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Charles Manson im Jahr 1969 auf dem Weg zur Anklageverlesung im Zusammenhang mit dem Mord an der Schauspielerin Sharon Tate.
© Uncredited/AP/dpa

Serienmörder Charles Manson: Antichrist Superstar

Charles Manson, seit dem Blutbad von Beverly Hills im Jahr 1969 das personifizierte Böse, ist nach jahrzehntelanger Haft mit 83 Jahren gestorben.

Es war wohl unvermeidbar, dass Charles Manson zur Kultfigur wurde. Nicht nur in den USA, die ein exzentrisches Verhältnis zur Gewalt pflegen und die Erinnerung an diesen Psychopathen und Rassisten auch ein halbes Jahrhundert, nachdem er für immer hinter Gittern verschwand, wach halten. Als Anstifter einer Mordserie, bei der unter anderem die Hollywood-Schauspielerin Sharon Tate hochschwanger umgebracht wurde, ging er in die Fantasiewelt der Popkultur ein – als Chiffre für das Böse, für den Irrsinn enthemmter Selbstverwirklichung, für den pervertierten Traum der Hippie-Ära, als Mann, „der die Sixties gekillt hat“.

E ine Legende ist Charles Manson deshalb nicht geworden, war er doch eher der Totalversager, Typus: armer Irrer. Umso mehr arbeiten sich Generationen nach ihm noch an der Frage ab, wie ein ein einzelner Mann so viel Macht über andere erlangen konnte, dass die loszogen und binnen weniger Tage neun Personen abschlachteten? Er selbst tötete keines der Opfer selbst, sondern quälte und verstümmelte einige von ihnen, verließ die Tatorte sodann, bevor seine Vasallen das Werk vollendeten. Und ein ,Werk’ sollte es sein, ein Schauspiel des Schreckens.

Den Ermittlern bot sich ein Blutbad

Ein solches bot sich den Ermittlern, als sie am 10. August 1969 das Haus eines Fernsehproduzenten oberhalb von Beverly Hills betraten. Auf dem Rasen, im Flur, in einem Zimmer lagen Leichen, erschossen, erstochen, und mit dem Blut eines der Opfer war das Wort „Pig“ an die Haustür geschmiert worden. Das Blut, so sollte sich später herausstellen, war von Sharon Tate, die das Anwesen mit ihrem Mann Roman Polanski („Tanz der Vampire“) gemietet hatte und wenige Tage später ein Kind erwartete. Der Regisseur hielt sich in Europa auf.

Auch als in der Nacht darauf ein Supermarktmanager und dessen Frau ebenso blutrünstig ermordet wurden, fehlte von den Tätern jegliche Spur. Wieder waren Botschaften im Haus der Opfer hinterlassen worden, auf die man sich keinen Reim machen konnte. Jemand hatte „War“ in den Unterleib des Ehemannes geritzt. An den Wänden war „Rise“ und „Piggy“ geschrieben, und an der Kühlschranktür prangte der – fehlerhaft buchstabierte – Titel eines Beatles-Songs „Helter Skelter“. Was auch dahinterstecken mochte, in den vornehmen Wohnlagen der Hollywood Hills verbreitete die Nachricht im Sommer 1969 ziemlich viel Angst. Die Täter sollten der Polizei erst zufällig nach einer Verkehrskontrolle in die Hände fallen, weil eines der in Gewahrsam genommenen Hippie-Mädchen mit ihrer Tat prahlte.

Manson führte die Kommune wie ein Sklavenhalter

Die Mörder waren Mitglieder einer Kommune, die sich „Family“ nannte und bis zu hundert Personen auf einer abgelegenen Ranch im Norden von Los Angeles sowie im Death Valley umfasste. Manson war ihr Oberhaupt, doch zunächst konnte man ihm eine Tatbeteiligung nicht nachweisen. Erst die Entschlüsselung dessen, was der Sektenführer seinen Mitstreitern als „Helter Skelter“-Ideologie aufgeschwatzt hatte, führte direkt zu ihm.

So wollte Manson in dem Song der Beatles eine apokalyptische Prophezeiung vernommen haben, nach der es unweigerlich zu einem Krieg zwischen weißer und schwarze Rasse komme. Da der jedoch ausblieb, schickte er seine Bande los, um den Blutrausch selbst zu entfesseln und Angst in der weißen Oberschicht zu verbreiten.

Kindheit und Jugend besteht aus Heimen und Gefängnissen

Trotzdem wird Charles Manson bis heute nicht als rassistischer Terrorist betrachtet. Selbst ein in die Stirn geritztes Hakenkreuz änderte das nicht. Denn einen Song so wichtig zu nehmen wie die Bibel, machte ihn zu etwas viel Faszinierenderem: zu einem Pop-Fundamentalisten, dessen Sinn für Wahrheit sich in Richtung Kunst verschoben hatte.

Als Sohn einer bei der Geburt 16-jährigen Mutter gehört Manson zu den Kindern, die niemand haben will. Am wenigsten die Mutter selbst. Weil die nach Raubüberfällen immer wieder im Gefängnis landete, wurde der Junge von Verwandten herumgeschubst wie etwas Lästiges. Schon früh wird er kriminell, stiehlt, wird erwischt, kommt in eine Besserungsanstalt, wird missbraucht, stiehlt wieder. Er hat in den Erziehungsheimen, die für verlorene Kinder wie ihn grausame Aufbewahrungsorte sind, reichlich Gelegenheit, seine eigene Skrupellosigkeit zu kultivieren und Mechanismen sozialer Kontrolle zu studieren. Die langen Haftstrafen als Jugendlicher tun ein Übriges.

Als er 1967 nach sieben Jahren Gefängnis mitten in den Summer of Love entlassen wird, geht er nach San Francisco, wo in Haight Ashbury die Gegenkultur aufblüht. Dort baut sich der Kleinkriminelle die Familie auf, die er nie gehabt hat und die deshalb in allen Belangen sektenhaft über sich hinauswächst. Vor allem verunsicherte junge Frauen aus zerrütteten Familien schart er um sich, betrachtet sie als Gespielinnen und zieht mit ihnen durch Kalifornien, pendelt zwischen leerstehenden Häusern, erlassenen Farmen in der Wüste und anderen Kommunen hin und her. Überall stehen ihnen die Türen offen, weil es cool ist, zusammen abzuhängen, nackt zu sein, Sex zu haben, high zu werden. Männer nimmt er in die Kommune auf mit dem Argument, dass sie jede Frau haben könnten, wenn sie wollten.

Die Frauen sollen ihm sexuell zur Verfügung stehen

Sogar bei Dennis Wilson, einem Mitglied der Beach Boys, kommt die Gruppe zeitweilig unter. Ursprünglich hatte Manson selbst Musiker werden wollen. Die Beach Boys nehmen nun sogar einen Song von ihm auf ("Cease To Exist"), bringen ihn aber zu Mansons Ärger unter einem anderen Titel heraus und ohne seinen Beitrag zu erwähnen. Manson meint, dass ihm eine Entschädigung für diesen Ideendiebstahl zustünde. Er bekommt sie nicht, worauf er seinen Mordplan fasst.

Der Hippie-Traum von der sexuellen Selbstbefreiung wird in Mansons Bannkreis zur Sklavenhaltung. Frauen, die schon länger dabei sind, führen die weiblichen Neumitglieder in die Regeln ein, deren erste lautet: Was Charlie will, geschieht. Schließlich wird der selbsternannte Weltuntergangsguru seine Terrortruppe durch die Hügel von Beverly Hills geleiten mit dem Auftrag, dass die Erfahrenen unter ihnen den Neuen zeigen, wie man einen Menschen fertig macht. Da hat der Manipulator sie dann alle soweit, dass sie in Konkurrenz zueinander bereit sind, moralische Grenzen zu überschreiten. Ein Herr der Fliegen.

Als der Schriftsteller und Erfinder des Gonzo-Journalismus Hunter S. Thompson in den späten 90ern einmal gefragt wird, mit wem er sich identifizieren könne, da fallen ihm zwei Namen ein. Der eine ist Benjamin Franklin, Universalgelehrter und Staatsmann, wegen seiner Liebe zur Elektrizität. Der andere ist Charles Manson, „weil er die Freiheit geliebt hat“. Einer, der das Richtige gewollt hat. "Good", sang auch Neil Young in "Revolution Blues", "but out of control". Die Verbindung von Rebellion und Verbrechen nährt den dunklen Mythos vom Antichrist, als der sich Manson selbst ausrief. Dass er den ersten Mord an dem Musiker Gary Hinman veranlasste, um sich dessen Farm unter den Nagel zu reißen, hat der schwarzen Romantik einer Freiheit nichts anhaben können, die Verbrechen gewissermaßen aus Not begeht. Denn sie hat ihren Ursprung in der Einbildungskraft.

Bis zu seinem Tod lebte er in seiner manischen Fantasie

Der Ermittler, der Manson schließlich endgültig hinter Gitter bringt, sagt dazu: „Ich schicke ihn nur nach Hause.“ Wie die vereinzelten Interviews bis zu Mansons Tod am Montag mit immerhin 83 Jahren zeigen, lebte er in seiner manischen Fantasie fort, unberührt von den Realitäten außerhalb seines Gehirns.

Er steht bis heute für das Ende des Regenbogens, indem er demonstriert hat, was auf die Zertrümmerung von Traditionen folgen kann, nämlich die selbstherrliche Ermächtigung von Leuten, die nichts zu verlieren haben. Im Dezember desselben Jahres stachen Mitglieder der Hell's Angels, die beim Altamont-Festival als Aufpasser angeheuert waren, einen schwarzen Zuschauer nieder. Als hätte sich Mansons Vermächtnis erfüllt.

Viele Musiker sollten seine Songs später adaptieren, Guns 'n Roses etwa, andere bezogen sich in ihren Stücken auf Orte und Namen, die man mit ihm verband. In Sonic Youths "Death Valley '69" ging es um den Rückzugsraum der Family.

Charles Manson ist zum Vorbild vieler diabolischen Filmfiguren geworden, die der Freiheit huldigen und im Verbrechen ein Kunstwerk sehen. Die satanistische Übermalung von Tatorten, Blutschriften an Wänden, die versteckte Hinweise geben, all das Manson-Repertoire des Grauens, findet sich später vor allem im postmodernen Kino wieder. Dass Regisseur Quentin Tarantino die Morde der Family verfilmen will, ist da wie eine Rückkehr zu den Ursprüngen. Denn Generationen von Drehbuchautoren haben sich bei Mansons Gedankengut bedient. Der surfende Bankräuber in „Gefährliche Brandung“, der vom ultimativen Kick erfüllt ist, wäre ohne Mansons ,Erleuchtung’ nicht denkbar. Dass der Rockmusiker Marilyn Manson eine Karriere auf der Verschmelzung zweier Diven gründen konnte, zeigt wie gegenwärtig Mansons finstere Verführung ist.

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