Atelierbesuch bei Isabel Vollrath: Nähen für die hohe Kunst
In einem ehemaligen Kohlenkeller schafft die Designerin Isabel Vollrath handwerklich perfekte Mode. Die hat es verdient, ans Licht zu kommen.
Wer an einem sonnigen Tag ins Atelier von Isabel Vollrath hinabsteigt, muss erst einmal die Augen zusammenkneifen. Da stehen wundersame Wesen im Halbdunkel, steife Ärmel strecken sich dem Besucher entgegen, ein aufgebauschter Tüllrock ragt aus einem dicht behängten Kleiderständer heraus. Und was haben die zertanzten Spitzenschuhe aus dem Fundus des Staatsballets zu bedeuten, die da in einer Ecke auf dem Boden aufgehäuft sind? Daneben steht eine Tasche, die aus solchen Ballettschuhen zusammengesetzt wurde. Wenn sich die Augen an das Halbdunkel des Souterrains gewöhnt haben, entdeckt man die wohl ungewöhnlichste Ansammlung von Kleidungsstücken, die sich in Berlin finden lässt. Die Designerin Isabel Vollrath hat einen ehemaligen Kohlenkeller in der Linienstraße mit ihren Entwürfen in eine Schatzkammer verwandelt.
Im vorderen Raum hängen dicht an dicht ihre Kollektionen aus den vergangenen Jahren, die sich zu einem komplexen Kunstwerk zusammensetzen. Kein Wunder, dass so mancher Besucher verwirrt fragt, ob er sich in eine Installation verirrt hat. Aber das macht Isabel Vollrath schnell klar: Sie will keine Kunst machen, sondern Mode, die diesen Raum verlassen soll. Wobei sie auch nichts dagegen hat, wenn man ihre Kleider erst einmal genau betrachtet.
Und damit kann man so schnell nicht mehr aufhören, so viel gibt es zu entdecken. Da ist die Jacke, in die ein Korsett eingenäht ist, das Kleid aus alten bedruckten Säcken, der Mantel, der vorne mit vielen Schlaufen und Bändern geschlossen wird, das Top, gestrickt aus hautfarbenen Strumpfhosen und mit selbstgedrehten Stoffrosen besetzt. Oder das Kleid Kolibri, das so heißt, weil es mit seinem hellblauen Tüllrock an den zarten Vogel erinnert und auch weil es dazu eine Geschichte gibt: Eines Tages flog ein Vogel ins Atelier und versteckte sich panisch unter dem Rock. Erst am nächsten Tag konnte die Designerin den Vogel fangen. Als sie ihn vor der Tür fliegen ließ, applaudierten die Nachbarn.
Ganz hinten hängt ihre jüngste Kollektion für den nächsten Sommer, Kleider aus rotem Karostoff, hinten mit einer großen Schleife gebunden, Hosen- und Ärmelsäume enden in einer Löffelform. Aus einem Meter Kreppstoff, den sie von ihrer Mutter geschenkt bekam, fertigte sie eine kleine Jacke mit Kellerfalte. Für ihre Kunst braucht sie keine teuren Stoffe. „Mir reicht Baumwolle für sieben Euro, kostbar wird es durch die Arbeitszeit und die aufwendigen Schnitte.“
Keine Kunst ohne Handwerk – wenn das auf jemanden zutrifft, dann auf Isabel Vollrath. Ihr reicht es nicht, eine Idee zu entwickeln, die sie von anderen umsetzen lässt, sie muss sich selbst mit ihren Händen daran abarbeiten. „Ich muss den Stoff formen.“ Wie es anders gehen soll, weiß Isabel Vollrath nicht. Aber sie weiß, was sie kann. Sie ließ sich zur Herrenschneiderin in Baden-Baden ausbilden. Ein Scheich aus Ägypten, der Schlagersänger Toni Marschall gehörten zu den Kunden. Ihr Meister hoffte, dass sie, sein letzter Lehrling, die Werkstatt übernehmen würde. Das Talent hatte die junge Frau aus dem Schwarzwald, aber nicht die Geduld. Sie wollte mehr als präzise gearbeitete Maßanzüge nähen und ging zum Modestudium an die Kunsthochschule Weißensee in Berlin. Auch wenn sie noch ab und zu Knopflöcher für einen Herrenschneider in Berlin stickt – weil das niemand so gut kann wie sie – für Männer könnte sie heute nichts mehr herstellen. Zu sehr steht ihr der Hang zur Perfektion im Weg, den sie aber bei ihren Entwürfen für Frauen nutzt, um Unerwartetes zu kreieren.
So jemand braucht Förderer. Die hat sie in dem Sammlerehepaar Angelika und Fritz Stahlberg aus Nürnberg gefunden. Das kaufte erst eine Tasche und finanzierte dann vier Modenschauen auf der Mercedes Benz Fashion Week. So ist auch die Modewelt auf sie aufmerksam geworden, allen voran die „Vogue“-Chefredakteurin Christiane Arp und die Marketingfachfrau Norma Quinto. Erstere verschaffte Isabel Vollrath im Juli einen Platz im Vogue Salon, der Teil des Berliner Mode Salons während der Fashion Week ist. Von Norma Quinto lässt sich die 37-Jährige jetzt beraten.
Das ist auch deshalb eine spezielle Aufgabe, weil Isabel Vollrath eine sehr persönliche Beziehung zu jedem ihrer Stücke hat. Das liegt erst einmal daran, dass sie jedes Stück lange in der Hand hatte, sie duldet keine krummen Nähte. „Wenn etwas nicht perfekt ist, trenne ich es wieder auf.“ Diese Tugend macht Isabel Vollraths Mode so besonders und steht ihr gleichermaßen im Weg. Ihre Stücke sind so präzise gearbeitet, dass es schon Spaß macht, den Verlauf eines Karos zu verfolgen, zu schauen, wie die Falten gelegt und wie der Buckel in die Jacke eingearbeitet wurde.
Schon so mancher hat sie zu überzeugen versucht, dass dieses Mehr ihre Mode zu sperrig macht, um ein verkäufliches Produkt zu sein. Aber genau dafür wird sie auch immer wieder geehrt: als besonders gute Schneiderin, als Meisterschülerin und auch von der Berliner Handwerkskammer als herausragende Handwerkerin. Auch wenn Isabel Vollrath eine dramatische Formsprache hat, ihr Atelier aussieht wie eine Kulisse für das tapfere Schneiderlein, sie oft als Assistentin am Theater aushalf, das Maxim-Gorki-Theater ihre Blusen mit den vielen Ärmeln nachschneidern ließ – Theater ist ihre Sache nicht: „Vielleicht mag das Ergebnis manchmal nach Kostüm aussehen, es ist aber nie der Ausgangspunkt. Mode ist mein Ding.“
Ihre Kunst passt nicht so recht in eine Zeit, die vor allem jene lobt, die ausgefeilte Businesspläne vorweisen können. Obwohl sich gerade herumspricht, dass in der Mode eben kaufmännische Fähigkeiten nicht zu gutem Design führen, im Gegenteil, sie verleiten zu Kompromissen. So gesehen macht Isabel Vollrath alles richtig und wer sie in ihrem Kohlenkeller besucht, merkt, sie kann nicht anders.
I’ VR Isabel Vollrath, Linienstr. 149, Berlin-Mitte. Infos: www.isabelvollrath.com
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