Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler: Die Verweigerer
Wer gehörte zum Widerstand gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime? 70 Jahre nach dem Attentat vom 20. Juli ist der Streit im Grundsatz entschieden, schreibt der Historiker Wolfgang Benz.
Wer leistete Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft – und warum? Die einen taten es aus politischer oder religiöser Überzeugung, die anderen aus Einsicht in die Natur des Regimes. Deutsche konnten sich aus Entsetzen und Scham über die Verbrechen, die von Staats wegen begangen wurden, auflehnen oder aus Anstand und Mitleid mit den Opfern. Die Erinnerung an den Widerstand war wie die Nationen geteilt: Die Bürger der beiden deutschen Staaten, die auf den Trümmern des Deutschen Reiches und belastet vom nationalsozialistischen Erbe gegründet waren, lebten mit ganz unterschiedlichen Bildern vom Widerstand. Eine komplexe Motivlage also, die auch 70 Jahre nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 noch der Entwirrung bedarf.
Das Recht auf Widerstand gegen das Unrechtsregime zu beschwören, gehörte zwar zum ethischen Fundament der Bonner Staatsgründung, aber nicht zur Erinnerungskultur. Denn es war für viele schwer zu verstehen, die in älteren Traditionen der Pflicht zu Treue und Gefolgschaft, zu unbedingtem Patriotismus lebten. Ihnen gingen Formen über Inhalte, sie hielten den Offizierseid auch gegenüber dem Mordregime für gültig.
Politiker der frühen Bundesrepublik aus der "inneren Emigration"
Die Politiker der Bundesrepublik reklamierten den 20. Juli und die Geschwister Scholl für die Ideale Freiheit und Rechtsstaat, Vaterland und Landesverteidigung. Doch die Schlüsselfrage kam spät auf die Agenda: Wie viel Anteil der Widerstand gegen Hitler intentional am zweiten deutschen Anlauf hatte, Demokratie als parlamentarisches System zu gründen. Die Politiker des Neubeginns in Bonn kamen weder aus dem Widerstand noch aus dem Exil. Sie vertraten die „innere Emigration“ und knüpften an ihr Wirken in der Weimarer Republik an.
Thälmann, Baum und Saefkow der Systemkonkurrenz geopfert
Gleichzeitig wurden im Widerstandsbild der Bundesrepublik wichtige Facetten marginalisiert. Man opferte sie der Systemkonkurrenz zur DDR. Das galt in erster Linie für Kommunisten und linke Sozialisten, aber auch für Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Die DDR wiederum stellte sich dar als moralisch überlegenes Ergebnis kommunistischen Widerstands und dadurch legitimiert. Die Pankower Staatsräson reduzierte den Widerstand kurzerhand auf den einen, staatstragenden Aspekt, der Märtyrer und Heroen brauchte. Sie hießen Ernst Thälmann, Herbert Baum, Anton Saefkow, Franz Jacob oder Georg Schumann. Sie waren aber trotz der Instrumentalisierung durch die SED nicht nur doktrinäre Stalinisten, sondern sie kämpften gegen Hitlers Unrechtsstaat, wenngleich sie andere Utopien hatten als die konservative und bürgerliche Opposition.
Warum kam der Widerstand der Bürgerlichen so spät?
Erinnerung ist nicht statisch, auch die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist ein lebendiger Prozess. Ein Beispiel ist das Attentat 1939 im Münchner Bürgerbräukeller, das wegen eines trivialen Zufalls scheiterte. Wegen der Alleintäterschaft Georg Elsers – „ein Mann aus dem Volke“ wollte aus ethischen Erwägungen den Diktator und seine gefährlichsten Helfer töten – stand der Anschlag lange Zeit im Odium des Dubiosen. Die bequeme Version, es sei eine Inszenierung der Nationalsozialisten gewesen, trug auch in der Nachhitlerzeit, weil sie das Nachdenken über den späten Start der Opposition der konservativen Eliten ersparte. Warum brauchten Beamte und Diplomaten, Gelehrte und Bildungsbürger so viel länger, um den Unrechtscharakter des Regimes im Inneren und seine Aggressivität nach außen zu erkennen, als der Schreinergeselle Elser? Warum wurde der Widerstand von Kommunisten und Sozialisten, der schon vor der „Machtergreifung“ einsetzte, von der bürgerlichen Gesellschaft ignoriert? Erst der Brandauer-Film verhalf Elser zur Popularität und Gerechtigkeit.
Stauffenberg: Kein Superheld, wie ihn Tom Cruise verkörperte
Auch über politische und intellektuelle Positionen des Grafen Stauffenberg kann man streiten. In seinem Weltbild hatten elitäre und antidemokratische Elemente Bedeutung, er war Nationalist und sympathisierte lange Zeit mit der Hitlerpartei. Zum Start des Hollywood-Films „Operation Walküre“ wies der britische Historiker Richard J. Evans, ein exzellenter Kenner des Dritten Reiches, ein weiteres Mal darauf hin. Sehr energisch trat ihm Karl Heinz Bohrer, Literaturprofessor und Herausgeber des „Merkur“ entgegen. Er nannte den Differenzierungsversuch ehrabschneiderisch und verleumderisch, naiv und scheinheilig. Dabei war es Evans nur darum gegangen, Stauffenberg nicht als den moralischen Superhelden zu verklären, den der Schauspieler Tom Cruise verkörperte.
Drei Beispiele: Jüdischer Widerstand, Nationalkomitee und Deserteure
In der Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler gibt es Konjunkturen, Meinungen, Diskurse, Kontroversen. Das hat politische, wissenschaftliche und emotionale Gründe. An drei Beispielen können die Probleme verdeutlicht werden: am jüdischen Widerstand, am kommunistischen Nationalkomitee Freies Deutschland und am Problem, Deserteuren und Opfern der Wehrmachtjustiz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Das Bedürfnis, von kraftvollem und würdigem jüdischen Widerstand zu erzählen und dieses Narrativ in der historischen Tradition zu verankern, hat nachvollziehbare politische Gründe. Die Geschichtswissenschaft kann ihnen aber weithin nicht entsprechen. Die Aufstände in Ghettos und Vernichtungslagern auf polnischem Territorium, der bewunderungswürdige Heroismus im Warschauer Ghetto und die Existenz jüdischer Partisanen in Weißrussland sind nicht repräsentativ für einen jüdischen Widerstand, der in Deutschland und im west- und mitteleuropäischen Machtbereich des Nationalsozialismus gar nicht geleistet werden konnte. Auch deshalb wurde jüdischer Widerstand erst spät in der Erinnerungskultur kanonisiert.
Lange Zeit unbeachtet blieben auch die wenigen, die ihre Abneigung gegen den NS-Staat durch Hilfe für verfolgte Juden zum Ausdruck brachten. Der Ehrentitel „Stille Helden“ wurde nachträglich geprägt. Heute sind sie in der öffentlichen Erinnerung des Widerstands zu Recht präsent.
Der Ursprung des Nationalkomitees ist kein Ausschlusskriterium
Sowjetische Offiziere und deutsche kommunistische Emigranten warben im Sommer 1943 unter den gefangenen deutschen Offizieren für die Ziele des „Nationalkomitees Freies Deutschland“. Die deutschen Offiziere sahen ihre Erwartungen in zweifacher Hinsicht bald enttäuscht: Zum einen blieben die Appelle des Nationalkomitees wirkungslos. Zum anderen gingen die Hoffnungen, die Kluft zwischen der kommunistischen Ideologie und dem bürgerlichen Nationalbewusstsein der deutschen Soldaten zu überwinden, nicht in Erfüllung. Weder die Wirkungslosigkeit des „Nationalkomitees“ noch seine Gründung durch die Stalindiktatur und die kommunistische Dominanz können Gründe sein, es aus der Erinnerung als Widerstand auszuschließen. Denn die Hoffnung, der Hitlerdiktatur und einem längst verlorenen Krieg ein Ende zu bereiten, gar unter der Aussicht, den territorialen Bestand des Deutschen Reiches zu bewahren, stand ja keineswegs im Gegensatz zu den Zielen des Goerdeler-Kreises oder der Offiziere des 20. Juli.
Widerstand gegen die Ziele des NS-Regimes leisteten auch Deserteure. Die Opfer der drakonischen NS-Militärjustiz blieben jedoch als Vaterlandsverräter und als Drückeberger verfemt. Erst 2002 hob der Deutsche Bundestag die Urteile gnadenloser Wehrmachtsrichter pauschal auf.
Begeisterte Zustimmung, Treue trotz Resignation. Und Widerstand
Die eine Erinnerungskonkurrenz um das Geschichtsbild drängte lange das eigentliche Problem in den Hintergrund: Warum leisteten so wenige Widerstand, warum regte sich die Opposition gegen das Regime so spät und warum war sie so wenig erfolgreich? Aus dem einst diffusen Bild der Deutschen zwischen Gefolgschaft und Widerstand ergibt sich in heutiger Sicht eine Trias der Optionen: Die Mehrheit verfiel aus der Haltung begeisterter Zustimmung in Resignation. Trotzdem blieben die meisten dem Regime in unreflektierter Ergebenheit treu. Doch eine nicht unbeträchtliche Minderheit hat sich dem Regime dauerhaft verweigert.
Die andere Erinnerungskonkurrenz, die über das Ende der DDR hinaus wirkte, ist 70 Jahre nach dem Attentat des 20. Juli dem Konsens gewichen: Legitimen Widerstand gegen den NS-Staat leisteten nicht nur die Offiziere um Stauffenberg, die Studenten der Weißen Rose, die konservativen Bürger. Widerstand erwuchs aus vielen politischen und moralischen Beweggründen, von Kommunisten und Zeugen Jehovas, von Jugendlichen, von Sozialdemokraten, von Intellektuellen und von Einzelnen.
Von Wolfgang Benz, Historiker in Berlin, erschien in diesem Jahr „Der deutsche Widerstand gegen Hitler“ (C. H. Beck). Zum 70. Jahrestag des Attentats von 1944 hielt Benz auf Einladung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand einen Festvortrag.
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