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Ein Model trägt ein Oberteil aus Latex in Hautfarben.
© J. Speidel

Fetischmode: Vergiss die Peitsche nicht

Fetischkleidung hat früher bestimmte Signale innerhalb der Subkultur gesendet. Doch nun wird sie von Menschen, die subversiv aussehen wollen, als Mode entdeckt.

„So wird der Domina-Look bürotauglich“ oder „11 coole Arten, jetzt Lackleder zu tragen“ lauteten in den letzten Montagen Schlagzeilen in Modemagazinen. Das überrascht. Bis vor Kurzem gab es Fetischmode nur in der einschlägigen Szene oder den Kollektionen einiger Avantgarde-Designer. Das beginnt sich jetzt zu ändern. Korsetts, Latex und lederne Halsbänder mit Metallring zum Einhaken einer Leine bahnen sich Schritt für Schritt ihren Weg in den Mainstream. Wie für so viele andere Entwicklungen sind Internet und soziale Netzwerke dafür verantwortlich. Insbesondere Instagram, wo Millionen Menschen ihren Stil präsentieren, trug dazu bei, die Codes einer einstmals verschlossenen Parallelwelt der breiteren Allgemeinheit bekannt zu machen.

Das neue Statussymbol ist ein subversiver Lifestyle

Es sind hauptsächlich trendbewusste Mittzwanziger, die sich nun trauen, Halsbänder und Oberkörpergeschirre, wie sie eigentlich im Bondage-Bereich benutzt werden, als modisches Accessoire zu tragen. Obwohl viele von ihnen kaum näheres Wissen über fetischistische Praktiken besitzen. „In einer Zeit, in der jedermann zu beinahe allem Zugang hat, ist es schwierig geworden, Individualität zu beweisen“, sagt die Berliner Lederdesignerin Melissa Tofton. „Das neue Statussymbol ist ein subversiver Lifestyle. Und wer den nicht hat, kann ihn durch Kleidung immerhin vortäuschen.“

Tofton gehört zu einer Generation von jungen Designern, die einen nicht unwesentlichen Anteil daran hat, dass Fetischmode populär werden konnte. Sie studierte am Londoner Central Saint Martins College, spezialisierte sich zunächst auf Herrenanzüge. „Als ich nach Berlin zog, bin ich auf der Suche nach Outfits für mich selbst durch die klassischen Schöneberger Fetischläden wie die Butcherei Lindinger gezogen“, erzählt Tofton. Doch mit der hypermaskulinen, martialischen Ausstrahlung des Angebots im schwulen Nollendorfkiez konnte sie sich nicht identifizieren.

In ihr reifte die Idee, Kleidungsstücke zu kreieren, die männlicher ebenso wie weiblicher Ästhetik entsprechen. Sie sollten moderner und filigraner sein, aber dennoch funktional bleiben, also beispielsweise dazu dienen können, eine Person bei erotischen Spielen bewegungsunfähig zu machen. „Was ich herstelle, ist auch für den tatsächlichen Gebrauch geeignet. Alles andere käme mir vor wie eine Lüge“, sagt die Designerin. Inzwischen fertigt sie unter ihrem eigenen Namen handgearbeitete Geschirre aus stabilem, hochwertigem Leder, wie es auch in Sattlereien verwendet wird. Wenn man damit ein Pferd bändigen könne, dann auch einen Menschen, meint Tofton. Dennoch sind ihre Designs so subtil und elegant, dass sie auch im Alltag, beispielsweise über einer schlichten Bluse, getragen werden können.

Latex, Lack und Leder von Perlensäue.
Latex, Lack und Leder von Perlensäue.
© K. Mayer

Die Herkunft aus dem Fetischbereich ist solchen Stücken zwar noch eindeutig anzusehen. Doch ihre Optik hat sich weiterentwickelt und spricht dadurch ein breiteres Publikum an. Das bemerken auch andere Designer. „Früher kamen hauptsächlich Leute zu uns, die wirklich in der Szene unterwegs waren, Dominas oder die alteingesessene Klientel aus dem KitKat-Club. Das hat sich geändert“, berichtet Designerin Nina Kharytonova, die zusammen mit Jacob Jungenkrüger das Label Perlensäue betreibt. Das Duo hat sich ebenfalls auf Ledergeschirre, oft in Neonfarben, und auf Ganzkörperschmuck aus Metallketten spezialisiert. Futuristische Kampfanzüge aus Science-Fiction-Filmen wie „Blade Runner“ dienen ihnen dabei als zusätzliche Inspiration. Seit einigen Jahren beobachten die beiden Designer, dass sich ihre Käufergruppe erweitert hat. „Ein Halsband mit Sklavenring offen auf der Straße zu tragen, war früher undenkbar“, sagt Kharytonova. Heute aber begegnet es ihr in Berlin immer häufiger. Die Befürchtung, dass eine Subkultur, der sie selbst seit vielen Jahren nahestehen, nun vom Mainstream ausgebeutet werden könnte, haben die beiden Designer nicht. „Wer kann schon sagen, ein Anrecht auf eine bestimmte Art von Kleidung zu haben? Derjenige, der sich zu Hause auspeitschen lässt? Ist das der einzig wahre Fetisch-Kunde?“

Was ist von der Entwicklung zu halten?

Einen anderen Blick auf diese Frage haben Fanny Lawaetz und Idan Gilony. Das Duo hinter dem Label UY strandete vor gut drei Jahren in Berlin und warf sich begeistert ins Nachtleben, das sich in Berlin wie in keiner anderen Stadt an der Ästhetik der Fetisch-Subkultur orientiert. Ihre Garderobe nähten sie selbst und sorgten damit schnell für Interesse.

Heute besitzt UY eine treue Fangemeinde und hat sich zu einem Gesamtkunstwerk inklusive Performance-Veranstaltungen und einer Interior-Linie entwickelt. Von Anfang an zählte Fetisch zu den wichtigsten Inspirationsquellen. Ihre skulpturalen Entwürfe aus schwarzem Stoff oder glänzendem Leder lassen die Körper der Träger wie Wesen aus einer anderen Welt erscheinen.

Look aus der Kollektion von UY.
Look aus der Kollektion von UY.
© F. Cascavilla

UY besitzt eine starke, authentische Ästhetik, dennoch haben Lawaetz und Gilony inzwischen das Gefühl, sich neu erfinden zu müssen. Wenn kurz vor dem Wochenende Menschen in ihr Atelier kommen, um schnell etwas „für eine verrückte Party“ zu kaufen, macht sich immer öfter Unmut bei Lawaetz und Gilony breit. Es stört sie, dass Kleidungsstücke, über deren Bedeutung einst nur ein kleiner Kreis Bescheid wusste, nun relativ sorglos und ungeachtet ihrer Aussage getragen werden. Auf keinen Fall soll UY Teil eines Trends werden. „Die Message unseres Labels bleibt gleich. Aber wir überdenken neu, wie wir sie ausdrücken“, sagt Lawaetz. Fetisch hat im Augenblick für ihre Arbeit an Relevanz verloren, in der neuesten Kollektion finden sich vermehrt Einflüsse von Workwear.

Die Faszination nachvollziehen können sie jedoch alle. Heute sei es wichtig geworden, sich auch äußerlich eine Art von Rüstung zuzulegen, sagt Idan Gilony: „Wenn du Fetischmode trägst, zeigt das Freiheit. Du sagst damit, dass du stark bist und dich nicht für deine Wünsche schämst.“ Von diesem Gedanken fühlen sich naturgemäß auch Menschen angesprochen, die mit Fetischismus nichts zu tun haben.

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