Polen will Regisseur nun doch an USA ausliefern: Roman Polanskis unendliche Flucht
Seit 39 Jahren entzieht sich der polnisch-jüdische Filmemacher der US-Justiz - wegen Sex mit einer 13-Jährigen. Muss er nun auch Polen meiden?
Viele fragen: Was soll das? Einen 82-Jährigen wegen eines Sexualdelikts, das vier Jahrzehnte zurückliegt, noch zu verfolgen - zumal das Opfer gar keine Strafe für den Täter fordert? Doch im Fall Roman Polanski möchte keine Seite nachgeben. Dafür sind die Gegensätze in den Auffassungen über Moral, Rechtskultur und Strafanspruch, die hier aufeinander stoßen, zu grundsätzlich. Und so kommt es, dass Polens neue konservative Regierung den Staatsbürger Polanski an die USA ausliefern möchte, obwohl ein polnisches Gericht im November gegen dieses Auslieferungsbegehren der USA entschieden hatte - damals auf Antrag der bürgerlich-liberalen Vorgängerregierung Polens.
Für Konservative ist er ein Kinderschänder
Polens Konservative sehen in Polanski einen Kinderschänder, der endlich seiner gerechten Strafe zugeführt werden muss. 1977, als er in den USA als Regisseur arbeitete, hatte er nach einem Fotoshooting in Los Angeles Sex mit Samantha Geimer, einem 13-jährigen Mädchen, das unter Alkohol und Drogen stand. Damit beging er eine Straftat und verstieß gegen moralische Gesetze. 1978 bekannte er sich in einem Strafprozess für schuldig, kam 42 Tage hinter Gitter, floh aber vor Festlegung des endgültigen Strafmaßes nach Frankreich. Die USA beantragten einen internationalen Haftbefehl. Seither muss Polanski Staaten vermeiden, in denen er eine Auslieferung befürchten muss.
2009 war er, zum Beispiel, bei einem Besuch in der Schweiz festgenommen worden und stand dort zehn Monate lang unter Hausarrest, bis die Schweizer Justiz das Auslieferungsbegehren ablehnte - wegen formaler Fehler und Unklarheiten in dem juristischen Verfahren. Und nicht etwa, weil das Auslieferungsverlangen der USA an und für sich falsch sei.
Liberale kritisieren eine Amok laufende US-Justiz
Polanskis Verteidiger sehen hingegen in dem Regisseur das Opfer einer "Amok laufenden US-Justiz". So beschrieb Frankreichs früherer Justizminister Jack Lang die Lage. Polanski habe längst mehr Strafe abgebüßt als angemessen sei: die 42 Tage Gefängnis damals in den USA, die zehn Monate Hausarrest in der Schweiz, die Einschränkungen seiner Berufsausübung, weil er als Regisseur, zum Beispiel bei Dreharbeiten, nur noch in den Ländern arbeiten könne, in denen er keine Auslieferung in die USA fürchten muss. Er lebt in Frankreich, hat aber auch eine Wohnung in Krakau - und neben der französischen Staatsbürgerschaft auch noch die seines Geburtslandes Polen. Diese ursprüngliche Heimat wird er wohl auch nicht mehr besuchen können, wenn Polens neuer Justizminister Zbigniew Ziobro Erfolg hat mit der Anfechtung des Gerichtsurteils in der Causa Polanski, in dem die Auslieferung an die USA abgelehnt wurde.
Ein startbereites Flucht-Flugzeug?
Schon die Umstände des Verfahrens im November 2015 in Krakau zeigen die Dramatik: Polanski war in Polen, aber nicht im Gerichtssaal. Er wartete die Entscheidung, wie es hieß, auf dem Flughafen von Krakau ab, wo angeblich ein Privatflugzeug startbereit war, um ihn außer Landes zu bringen, falls Polens Justiz damals auf Auslieferung entschieden hätte.
Wer sich Roman Polanskis Biografie anschaut, wird ohnehin ins Grübeln kommen, ob er im Laufe seines Lebens mehr Opfer oder mehr Täter gewesen ist. Gewiss, erlittenes Unrecht rechtfertigt es nicht, anderen Unrecht anzutun. Es verbietet sich, das eigene Leid direkt aufzurechnen gegen das Leid, das er der 13-jährigen Samantha Geimer angetan hat. Aber die Schicksalsschläge, die ihm widerfuhren, setzen sein Handeln zumindest in Perspektive. Polanski ist jüdisch-polnischer Abstammung. Seine Mutter wurde 1942 in Auschwitz umgebracht. Er überlebte die Naziherrschaft, weil er als angeblicher polnisch-katholischer Junge bei Bauern versteckt wurde.
Seine Frau wurde ermordet
Nach dem Krieg studierte er an der Filmhochschule Lodz. Als Regisseur hatte er mit dem Film "Das Messer im Wasser" 1962 durchschlagenden Erfolg. Er emigrierte in die USA. Seine Filme "Tanz der Vampire" und "Rosemaries Baby" schrieben Geschichte. 1969 wurde seine zweite Frau Tate hochschwanger von Anhängern eines Sektenführers Charles Manson ermordet. Sie hatte die Rolle der Sarah im "Tanz der Vampire" gespielt. Das Verbrechen löste Selbstzweifel und Schuldgefühle bei Polanski aus.
Inwieweit spielten all diese Erlebnisse in seiner Begegnung mit Samantha Geimer 1977 eine Rolle? Die Lager pro und contra Polanski tendieren zu einer Schwarz-Weiß-Sicht, in der er entweder ganz Täter oder ganz Opfer ist. Doch die Umstände sind eher im Graubereich anzusiedeln. Auch die Mutter des Mädchens spielte eine zwielichtige Rolle. Sie stand damals im Ruf, vieles zu versuchen, um ihrer Tochter eine Filmkarriere zu eröffnen. Polanski soll nicht der einzige Mann gewesen sein, mit dem sie ihre Tochter unter zweifelhaften Umständen unbeaufsichtigt allein ließ - in Polanskis Fall unter dem Vorwand angeblicher Probeaufnahmen in leichter Bekleidung.
Das Opfer sagt: Es war keine Vergewaltigung
Der Anklagepunkte Vergewaltigung wurde im damaligen Strafverfahren fallen gelassen. Auch das Opfer, Samantha Geimer, sagt: „Ich würde es nicht Vergewaltigung nennen.“ Sie widerspricht freilich auch Polanskis Darstellung, sie hätten einvernehmlichen Sexualverkehr gehabt. Sie habe unter Alkohol und Drogen gestanden, die Zudringlichkeiten nicht gewollt, aber auch nicht Nein gesagt, weil sie nicht wusste, wie sie ihn abwehren sollte. Geimer ist seit Jahren verheiratet. Sie wünscht ein Ende des Verfahren.
Das freilich ist, formal gesehen, schwierig. Das Verfahren ist nicht abgeschlossen. Polanski hat sich damals durch Flucht entzogen. Die US-Justiz ist gehalten, an ihrem Strafanspruch festzuhalten, bis Polanski zu einer Urteilsverkündung in die USA kommt. Das wird er nicht tun. Im Vergleich zu der Chance, dass auch US-Gerichte anerkennen, dass er mehr Strafe als angemessen verbüßt hat, ist ihm das Risiko zu groß, doch noch verurteilt zu werden.
Grabenkämpfe um die Sexualmoral
Auch die politischen Frontstellungen werden sich nicht einebnen, weder zwischen den Parteilagern in Polen, noch zwischen den Anhängern einer konservativen Sexualmoral in den USA und libertären Sichtweisen in Frankreich und anderen Ländern Europas. Sie treten immer wieder zu Tage, ob es 2011 um den Vorwurf gegen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn geht, im Hotel eine Putzfrau vergewaltigt zu haben, oder nun erneut gegen Polanski. Für einen Teil der US-Bürger hat Polanski damals ein Kind vergewaltigt. Nachsicht in solch einem Fall bestätigt ihr Bild von einem moralisch verlotterten Lebensstil in der Filmbranche in Hollywood und in Teilen Europas. So sehen das auch viele Konservative in Polen, darunter die meisten Mitglieder der Regierungspartei PiS.