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Zahlreiche Strandbesucher sind bei sommerlichen Temperaturen. Abstand halten ist hier eher schwierig.
© Mohssen Assanimoghaddam/dpa
Update

Volle Strände, Partys, Treffen in Gruppen: Der Leichtsinn nimmt zu, diese Zahlen zeigen es

Die Corona-Zahlen steigen – das RKI nennt die Bürger zu „nachlässig“. Eine Befragung zeigt, dass immer mehr Menschen ihre einstige Vorsicht ablegen.

Kaum drei Monate ist es her, dass Bilder von menschenleeren Stränden, ausgestorbenen Ausgehvierteln und geschlossenen Kaufhäusern kursierten.

Jetzt ist das Gegenteil der Fall: Alles sieht aus wie früher. Auf Fotos vom Timmendorfer Strand am vergangenen Wochenende tummeln sich Hunderte Badegäste. Zwischen ihnen zwar ein paar Schwimmreifen und Luftmatratzen, jedoch keine 1,5-Meter Abstand. Zudem machen Videos von Open-Air-Partys die Runde. Shoppen ist schon längst wieder zur Freizeitbeschäftigung geworden.

Das sehe alles wieder viel zu normal aus, sagen jene, sie sich wegen der erneut steigenden Infektionszahlen sorgen - doch das scheinen irgendwie gar nicht mehr so viele zu sein. RKI-Präsident Lothar Wieler sagte am Dienstag während einer Pressekonferenz: "Der Anstieg hängt damit zusammen, dass wir nachlässig geworden sind." Wieler meinte die Einhaltung der "Aha"-Regeln. Also Atemmaske tragen, Hände waschen, Abstand halten.

Sind "wir" tatsächlich nachlässig geworden? Und wenn ja: woher kommt der neue Leichtsinn? Schon mal vorab: Die Fragen lassen sich derzeit nicht eindeutig beantworten.

Glaubt man der These von der Nachlässigkeit, müssen sich im Mai und Juni viele Menschen sehr vorbildlich verhalten haben - dafür sprechen die stark gesunkenen Infektionszahlen in diesem Zeitraum. Auch in einer repräsentativen Studie der Uni-Heidelberg mit 1351 Teilnehmern gaben 82 Prozent an, sich - zumindest größtenteils - in den vergangenen Wochen an die Regeln gehalten zu haben. Nachprüfen lässt sich diese Aussage freilich nicht.

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Daten der Uni Erfurt zeigen, dass Präventionsmaßnahmen, die ergriffen werden, um eine Ansteckung mit dem Virus zu vermeiden, derzeit sinken. Anfang Mai gaben 76 Prozent der Befragten an, öffentliche Orte zu meiden - jetzt sind es nur noch 57 Prozent. Ähnlich sieht es mit Feiern aus: Wo sich Anfang Mai noch 90 Prozent der Befragten von Partys fernhielten, sind es mittlerweile nur noch 64 Prozent.

Die Berliner BVG verzeichnete in den vergangenen drei Wochen 30.000 Fahrgäste ohne Maske. Etwa 200 Vertragsstrafen in Höhe von 50 Euro, sollen laut BVG, daraufhin verhängt worden sein. Reimut Zohlnhöfer, einer der Leiter der Studie der Uni-Heidelberg, sagt zum Tagesspiegel: “Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die es für wahrscheinlicher halten, entdeckt zu werden, und vor allem, die es als schlimm erachten, wenn sie entdeckt würden, eher bereit sind, sich an die Einschränkungen zu halten.”

Große Unterschiede zwischen den Bundesländern

Fehlt also mittlerweile die Polizeipräsenz und die strengen Kontaktbeschränkungen? Besonders auffällig sei die erhebliche Varianz zwischen den einzelnen Bundesländern, berichten die Forscher.

“So hielten es Menschen im Saarland, in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern für deutlich wahrscheinlicher als die Befragten im Bundesdurchschnitt erwischt zu werden, und für die Befragten in diesen drei Bundesländern sowie in Bayern wäre es auch wesentlich schlimmer gewesen, erwischt zu werden, als für die durchschnittlichen Befragten.” Umgekehrt hätten vor allem die Befragten in Sachsen und Brandenburg eher nicht damit gerechnet, erwischt zu werden.

Das sei aber nicht der einzige wichtige Faktor, sagt Zohlnhöfer. Eine weitere wichtige Rolle spiele die Sorge, sich anzustecken. “Je größer diese Sorge ist, desto eher halten sich die Befragten an die Regeln und sind bereit, sich impfen zu lassen. Die Sorge ist bei unseren Befragten aber nicht allzu groß, zwei Drittel halten es für unwahrscheinlich, sich anzustecken.”

Die unbekümmerte Stimmung könnte den Daten der Wissenschaftler zufolge bald vorbei sein: “Mit den derzeit wieder steigenden Covid19-Zahlen könnte auch die Sorge vor einer Ansteckung bei den Menschen wieder steigen. Das könnte unseren Daten zufolge wiederum dazu führen, dass sich mehr Menschen an die Regeln halten.

Die Menschen werden wieder mobiler

Im "Mobility Monitor" des Robert Koch Instituts und der Humboldt Universität werden die Bewegungsdaten der Menschen in Deutschland aufgezeichnet. Seit Juni hat demnach die Mobilität wieder stark zugenommen. Heute ist die Frequenz fast identisch zum Vorjahreszeitraum. Besonders auffällig ist allerdings die starke Bewegung an den Küstenorten in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. In der Region um Stralsund verzeichnet die Seite 109 Prozent mehr Verkehr als im Vorjahr.

Trotz Corona: Voller Strand in Heringsdorf auf Usedom.
Trotz Corona: Voller Strand in Heringsdorf auf Usedom.
© imago images

Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen ist allerdings in Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich nach wie vor relativ niedrig. In Schleswig-Holstein sind die Zahlen in den vergangenen Tagen zwar ebenfalls leicht gestiegen, aber die meisten Neuinfizierten werden noch immer in Nordrhein-Westfahlen verzeichnet.

[Anstieg der Coronazahlen in Deutschland: Habt ihr eigentlich gar nichts gelernt? Lesen Sie hier einen Zwischenruf.]

Anders als bei dem Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies, im Juni, konzentriert sich das aktuelle Geschehen nicht auf einen klar eingrenzbaren Ausbruchsherd. Aktuell melden 174 Landkreise steigende Zahlen. Die Zahl der Kreise, die sieben Tage keine Infektionen melden, sinkt.

Sind also die Sommerurlauber, die derzeit aus dem Ausland zurückkommen, für den aktuellen Anstieg verantwortlich? Aktuell gehen laut RKI die meisten Neuinfektionen (85 Prozent) auf das Geschehen im Inland zurück. Doch die Sorge beim RKI wächst, dass sich die Lage in den nächsten Wochen durch die Rückkehrer aus dem Urlaub verschärft. Die Auswirkungen der Urlaubszeit werden erst in einigen Wochen sichtbar sein.

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