Regisseur Oliver Hirschbiegel: „Pädagogenkino? Ohne mich!“
Oliver Hirschbiegel bewundert Edward Snowden, "Sausack" Tarantino und den Hitler-Attentäter Elser. Über Letzteren hat er jetzt einen Film gedreht.
Herr Hirschbiegel, Sie sind schon mit 16 Jahren zur See gefahren und…
...als Küchenjunge! Das ist die unterste Sprosse der Hierarchie auf einem Schiff.
Hatten Sie zu viel „Robinson Crusoe“ gelesen – oder was hat Sie angetrieben?
Nö, Bücher steckten nicht dahinter, auch keine Piratenfilme. Das war immer eine Hamburger Tradition. Wenn man als Bursche keine Lehre gemacht hat oder das Abitur, um zu studieren, war die Schifffahrt eine andere Möglichkeit. Man fängt als Küchenjunge an, klettert die Leiter hoch bis zum Maat, wird Offizier. Das hatte ich aber nie vor.
Was denn dann?
Ich hab die Schule geschmissen, weil ich ganz früh wusste, dass ich Künstler werden will. Und ich war arrogant genug zu sagen, die werden mich schon nehmen, dann ist der Schulabschluss scheißegal. Ich war nach der Mittleren Reife nur zu jung und musste Zeit überbrücken. Also raus auf See, raus in die weite Welt.
Ein Abenteuer.
Gar nicht. Lustigerweise war es ein bisschen langweilig. Kartoffeln schälen in der Kombüse, das Essen in der Messe auftragen, also beim Kapitän und den Offizieren.
Bei hohem Wellengang ist das kein leichter Job.
Dann fand ich das auch richtig geil. Ich fuhr die Route, Hamburg – Rotterdam – New York, auch mal weiter nach Mexiko. Ich hatte gehofft, Sensationen zu erleben, doch meistens stampfte das Ding ruhig in eine Richtung. Das Meer schwappte vor sich hin. Da war nicht viel zu tun außer Deck schrubben.
Sie haben nichts fürs Leben mitgenommen?
Doch! Wie Menschen unterschiedlicher Nationalität Hand in Hand, ohne jede Vorurteile, respektvoll miteinander arbeiten. Und ich habe gelernt, was einen guten Kapitän ausmacht. Der redet möglichst wenig und lebt möglichst viel vor. Das war eine ganz wichtige Lektion für mich.
Wenn ein Kind so jung in die Fremde geht, ist das für die Eltern kein Albtraum?
Meine Mutter fand das auch nicht lustig. Aber mein Bruder hat mit 15 illegal den Polizeifunk abgehört, ist in brennende, einstürzende Häuser geklettert und hat Fotos für die „Bild“-Zeitung geschossen. Sie hatte es nicht ganz leicht mit uns.
Das klingt so gar nicht anthroposophisch, dabei waren Sie auf einer Waldorfschule.
Privat war ich eher mit proletarischen Jungs von der Straße unterwegs. Ich will die Schule gar nicht schlecht machen, ich profitiere bis heute von dem Wissen, es gibt jenseits der materiellen Welt unserer Zivilisation eine immaterielle, es existieren andere Energien, da ist eine Verbindung zur Natur, bei der es nicht nur um die Pflege der Pflanzen geht.
In Ihrer Arbeit widmen Sie sich der realen Welt. Sie haben mit dem „Untergang“ die letzten zwölf Tage von Adolf Hitler verfilmt und nun das Leben von Georg Elser, der Hitler töten wollte.
Mein Interesse an der Nazizeit war immer groß, doch ich wollte nach dem „Untergang“ eigentlich nicht noch einmal dahin zurück.
Wieso?
Da ist wenig Positives, genau genommen überhaupt nichts Positives, auch nichts Originelles, man ruft unangenehme Geister wach. Wild gewordene Kleinbürger, diese Mentalität hat mir zeitlebens Beklemmungen gemacht. Doch als man mir das Drehbuch zu Georg Elser gab, hatte ich das Gefühl, das muss erzählt werden.
Georg Elser war ein schwäbischer Tischler, 36 Jahre alt, der ganz allein eine technisch komplizierte Bombe baute und 1939 im Münchner Bürgerbräukeller in einer Säule versteckte.
Ich fühle mich diesem Mann sehr verbunden, ihm war die Freiheit des Wortes und der Bewegung wichtig, die Individualität. Mir auch, schon als Kind.
Die Detonation erfolgte am 8. November 1939 pünktlich wie geplant, doch Hitler entging dem Anschlag um 13 Minuten, weil er seine Rede vorzeitig beendete.
Der historische Witz ist, die hatten es so eilig, weil tags darauf in Berlin alle zur großen Lage zusammenkamen, um eine Entscheidung über den Frankreich-Feldzug zu fällen. Das ist irre, oder?
Ein Tischler, hellsichtiger als alle anderen Deutschen
Ein interessantes Gedankenspiel: Was wäre geschehen, wenn Hitler wie vorgesehen unter den Trümmern gestorben wäre?
Nach meiner Einschätzung hätte der Frankreich-Feldzug noch stattgefunden. Es gab genug revanchistische Fraktionen in der Wehrmacht, die sagten, der Plan von General Guderian ist genial, das machen wir jetzt. Die Vorbereitungen waren weit gediehen, die Waffen bereit. Doch den Russland-Feldzug hätte es unter keinen Umständen gegeben – das war komplett verstiegener Wahnsinn. Und auch der Holocaust wäre definitiv verhindert worden. Wir reden also, bei einem Erfolg von Elser, über mindestens 50 Millionen gerettete Leben!
Oder die Deutschen hätten Hitler auf der Höhe seines Ruhms in Erinnerung behalten. Einen gemäßigten Nationalsozialismus in einem Land voller Hitler-Denkmäler können Sie sich nicht vorstellen?
Es wäre ja nicht nur Hitler gestorben, um ihn herum saß im Bürgerbräukeller die erste Riege, Himmler, Hess…, die ganze Bande. Alle tot. Außer Bormann, und der hätte nichts auf die Reihe bekommen; er war ein erstklassiger Intrigant, gerissen, aber keine Führungspersönlichkeit. Nein, die Sache war definiert über die Figur Adolf Hitler, alle waren an seine Energie angedockt, ohne ihn wäre die Bewegung ins Leere gelaufen.
Georg Elser wurde geschnappt, gefoltert, ins KZ gesteckt und kurz vor Kriegsende in Dachau erschossen. Im Nachkriegsdeutschland kam er nicht vor.
Er war eine Unperson, wie dann auch Stauffenberg und die Verschwörer des 20. Juli 1944, sie galten als Verräter. Es dauerte bis Ende der 60er Jahre, ehe diese Leute Anerkennung erfuhren.
Die Militärs um Stauffenberg haben das Kriegstreiben lange Jahre mitgemacht, während Elser schon 1939 nach dem Polen-Feldzug als Grund für sein Attentat angab: „Den Krieg vermeiden, durch meine Tat noch größeres Blutvergießen verhindern.“
Damit führt Elser eine beliebte Ausrede ad absurdum: Wir wussten von nichts, wir hatten keine Ahnung. Dieser Tischler wusste. Er ist hellsichtiger als alle anderen Deutschen, er verlässt nicht das Land, er sagt: Da muss man was machen. Und tut es im Alleingang. 13 Minuten, zigmillionen Tote weniger, unvorstellbar! Er handelt aus tiefster innerster Bedrängung, er sieht, da werden die Menschenrechte eingeschränkt, er sieht, da werden Personengruppen ausgegrenzt. Es gehört nicht viel Fantasie dazu zu sagen, das ist nicht gut. Aber die Fantasie zu haben, das wird eine Feuerwalze auslösen, das reicht viel weiter. Deshalb lasse ich im Film auch einen Trupp geschorener Gefangener durch Elsers Heimatdorf marschieren, das ist ja überall passiert. Konzentrationslager gab es ab 1933.
Wann sind Sie Elser das erste Mal begegnet?
Das muss noch in meiner Schulzeit gewesen sein. Er wurde geschildert als gestörter Einzelgänger mit einer wahnhaften Idee. Dann habe ich die Konstruktionspläne seiner Höllenmaschine gesehen, so nannte er das, die waren absolut genial. Er war Bastler, konnte Uhren reparieren, komplexe Zeitzünder bauen, er war ein vielseitiger Musiker… Ich dachte, entweder war der wirklich irre, oder das ist alles eine große Lüge.
Der Dramatiker Rolf Hochhuth setzte sich früh für das Gedenken an Georg Elser ein, er schrieb: „Dies Volk liebt zwar die Freiheit / doch nicht jene / die starben, um es zu befreien.“
Da ist was dran. Und dann galt der Elser auch noch als Kommunist, das war im Westdeutschland der 60er und 70er Jahre ein absolutes No-Go. Gegen die verhängte man Berufsverbote.
Auch in der so antifaschistischen DDR kam Georg Elser nicht vor. Warum?
Das habe ich mich auch gefragt und bei meinen Recherchen mit Leuten geredet, die in der DDR aufwuchsen. Die sagten mir, man habe in der Schule über Elser gesprochen. Er wurde nicht als Held gefeiert wie ein Ernst Thälmann, aber wohl als Widerstandskämpfer gesehen. Plätze, Schulen oder Straßen wurden allerdings nie nach ihm benannt, erstaunlich. Ich möchte den Mann endlich respektiert und bewundert sehen. Wissen Sie, er erinnert mich etwas an Edward Snowden.
Bitte?
Ja, der hat auch ganz für sich entschieden, es muss gegen die Geheimdienste etwas unternommen werden, die missbrauchen ihre Macht, bespitzeln Bürger und Politiker, untergraben die Demokratie. Da werden Privatsphäre und Freiheit brutal und widerlich verletzt. Elser und Snowden, beide handeln selbstlos, beide verlassen ihre Heimat, beide verlassen ihre Freundinnen, sie geben alles auf. Es ist beschämend, dass Snowden im totalitären Russland sitzen muss und bei uns kein Asyl bekommt.
Geht Hitler immer?
Wie sollen denn die Zuschauer Ihres Films diesen Elser in Erinnerung behalten?
Als neugierigen Weltbürger, einen Freund der Musik, der Frauen und der Freiheit, mit gesundem Menschenverstand und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Sein Weg war nicht das Argument, die Diskussion, er war nicht organisiert und wollte niemandem eine politische Idee aufdrängen. In den 60er-Jahren hätte man gesagt: ein Hippie.
Der „Spiegel“ macht seit Jahrzehnten immer wieder Titelgeschichten über die Nazis, die Redaktion witzelt: „Hitler geht immer.“ Gilt das fürs Kino auch?
Jetzt werden Sie unverschämt! Sie unterstellen mir als Künstler, ich würde so strategisch denken? Wenn ich so ein Thema mache, setze ich mich monatelang hin und recherchiere, es geht da nicht um wohlfeile zwölf Seiten im „Spiegel“, so ein Film muss 50 Jahre lang Bestand haben.
Im Elser-Film gibt es die Figur des Arthur Nebe, Chef der Reichspolizei und SS-Gruppenführer, gespielt von Burkard Klaußner. Der kommt recht sympathisch daher…
…ja, finden Sie?
Man muss schon genau aufpassen, um mitzukriegen, dass der freundliche Herr Nebe am Telefon bei der IG Farben Unkrautvernichtungsmittel bestellt.
Was ist denn mit euch los? Ihr seid so schablonisiert in eurer Wahrnehmung! Ein Nazi muss immer böse sein und ein Schwein.
Nun lassen Sie doch mal…
…Entschuldigung, es geht mir auf den Sack! Der Typ ist Polizist, er vernimmt den Elser, und wie alle Kriminaler operiert er nach dem Prinzip: good cop – bad cop. Nebe ist ein Meister dieser Kunst, er gibt den guten Bullen, das ist es, was Sie sehen. Nur weil er ein strammer Nazi ist, macht er das doch nicht anders. Er will einen Fall lösen. Ihr seid so… – ach, das macht mich wahnsinnig! Der Nebe steht regungslos dabei, als Elser auf brutale Weise mit dem Ochsenziemer geprügelt wird. Was ist da missverständlich?
Herr Hirschbiegel, beruhigen Sie sich.
Ihr wollt Pädagogenkino! Das kann ich nicht liefern, ich nehme meine Zuschauer ernst.
Sie arbeiten meist mit historischen Stoffen, Prinzessin Diana, Hitler, Elser. Reizt es Sie nicht, mal Tarantino-artig alle Nazis in die Luft fliegen und Elser zum Helden werden zu lassen?
Quentin Tarantino gehört zu den zehn besten lebenden Regisseuren, und der Sausack schreibt auch noch selbst brillante Drehbücher, mit Mut und Konsequenz. Ich bin ja kein schlechter Autor, ich bin überhaupt keiner. Ich würde mir die Finger lecken nach einem Tarantino-Skript.
Die Historie setzt Grenzen, man weiß immer, wie es ausgeht: Hitler stirbt, Lady Di stirbt, Elser stirbt.
Diese Limitierung empfinde ich als sehr fruchtbar. Wenn ich eingeschränkt bin in meiner Fantasie, wird die Fantasie umso mehr angestachelt, Realität herzustellen. Der Zuschauer spürt und weiß, das ist rekonstruierte Wirklichkeit und nicht Erfindung, oder Behauptung von Wirklichkeit, was Kino ja immer ist. Die Figur des Elser hat historisch so viele Lücken, es ist auch ein Reiz, diese zu füllen. Von Hitler gibt es Tausende von Fotos, von Elser nur sieben oder acht. Doch diese Fotos sind eine wunderbare Quelle. Die Frauen haben gesagt, der Elser war schön und so höflich. Nach und nach setzt sich ein Bild zusammen. Dann schaue ich mir sein Horoskop an. Er war Steinbock, und …
… jetzt veralbern Sie uns!
Nein. Das ist eine Informationsquelle, die Sternenkunde ist jahrtausendealt, die modernen Wissenschaften sind deutlich jünger. Die Weisheit der Astrologie findet man in allen Kulturen, die Trefferquote ist erstaunlich hoch.
Als Katja Eichinger ihm die Karten legte
Was sagt das nun über Georg Elser?
Der Steinbock ist ein Kletterer, der nie aufgibt, der auch lange Umwege in Kauf nimmt, ein Marathonläufer und Asket. Und die erste Dekade, in die Elser geboren ist, ist abenteuerlustiger als die zweite und dritte, es gibt den Aspekt von Neugier. Das ist eine Quelle, Tarot ist eine andere.
Sie lassen sich die Karten legen?
Nie, da habe ich Angst vor. Doch neulich hat die Katja Eichinger mir die Karten gelegt, die ist darin sehr gut, und ich habe vergessen, mich zu wehren. Ein Superblatt, besser geht es gar nicht, insofern war ich ganz froh, dass ich mich drauf eingelassen hab. Das gilt für ein ganzes Jahr. Man darf das aber auf keinen Fall zu oft machen.
Elser wurde an der Grenze zur Schweiz verhaftet, der Beamte hieß Walter Zipperer. Der bekam von den Nazis eine Belohnung und 1978 das Bundesverdienstkreuz für seine Erfolge als Geschäftsmann.
Ein ganz normaler Deutscher eben. Er ist beim Zoll, er macht seinen Job, was willste ihm vorwerfen? Das Verdienstkreuz bekam er vielleicht zu Recht, er war ja kein Kriegsverbrecher.
Die „Badische Zeitung“ zitierte ihn so: „Hätte ich Dienst nach Vorschrift gemacht, wäre Elser nicht gesehen und gefasst worden.“
So ein eitler Wichtigtuer. Es gibt zu allen Zeiten diese stummen Mitmacher, den Beruf behaltend, aber sind wir das nicht alle, wenn wir nicht wie Elser oder Snowden rufen: Moment mal! Oh Gott, jetzt werde ich selber pädagogisch.
Nach einer aktuellen Studie wollen 81 Prozent der Deutschen vom Thema Holocaust nichts mehr wissen. Muss nicht mal Schluss sein damit?
Nein, da darf nicht Schluss sein. Wir sind, ob uns das gefällt oder nicht, bis ans Ende der Tage das Volk der Täter, verantwortlich für die grauenhaftesten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Diese Schuld wird nie abgetragen sein. Da kommen wir nicht raus.
Die Filmbesprechung zu "Elser" finden Sie hier.
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