Prozess im Fall Tugce Albayrak: Sanel M. gesteht unter Tränen: "Es tut mir unendlich leid."
Tugce Albayrak wird als Beispiel für Zivilcourage in Erinnerung bleiben. Die 22-Jährige starb, als sie helfen wollte. Heute steht der mutmaßliche Täter Sanel M. in Darmstadt vor Gericht. Der Prozess beginnt mit einer Entschuldigung und vielen Tränen.
Zum Auftakt des Prozesses um den tödlichen Angriff auf die Studentin Tugce Albayrak hat der 18-jährige Angeklagte sich bei der Familie des Opfers entschuldigt. "Es tut mir unendlich leid, was ich getan habe", sagte Sanel M. am Freitag vor dem Landgericht Darmstadt. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ich der Familie für Leid und Schmerzen angetan habe". Er räumte ein, Tugce "eine Ohrfeige" gegeben zu haben, so dass sie hingefallen sei. "Ich habe niemals mit ihrem Tod gerechnet", sagte Sanel M. Dann brach er in Tränen aus.
Der Angeklagte schilderte vor Gericht seinen Lebensweg: Nach der Grundschule wechselte er demnach zunächst auf das Gymnasium, verließ dieses aber nach der sechsten Klasse. Danach schwänzte er nach eigenen Angaben oft den Unterricht, flog auch von einer Schule. Schließlich schaffte er an einer Berufsschule den Hauptschul-Abschluss. Er suchte eine Stelle bei der Post oder im Einzelhandel, fand jedoch bis zu der Tat keinen Job. Seit seiner Festnahme sitzt er in Untersuchungshaft.
Der Anwalt der Familie von Tugce, die als Nebenkläger auftritt, äußerte Zweifel an der Aufrichtigkeit des Angeklagten. "Es waren floskelhafte Sätze", sagte Macit Karaahmetoglu am Freitag als Reaktion auf die Aussage des 18-Jährigen. Oberstaatsanwalt Alexander Homm vertrat am Rande der Verhandlung vor dem Landgericht Darmstadt eine andere Auffassung als der Anwalt. "Die Aussage war von Emotionen und erkennbarer Reue geprägt."
Rund fünf Monate nach dem gewaltsamen Tod der Studentin Tugce hat am Freitag der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter vor dem Landgericht Darmstadt begonnen. Sanel M. ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Der 18-Jährige sitzt seit der Tatnacht Mitte November in Untersuchungshaft. Er soll die 22-Jährige auf einem Parkplatz vor einem Schnellrestaurant in Offenbach mit der flachen Hand so geschlagen haben, dass sie stürzte und ins Koma fiel, aus dem sie nicht mehr erwachte.
Die Jugendkammer will am ersten Verhandlungstag 2 von insgesamt etwa 60 Zeugen hören. Außerdem soll sich der Vater von Tugce äußern können. Die Familie der getöteten Lehramtsstudentin aus Gelnhausen ist als Nebenkläger in dem Verfahren vertreten und besucht auch den Prozessauftakt. Das Gericht entschied nach Beratung, dass die Öffentlichkeit dabei sein kann, wenn einer von Tugces Brüdern sich als Zeuge äußert. Der 25-Jährige sagte, der gewaltsame Tod seiner Schwester habe die Familie "total aus der Bahn geworfen". Die Schockstarre sei inzwischen vorüber. "Wir sind jetzt in der Realisierungsphase. Die ist noch schlimmer."
Nur von einer mehrspurigen Straße getrennt hatten zu Prozessbeginn rund 50 Freunde von Tugce gegenüber dem Landgericht eine Mahnwache begonnen. Zu ihnen gehört auch Melina Schier. "Ich war fünf Jahre lang mit Tugce in einer Schulklasse", erzählt die 23-Jährige. "Wir wollen auch an Tugces Zivilcourage erinnern", sagte der Organisator Murat Capri. "Tugce, Du bist nicht vergessen" heißt es auf einem der Plakate.
Journalistenverband kritisiert Einschränkungen
Das Interesse an dem Verfahren ist größer als die Zahl der Zuschauerplätze. Von den 52 Plätzen sind 25 für Medienvertreter reserviert. Da sich mindestens 46 Journalisten akkreditiert hatten, wurden einige Plätze verlost. Journalisten dürfen im Gerichtssaal weder Handy noch Laptops benutzen und können nur in den Sitzungspausen berichten, da sonst ihr Platz verfällt.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Einschränkungen für Journalisten beim Prozess kritisiert. "Das sind unerträgliche Zustände", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am Freitag laut Mitteilung. "Der Tod der Studentin Tugce hatte die gesamte deutsche Öffentlichkeit tief bewegt. Es geht nicht an, dass das Landgericht Darmstadt das Verfahren wie einen Geheimprozess führt."
Schon vor Beginn des Prozesses um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce haben sich vor dem Gericht in Darmstadt zahlreiche Zuschauer und Neugierige versammelt. Auch Tugces Familie - ihre Eltern und zwei Brüder - kamen. Die Großeltern mütterlicherseits trugen T-Shirts mit einem Bild ihrer Enkelin. Diese durften sie jedoch nicht im Gerichtssaal tragen. Die Polizei war präsent, hielt sich aber im Hintergrund.
Zahlreiche Besucher sind zum Prozess gekommen, nicht alle finden wegen des großen Medieninteresses einen Platz im Gerichtssaal. Neben Angehörigen und Freunden ist auch Alexej Bobrov da. Der 19-Jährige gehört zu einer Berufsschulklasse aus Darmstadt. "Wir wollen uns den Prozess aus Lerneffekt einmal ansehen."
Vor dem Schnellrestaurant in Offenbach, wo sich der Angriff auf Tugce im vergangenen November ereignete, geht kurz vor Prozessbeginn alles seinen normalen Gang. Autos fahren ein und aus auf dem Parkplatz, auf dem die Studentin zu Tode kam. Vor der Tür genießen Gäste die Sonnenstrahlen. Auf einem Grünstreifen vor der Filiale hatten Trauernde nach der Tat ein kleines Bänkchen mit Kerzen, Vasen und Herzchen mit „Tugce“-Aufschrift errichtet. Inzwischen sind die Blumen in den Vasen vertrocknet und die Kerzen heruntergebrannt. (dpa, AFP)
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