in der Lage gewesen, die Ebola-Fälle rechtzeitig zu identifizieren und schnell genug zu isolieren, deswegen habe sich das Virus ausbreiten können. Er sagte den vier betroffenen Ländern Guinea, Liberia, Sierra Leone und Guinea die Hilfe der USA, der europäischen Partner und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Eindämmung der Epidemie zu. Derweil findet in Nigeria ein Ärztestreik statt, weil die Mediziner mit ihrer Bezahlung nicht zufrieden sind. (mit Reuters/AFP)