500.000 Menschen sollen kommen: Coronaskeptiker und Rechtsextreme rufen zu Großdemo in Berlin auf
Mindestens 500.000 Teilnehmer versprechen die Veranstalter für einen Protest im Tiergarten am Samstag. Wenn weniger kommen? Dann ist Merkel schuld.
Sie erwarten mindestens 500.000 Menschen. Angeblich stehen bis zu 3000 Busse bereit, um die Demonstranten am Sonnabend nach Berlin zu bringen. Es wäre der größte Protest seit Jahren.
Sollten am Ende doch weniger Teilnehmer erscheinen, ist die Ausrede schon parat: Unter den Anhängern kursiert das Gerücht, Angela Merkel werde sämtliche Bahngleise und Zufahrtsstraßen nach Berlin sperren lassen, um Demonstranten von der Anreise abzuhalten.
Es ist eine diffuse Mischung aus Verschwörungsideologen, Virusleugnern, rechtsoffenen Esoterikern und Rechtsextremen, die sich für diesen Sonnabend angekündigt hat. Sie wollen einen „Tag der Freiheit“ feiern und gleichzeitig das „Ende der Pandemie“ verkünden, auch wenn die Infektionszahlen wieder deutlich steigen.
Aufgerufen hat die Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“. Deren Pressesprecher Stephan Bergmann stellte bereits klar, was er von den aktuellen Sicherheitsregeln hält: Corona sei ein „Fake-Virus“, erlogen von „Fake-Wissenschaftlern“. Die Regierung wolle keine Menschenleben schützen, sondern den Kommunismus einführen. Bergmann sagt: „Scheiß auf das Abstandsgebot!“
Offiziell heißt es, rechtes Gedankengut habe in dieser Bewegung keinen Platz. Doch schon die Besetzung des Bühnenprogramms widerspricht dem. Auftreten soll etwa der Autor Thorsten Schulte. Vergangenen Monat war Schulte noch Redner bei Pegida, warnte dort vor einem multikulturellen Europa und vor Masseneinwanderung unter jüdischem Einfluss.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Daneben sind Auftritte des Verschwörungsideologen Heiko Schrang und des Rappers Kevin Mohr vorgesehen. Letzterer behauptet, die Bevölkerung werde gezielt durch Chemtrails – so bezeichnen Verschwörungstheoretiker Kondensstreifen hinter Flugzeugen – vergiftet, um die Menschheit zu dezimieren.
Als Redner sind an diesem Sonnabend insgesamt elf Männer vorgesehen. Im musikalischen Teil sollen aber auch Frauen auftreten.
Rechtsextreme mobilisieren offen
Neben den Initiatoren ruft unter anderem das rechtsextreme, vom Verfassungsschutz beobachtete Magazin „Compact“ zur Fahrt nach Berlin auf. Auch die rechtsextreme Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“ und die NPD mobilisieren. Eine Anfrage des Tagesspiegels, ob deren Anhänger am Sonnabend willkommen sind, beantwortet der Initiator nicht.
In ihrer Heimat Stuttgart hat die Bewegung 5000 Menschen auf die Straße gebracht. Stephan Bergmann, der Pressesprecher, erklärt in seinen Reden, die Menschen müssten wieder mehr auf ihr Herz hören.
Nach eigener Aussage sind die Demos gegen die Coronamaßnahmen die ersten seines Lebens. Zuvor war er Trance-Coach, Trommelbauer, Sonnentänzer sowie Gründer eines „Vereins für indianische Lebensweisen“. Er arbeite „seit Jahren daran, die Spaltung der Menschen zu heilen“.
Warnungen vor der „Vermischung der Rassen“
Auf Facebook klingt er weniger harmlos. Da hat Stephan Bergmann Texte verbreitet, in denen vor der „Vermischung der Rassen auch mit Zwangsmaßnahmen“ oder der Züchtung einer „hellbraunen Rasse in Europa“ gewarnt wird. Durch die Vermischung solle der Intelligenzquotient der weißen Bevölkerung gedrückt werden. Bergmann teilt Posts verschiedener rechtsextremer Plattformen und Bilder, auf denen sich über Asylbewerber oder verschleierte Muslime lustig gemacht wird.
Um die „großen Zusammenhänge der Weltereignisse“ zu verstehen, empfiehlt er ein Video, das beschreibt, wie das deutsche Volk angeblich durch den Import von „Stammeskriegern aus Afrika“ und „Massen von Muslimen“ systematisch ausgelöscht werden soll. Eine Dokumentation der von Bergmann verbreiteten Posts finden Sie hier.
Eigentlich wollten die Initiatoren das gesamte Tempelhofer Feld füllen. Inzwischen haben sie die Kundgebung auf die Straße des 17. Juni verlegt. Vorher planen Corona-Leugner einen Demonstrationszug durch Mitte. Aber auch Gegenprotest wird es geben, unter anderem rufen das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ und die „Omas gegen Rechts“ zu Kundgebungen auf.
Vieles spricht dafür, dass die angepeilte Teilnehmerzahl von einer halben Million massiv übertrieben ist. Manche Anhänger des „Tags der Freiheit“ gehen allerdings vom Gegenteil aus – im Netz kursiert gar eine Schätzung von 4,5 Millionen.
Zaghafte Zweifel werden dabei konsequent niedergemacht. Auf der Chatplattform Telegram fragt etwa ein Aktivist: „Wenn es jetzt noch freie Hotelkapazitäten in Berlin gibt, wird die Demo wohl wesentlich kleiner als erwartet?“ Seine Mitstreiter werfen ihm vor, er habe halt keine Ahnung.
Update 30.7.: Laut Polizei hat der Anmelder der Kundgebung die Anzahl der zu erwartenden Personen von einer halben Million „auf 10.000 konkretisiert“. Mehr dazu lesen Sie an dieser Stelle.
Update 31.07: Stephan Bergmann leugnet die von ihm verbreiteten Posts und belügt seine Anhänger. Eine Dokumentation einer Auswahl seiner Posts finden Sie hier.
.