Neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte: Das wahre Gesicht des Widerstands
Ein kopfstarker Einzeltäter, jugendliche Piraten – und Verschwörer, die Verbrecher waren: Ein Rundgang durch die neu gestaltete Dauerausstellung in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Gesichter sind bereits im Treppenhaus zu sehen, an allen Wänden. Porträts von Menschen, die dem Nazi-Regime zwischen 1933 und 1945 Widerstand geleistet haben. Menschen, die den Terror der Gestapo zumeist nicht überlebt haben, aus allen Schichten, Berufen, Konfessionen. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist längst kein Erinnerungsort allein für die Offiziere mehr, die sich zum Attentat des 20. Juli 1944 verschworen hatten. Aber sie ist es nun, mit der Anfang des Monats und damit kurz vor dem 70. Jahrestag des Umsturzversuchs eröffneten Neugestaltung, erst recht nicht mehr.
Hinter der sich über Jahrzehnte hinziehenden Neubewertung des Widerstands stehen die beiden Leiter der Gedenkstätte: Der früher an der FU Berlin lehrende und mittlerweile emeritierte Historiker Peter Steinbach und der Politikwissenschaftler Johannes Tuchel haben stets die Breite des Widerstandes gegen das NS-Regime in den Blick genommen und dokumentiert. Das fand nicht immer Beifall. Noch 1988 forderte der damalige Bundeskanzler Kohl von der Gedenkstätte, sie müsse zeigen, „warum aus unserer Sicht nur der Widerstand Würdigung erfahren sollte, der auf freiheitlich-demokratische Ziele gerichtet war“.
Für jede Richtung des Widerstands ein eigener Raum
Derlei ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Niemand wird mehr wegen der politischen Überzeugungen ausgeschlossen, die ihn zum Widerstand trieben. Genau dem trägt die neue Präsentation Rechnung. Sie hält für jede Richtung des Widerstands einen eigenen Raum bereit, ob militärischen, christlichen, jüdischen oder kommunistischen Ursprungs, ob von Arbeitern, Jugendlichen, Künstlern oder Einzeltätern wie dem so lange verkannten Georg Elser.
Gerade der Tischler Elser war lange Zeit in beschämender Weise übergangen worden, er, der ganz auf sich gestellt das Sprengstoffattentat vom 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller vorbereitete, das dann wegen Hitlers unvorhersehbar frühem Fortgang scheiterte. Als Einzeltäter – was ihm die Gestapo bekanntlich nicht glauben wollte – ließ sich Elser nicht in das nach 1945 geschönte Bild vom kopfstarken und organisierten Widerstand integrieren. Und nicht zuletzt widerlegte Elsers Tat die bequeme Behauptung, man habe 1939 „nicht wissen können“, wohin der Krieg führt. Elser sah es voraus. Und handelte.
Biographien sind auch in ihren dunkelsten Kapiteln nachzulesen
Um einzelne Biografien hatte es auch jüngst noch Diskussionen oder eher Randbemerkungen gegeben. Ein Vorwurf an die alte Dauerausstellung lautete, bei den militärischen Widerständlern würde verschwiegen, dass sie vor 1944 zumeist noch einen deutschen Sieg im Krieg gewünscht hatten, ja dass manche unmittelbar in die Terror- und Vernichtungsaktionen der Wehrmacht verstrickt waren. In der neuen Ausstellung nun sind die Biografien an Touchscreens bis ins Detail auch ihrer dunkelsten Kapitel nachzulesen. Dabei ergeben sich differenzierte Persönlichkeitsbilder und Handlungsweisen, die dem Urteilsvermögen der Betrachter einiges zumuten.
Das geht hin bis zu so problematischen Figuren wie Kurt Gerstein, der im Dienste der SS Massenvernichtungsmittel, darunter Zyklon B, optimieren sollte. Während des Krieges versuchte er, das Ausland über den Massenmord zu informieren. In den Nürnberger Prozessen zählte sein Bericht zu den Beweismitteln. Doch die Rolle Gersteins, der bald nach Kriegsende unter ungeklärten Umständen in französischer Gefangenschaft umkam, bleibt unter Historikern umstritten.
General Eduard Wagner hatte die Blockade Leningrads gerechtfertigt
Arthur Nebe, der Kripochef im „Reichssicherheitshauptamt“, dieser Zentralbürokratie der SS-Täter, wurde als Mitwisser des 20. Juli vom „Volksgerichtshof“ noch 1945 zum Tode verurteilt. Und doch war er 1941 Leiter einer der vier berüchtigten „Einsatzgruppen“ der SS gewesen, die gleich nach dem Einfall in die Sowjetunion Hunderttausende von Juden niedermetzelten. Oder General Eduard Wagner, der Stauffenberg das Flugzeug für den Flug zum Attentat im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ bereitstellte und nach dessen Scheitern Selbstmord beging. Als Generalquartiermeister der Wehrmacht hatte er im September 1941 die Blockade Leningrads gerechtfertigt: „Zunächst muß man ja Petersburg schmoren lassen, was sollen wir mit einer 3 1/2 Mill. Stadt, die sich nur auf unser Verpflegungsportemonnaie legt. Sentimentalitäten gibt’s dabei nicht.“
Der Widerstand war eben nicht das eine einzig Richtige und Eindeutige, zu dem er nach 1945 in beiden Teilen Deutschlands verklärt wurde. „Völlig unakzeptabel“ empfand es Steinbach schon 1989, „einen ,roten Faden’ durch die Widerstandsgeschichte zu legen, indem nach den unterschiedlichen Zielen der Regimegegner, selektierend wertend, gefragt werden sollte.“
Die Gedenkstätte will heute in erster Linie zeigen, „welche Handlungsmöglichkeiten unter den Bedingungen der Diktatur bestanden“, sagt Johannes Tuchel. Bei der ganzen Breite und Vielfalt der Regimegegnerschaft dürfe man nicht vergessen, „dass es nur eine Minderheit war, die Widerstand leistete“. Darin steckt durchaus eine pädagogische Absicht, erkennbar etwa in einem der sehr wenigen originalen Objekte, die nach der Neugestaltung in der Dauerausstellung noch gezeigt werden: einer zeitgenössischen Schreibmaschine, auf der Flugblätter und geheime Rundschreiben getippt wurden. Widerstandsgruppen aus gewerkschaftlich-proletarischem und studentisch-jugendlichem Milieu ließen sie zirkulieren.
Die Edelweißpiraten wurden wegen Flugschriften zum Tode verurteilt
Es gab damals kein Internet, kein Twitter und kaum auch nur Telefon, ruft Tuchel in Erinnerung, was heutige Besucher leicht übersehen könnten. In einem Raum findet sich die Auflistung der Gestapo, in welchen Postämtern welche Sendung in welchem Umschlag aufgegeben worden war. Einige der Empfänger, die mit anonymen Schreiben wachgerüttelt werden sollten, hatten sie gehorsamst bei der Staatsmacht abgeliefert. Oder das Beispiel der Kölner „Edelweißpiraten“: Auch Minderjährige wurden wegen solcher Flugschriften zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. So gelingt es der Gedenkstätte, gerade den zahlreichen jugendlichen Besuchern die Schwierigkeiten und Gefahren selbst des geringsten Aufbegehrens begreiflich zu machen.
Und doch liegt ganz falsch, wer in der Präsentation der Gedenkstätte eine Schulveranstaltung vermutete. „Wir arbeiten angebotsorientiert“, sagt Tuchel. „Der Besucher entscheidet selbst, welche Themen er sich wie lange anschauen möchte.“ Immer, so zeige die Erfahrung mit den Besuchern, gehe es um vier Fragen: Wer ist es gewesen? Was haben sie gemacht? Welchem Risiko haben sie sich ausgesetzt? Und was ist aus ihnen geworden? Die stark biografische Ausrichtung erleichtert den Zugang. Dabei verläuft die Präsentation zweigleisig: Zum einen werden an Schautafeln die Protagonisten des Widerstandes in möglichst zeitgenössischen Fotografien gezeigt, wo möglich im Kontext ihrer damaligen Aktivitäten, ob Werftarbeit oder Wandergruppe.
Die frühere Überfülle von Dokumenten wurde gelichtet
Begleitet werden die Bilder von auffällig knapp gehaltenen schriftlichen Erläuterungen. Zum anderen aber wird in jedem Raum die gesamte dort versammelte Information auf einem Monitor zur Verfügung gestellt, der in mehreren, anklickbaren Ebenen Näheres zu einer einzelnen Person, ihren Handlungen und dem Inhalt etwa von Briefen zeigt. Ein Audioguide und die zu erwerbenden Broschüren sowohl zur Gesamtdarstellung als auch einem jeden einzelnen Raum – sechs von 18 Heften sind bereits verfügbar – vervollständigen das Informationsangebot.
Dass die frühere Überfülle der Texttafeln, Dokumente, Fotografien deutlich gelichtet wurde, tut der Aussage und dem Gehalt keinen Abbruch. Die Gedenkstätte muss keine Grundkenntnisse über das NS-Regime und seine Kriegs- und Vernichtungspolitik vermitteln. Sie sind in den einschlägigen Museen und Gedenkstätten wie der Topographie des Terrors heute in großer Dichte vorhanden.
Vielmehr hat die Gedenkstätte Deutscher Widerstand sich den Satz zu eigen gemacht, der in einem der ersten Räume groß an der Wand zu lesen ist. Er stammt von dem tschechischen, 1943 in Berlin-Plötzensee ermordeten Schriftsteller Julius Fucik: „Ich möchte, dass man weiß: dass es keinen namenlosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und dass deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht geringer ist als der Schmerz des ersten, dessen Name erhalten bleibt.“
Genau das geschieht, nach mancherlei Windungen und Wandlungen sowohl der Fachhistoriografie wie auch der öffentlichen Meinung, in der Gedenkstätte Stauffenbergstraße.
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