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Tanzende Kreaturen. Die Kostüme sind aus Dabka-Draht gefertigt
© Stefanie Loos/ Reuters

Iris van Herpen kooperiert mit Sasha Waltz: Die vierte Dimension

Die niederländische Designerin Iris van Herpen gilt als Zukunft der Haute Couture in Paris. In Berlin hat sie für die Choreografin Sasha Waltz Kostüme entworfen.

"Wenn ich meine Arbeit in einem Wort beschreiben müsste," sagt Iris van Herpen, "dann wäre es Bewegung." Und tatsächlich, in ihren Entwürfen umkreisen abstrakte Formen den Körper, stoppen, winden sich oder lösen sich scheinbar in pure Energie auf. Mal sind es futuristische Rüstungen, dann wieder versteinert das Material zu einem Artefakt, das schon seit Millionen von Jahren zu existieren scheint. Die Grenzen zwischen Skelett und Fleisch, Haut und Stoff verschwimmen und durchdringen sich. Alte Techniken und neue Materialien begegnen sich im Jetzt – und manchmal hält die Modedesignerin die Zeit einfach an. Dann bleibt ein Wasserspritzer aus PVC einfach wie eingefroren in der Luft stehen.

Zeit, also die vierte Dimension, spielt seit jeher eine große Rolle im kreativen Prozess von Iris van Herpen, die vor 33 Jahren im niederländischen Dorf Wamel geboren wurde. Mit zwölf Jahren begann sie, Kleider für sich zu fertigen. "Die Zeit vergeht langsamer, wenn man mit der Hand näht, es ist eine präzise Arbeit", erklärt sie. "Diese Verlangsamung ist wie Meditation. Ich bemerkte, dass ich dabei viel kreativer denken konnte." Da wusste sie, dass sie Mode studieren wollte. "Bis heute ist für mich der Herstellungsprozess eins mit dem Entwurfsprozess. Der Körper ist meine Leinwand und gleichzeitig meine Muse." Das Nähen mit der Hand verteidigt sie durch ihr Studium an der Akademie für Bildende Künste in Arnheim hindurch bis in die ersten Jahre nach der Gründung ihres Labels 2007. Dem Computer versucht van Herpen, Kind von Hippie-Eltern, lange aus dem Weg zu gehen.

Lady Gaga ist Fan der Designerin

In ihren ersten Kollektionen experimentiert sie mit Leder, das sie um den Körper spannt, flicht und durch Ösen zieht, und unternimmt schließlich Entdeckungsreisen in die dritte Dimension. Sie zeigt ihre Schauen nicht mehr in Amsterdam, sondern auf der London Fashion Week. Bald sieht man Lady Gaga in Entwürfen von van Herpen, andere Promis belassen es zunächst bei ihren extremen, skulpturalen Schuhen. Später folgen die üblichen Verdächtigen: Björk, Tilda Swinton, Beyoncé und Schwester Solange.

Mit van Herpens Formwillen, ihrem Wunsch, ihr Material noch besser zu beherrschen, halten schließlich doch die modernen Technologien Einzug. Sie merkt, wie aufregend präzise man Leder mit dem Laser schneiden und manipulieren kann, entdeckt in der Mode bisher unbekannte Kunststoffe und die revolutionären Möglichkeiten des 3-D-Drucks.

Während bisher der Entwurfs- und Herstellungsprozess für Iris van Herpen eins gewesen waren, mussten nun für die Entwürfe am Computer frühzeitig Entscheidungen getroffen und jede Kurve so präzise wie mit dem Laser geschnitten werden. Es soll nicht mehr zu erkennen sein, was das Werk von Maschinen und was von Hand gefertigt ist.

Ihre Kollektion "Escapism" zeigt sie 2011 auf Einladung der Chambre Syndicale de la Haute Couture in Paris. Darin setzt sie sich inhaltlich mit den Ablenkungen durch digitale Unterhaltung auseinander und lässt sich von den neo-barocken Skulpturen des US-Künstlers Kris Kuksi inspirieren – ein künstlerischer Quantensprung und ein Riesenerfolg. Mit einem der im 3-D-Verfahren hergestellten Kleider schafft sie es sogar auf die Liste der "Fünfzig besten Erfindungen des Jahres 2011" des "Time Magazine" und damit ins öffentliche Bewusstsein. Nicht zu Unrecht vermutet van Herpen: "Ich glaube, viele Leute denken, dass alle meine Entwürfe gedruckt werden. Dabei sind 70 bis 90 Prozent Handarbeit."

Sie sucht stets den Austausch mit den Meistern der neuen Technologien: Künstlern, Architekten, Wissenschaftlern, die sie fordern. Iris van Herpen scheint die perfekte Balance gefunden zu haben: Der Presse zeigen ihre Kreationen eine perfekte Oberfläche, die glücklichen Besitzer eines Kunstwerks haben das Privileg, den Spuren ihrer Hände folgen zu dürfen.

2011 war auch das Jahr, in dem van Herpen kurz nach Paris bei der Fashion Week in Berlin zu Gast war. "Die Schau in Berlin war eine gute, aber auch heftige Erfahrung. Damals war ich naiv und dachte, ich könnte das Unmögliche möglich machen, aber das war schon grenzwertig. Seitdem halte ich gesunde Abstände zwischen meinen Schauen ein." Die Entscheidung, nur eine Couture- oder RTW-Show pro Saison zu zeigen, ermöglicht es ihr, Projekte jenseits des Modezirkus zu realisieren.

In Berlin hatte gerade das Tanzstück "Kreatur" Premiere, das van Herpen zusammen mit der Starchoreografin Sasha Waltz kreiert hat. Kreatur, das lässt sofort an Herpens Kreationen denken, die sich wie Schlangen um Körper winden, oder an ihre mythischen Vogelwesen mit Silikonfedern. Doch wer das Naheliegende erwartete, wurde enttäuscht. Stattdessen zeigten sich die Tanzkritiker begeistert von van Herpens skulpturalen Kreationen: Spinnwebenwolken aus Dabka-Draht, ein Wesen aus schwarzen Regenschirmspeichen, das kleinste Bewegungen in große transformiert, wie ein Vergrößerungsglas für die Bewegungen der Tänzer. Kostüme aus Mylar, einer Polyesterfolie, mit dem Laser in feinste Kurven geschnitten, sodass das Material, das wie ein Panzer wirken kann, sich durch Bewegung in nichts aufzulösen scheint.

Die Designerin wollte selbst Tänzerin werden

"Wir befreiten die Entwürfe von ihrer Funktion als Kostüm, damit sie Teile des Stücks werden konnten", sagt van Herpen, die selbst lange Tänzerin werden wollte. "Die Wechsel zwischen Stärke und Ohnmacht waren für mich intensiv fühlbar, als ich die Proben sah. Das war die Basis meiner Entwürfe, in denen hartes Metall am Ende so fein wie Wolken erscheint und sich eine schwarze Anballung von Aggression, eine Waffe, erst in eine Sound-Skulptur verwandelt und dann in ein Objekt."

Wird van Herpen, deren Schauen häufig in Performances eingebettet sind, den Catwalk gegen die Bühne eintauschen? Wohl kaum: "Ich sehe Couture als Labor für die größeren Zusammenhänge in der Mode, etwas, das hilft, die Produktionsweisen, Materialentwicklungen und Nachhaltigkeit voranzubringen. Haute Couture zum Motor des Fortschritts zu machen in unserer schnelllebigen Zeit, das ist mein Ziel." 4-D-Materialien, denen nicht nur eine Form, sondern Eigenschaften zugewiesen werden, hat sie dabei genauso vor Augen wie den Einsatz von Nano-Drohnen oder jenen schwärzesten aller Stoffe, der so viel Licht absorbiert, dass keine Schatten darauf zu erkennen sind. Ein schwarzes Loch. Noch ist dieser Zauberstoff im Besitz der U.S. Army.

Ingolf Patz

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