Betreiber der umstrittenen App im Interview: Herr Henning, wozu braucht man Luca überhaupt?
Software-Entwickler Patrick Hennig über die Möglichkeiten und Grenzen des Luca-Systems – und die vehemente Kritik daran.
Patrick Hennig ist Geschäftsführer des Unternehmens neXenio, einer Ausgründung des Hasso-Plattner-Instituts. Zusammen mit Kulturschaffenden entwickelte die Firma die Luca-App.
Herr Hennig, von allen Seiten gibt es Kritik an der Luca-App. Haben Sie als Betreiber mit so vielen Beschwerden gerechnet?
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so massiv sein wird. Aber primär dreht sich die ganze Debatte um die Frage: zentrales System und Datenaustausch wie bei Luca versus dezentrales System wie bei der Corona-Warn-App. Da werden leider gerade viele Dinge vermischt – und zwei Apps gegenübergestellt, die sich in Wahrheit ergänzen sollen.
Mehr als 70 renommierte Sicherheitsexperten sind der Meinung, ihre App sei aus Datenschutzgründen nicht vertretbar.
Was im Luca-System am häufigsten kritisiert wird, waren bewusste Entscheidungen mit Blick auf Datensparsamkeit. Wie beim Thema der Telefonnummernverifizierung: Wir wollen bewusst nicht bei jedem Check-in die Telefonnummer überprüfen, um das Bilden von Bewegungsprofilen zu vermeiden. Das ermöglicht Missbrauch und falsche Angaben. Aber steht der Verifizierungsaufwand, mit dem ich das verhindern kann im Verhältnis zum potenziellen Schaden? Dies muss man abwägen: wie bei der Zoo-Geschichte.
Da hatte sich der Satiriker Jan Böhmermann nachts im Osnabrücker Zoo eingecheckt, ohne vor Ort zu sein.
Ja, aber in jedem System, das statische QR-Codes verwendet, kann ich in Osnabrück einchecken, wenn ich in Potsdam auf der Couch sitze. Der Hype um Luca war riesig, weil viele Hoffnungen mit dem System verbunden sind. Deswegen haben viele Betriebe ihre QR-Codes auf Social Media gepostet, um zu zeigen: Hey, wir sind dabei, wir unterstützen Euch.
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Kein Gesundheitsamt wird, wenn es eine Infektion im Zoo gibt, einen Riesen-Alarm auslösen, weil die Fläche viel zu groß ist – vielmehr wird man bei mehreren Infektionen das Hygienekonzept genauer unter die Lupe nehmen. Luca wird da eingesetzt werden, wo es Sinn macht. Dreh- und Angelpunkt sind die Mitarbeiter der Gesundheitsämter, die entscheiden, welche Daten sie entschlüsseln.
Die meisten Gesundheitsämter nutzen die App nicht, weil sie nicht alle Zoo- oder Baumarktbesucher kontaktieren wollen. Wozu braucht man Luca da überhaupt?
Potenziell und hoffentlich an Hunderttausenden Orten, wenn die Inzidenz weiter runtergeht: Im Restaurant, im Café, Theater und Kino, gerne auch in Büros: überall, wo ich potenziell laut RKI-Empfehlung eine enge Kontaktperson hätte.
Luca ist für die Zeit nach dem Lockdown. In Nordfriesland zeigte sich sehr gut, dass das Luca-System sinnvoll ist. Dort gab es in den ersten Tagen gleich vier, fünf Infektionsfälle, die über Luca nachverfolgt wurden und die Datenqualität war nahezu 100 Prozent.
War es denn ein politischer Fehler, auf zwei Apps parallel zu setzen?
Die Corona-Warn-App und Luca sind zwei Systeme, die sich ergänzen. Und zwar sehr sinnvoll. Die Corona-Warn- App läuft anonym und dezentral im Hintergrund, ohne Kontaktdaten. Wenn ich mich privat treffe in einem Raum mit fünf Leuten, macht sie Sinn. Wenn aber die Erfordernis der Gesundheitsämter ist, Kontaktdaten zu erfassen, dann sollte das in einer extra App passieren.
Der Bürger kann dann sehr bewusst entscheiden, in welcher Situation er welches System nutzen möchte. Luca ist ein System, das die Daten so verschlüsselt, dass nur das Gesundheitsamt im Zweifel einer Infektionsgefahr darauf zugreifen kann.
Fürchten Sie, dass nur noch die Corona- Warn-App genutzt wird, wenn man die Kontaktdatenerfassung nicht mehr braucht?
Das glaube ich nicht. Wir haben uns im letzten Herbst alle beschwert darüber, dass Bereiche zugemacht werden, ohne zu wissen, ob da wirklich Infektionen stattfinden. Jetzt haben wir eine Chance, das herauszufinden. Es geht um die Freiheit, Restaurants, Cafés, Kneipen, Kinos etc. sicher zu nutzen.
Alles, was es dafür braucht, sind meine Kontaktdaten – im Falle eines Infektionsgeschehens und nur für das Gesundheitsamt. Wenn ich dran denke, wie viele Daten wir alle jeden Tag abgeben oder hinterlassen, finde ich das fair und sinnvoll.
Für die Anbieter, die beides anbieten wollen, sollten zumindest einheitliche QR-Codes angeboten werden.
Wir rechnen mit zwei bis drei Wochen, bis die App und die 120 000 QR-Codes, die schon draußen sind, angepasst sind. Wir arbeiten auch an einer Möglichkeit, Testergebnisse zu hinterlegen.
Wenn es viele Öffnungen gibt, werden dann die Downloads massiv mehr werden?
Das wird sich zeigen. Ich glaube, die Bereitschaft der Leute ist da, das sieht man an 5,9 Millionen Downloads – und wir sind noch mitten im Lockdown. Wir müssen mit der Corona-Warn-App gemeinsam daran arbeiten, dass solche Tools eine breite Akzeptanz bekommen. Wir haben immer wieder Angriffe auf unser System, dabei zeigt sich auch, dass unser Sicherheitskonzept funktioniert.
Hauptkritikpunkt der Sicherheitsexperten ist das zentrale System, wo die sensiblen Daten liegen. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis Luca-Daten doch gehackt werden?
Nein, unser Kryptokonzept ist wirklich sehr gut. Wenn ich das System vorführen will, kann ich natürlich einen anderen Namen eingeben. Aber wollen wir die Kontaktdaten mit dem Personalausweis überprüfen? Für jeden Friseurbesuch?
Wollen wir, damit keiner falsch im Zoo von Osnabrück eincheckt, Geodaten überprüfen? Nein, doch bitte nicht – wichtig ist, dass die Telefonnummern stimmen und verifiziert sind. Wenn dann Mickey Mouse unter der Nummer erreichbar ist oder eine Warnung in ihrer App erhält: Ok. Dann ist das so. Hauptsache, die Person wird gewarnt und ist durch das Gesundheitsamt erreichbar.
Also haben Sie alles richtig gemacht?
Nein, das würde ich niemals behaupten. Natürlich hätte man rückblickend Dinge anders gemacht. Zum Beispiel hätten wir vielleicht die Schlüsselanhänger weggelassen, die zu Beginn für Menschen in Pflegeheimen gemacht wurden, die kein Smartphone haben. Aber wer den Anhänger oder den Code drauf hat, kommt an seine Daten ran. Das ist wie beim Wohnungsschlüssel, wer den hat, kommt in die Wohnung rein.
Glauben Sie, in einem Jahr, wenn die Pandemie hoffentlich vorbei ist, blicken Sie zurück und denken „Ich habe wirklich einen guten Beitrag dazu geleistet“?
Das wäre vermessen. Eine App kann Corona nicht wegzaubern. Das kann vielleicht der Impfstoff irgendwann. Aber ich denke, es war die richtige Entscheidung, das Thema überhaupt anzugehen. Und ich denke, wenn wir es schaffen, mithilfe des Luca-Systems einige Ansteckungen zu verhindern, weil Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung schneller betreiben können und Leute automatisch in der App gewarnt werden, sich dann testen und isolieren können … Ja, dann hat sich das alles gelohnt.
Der Rapper Smudo hat Luca bekannt gemacht. Er ist auch mit mehr als 20 Prozent beteiligt. Brauchten Sie sein Geld?
Nein, das war und ist anders. Alle Beteiligten haben an die Idee geglaubt, Geld zusammengelegt und die Softwareentwicklung gestartet – ohne direkte Idee, wie das Businessmodell aussehen könnte. Klar war nur, dass nicht die Restaurants bezahlen sollen, denen es ohnehin schon schlecht ging. Wir wollten die Gesundheitsämter entlasten, die ja Tausende Leute eingestellt haben, um Listen zu kopieren und abzutelefonieren.
Das Gesundheitswesen zahlt mit mehr als 20 Millionen Euro im Jahr, das ist doch lukrativ, oder?
Wenn ich mir angucke, was wir an Kosten haben, dann hört sich das lukrativer an, als es wirklich ist. Allein vier Millionen Euro gehen für SMS direkt an Telekom, Vodafone und Co. Die Cloudinfrastruktur und der Support sind weitere große Batzen im Millionenbereich.
Wird es lukrativ, wenn die Pandemie mal vorbei ist und Luca auf Millionen Handys installiert ist? Wollen Sie über das System dann zum Beispiel Tickets anbieten?
Wir haben überhaupt keine Pläne, Tickets oder so etwas über Luca zu verkaufen. Ehrlicherweise denken wir auch nicht so weit, weil wir gar nicht wissen, wie lange uns Corona noch beschäftigt.