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Verneigung. Hussein Chalayan im März in 2016 in Paris.
© AFP/Bureau

Mode: Hussein Chalayan im Interview: "Die Deutschen bekommen das mit den türkischen Einwanderern nicht gut hin"

Hussein Chalayan, der die Kostüme für den aktuellen Mozart an der Deutschen Oper schuf, gehört zu den wichtigsten Designern der Jetztzeit. Der Brite mit türkisch-zypriotischen Wurzeln mag, wenn Grenzen hinweggefegt werden – und das Wort „kohlrabenschwarz“.

Hussein Chalayan, ist Ihre Tätigkeit für die Oper ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit?

Ja und Nein, wir machen acht Kollektionen im Jahr, und wir haben einen Shop in London. Aber ich mag Projekte, die nichts mit Mode zu tun haben. So kann ich andere Welten entdecken, das hält meine Fantasie wach.

Was nehmen Sie also von diesem Projekt mit?
In der Oper geht es um ganz bestimmte Typen. Da muss man jemanden, der kein Model ist, so einkleiden, dass er in der Situation am besten aussieht, oder eben besonders schrecklich.

Was war beim Entwerfen der Kostüme wichtig?

Ich musste mich erst mal mit jedem Charakter auseinandersetzen. Die Inszenierung ist sehr modern und abstrakt. Eine der männlichen Hauptrollen, Bassa Selim, ist hier eine Frau. Es ist trotzdem kein lesbisches Szenario, da gibt es Beziehungen auf jedem Level, alles fließt. Ich mag es, wenn Grenzen einfach weggefegt werden. Das Stück hat viel Humor, und auch die Kleider sind alle etwas seltsam, sie sind nicht einfach hübsch, die Schnitte sind grafisch, umhüllen den Körper und gehen in der Bewegung mit.

Sie gelten als Visionär der Mode, der mit seinen Präsentationen zeigen kann, was in der Welt vor sich geht.
Ich denke, ein Visionär ist jeder, der mit seiner Arbeit Grenzen verschiebt. Niemand setzt sich hin und sagt: Jetzt entwerfe ich Kleider für die Zukunft. Ich versuche etwas zu entwerfen, das ich so noch nicht gesehen habe, und Lösungen dafür zu finden. Sehr oft funktionieren die Sachen nicht. Es ist ein sehr zeitraubender Prozess, das funktioniert nicht wie Zauberei.

Fühlen Sie eine Verantwortung, neue Dinge zu entwerfen, weil man das von Ihnen erwartet?
Ich bin kein Sklave der Erwartungen, das würde mich sehr unglücklich machen. Es könnte auch teuer werden, immer noch ambitioniertere Kollektionen machen zu müssen. Und gerade jetzt kümmere ich mich viel mehr um die Kunden, die meine Kleidung tragen. Für mich ist das ein neues Kapitel, davor hatte ich keine Ahnung, wer meine Sachen kauft. Unser Shop in London läuft sehr gut. Für mich ist es befriedigend zu sehen, wie unterschiedlich die Frauen und Männer sind, die zu uns kommen.

Geht es darum, in einer unübersichtlichen Welt wie der Mode wieder in Kontakt mit den Menschen zu kommen?
Absolut. Wir verkaufen schon so lange Kleidung, aber den direkten Kontakt zu den Käufern zu haben, ist neu, und man lernt eine Menge darüber, was funktioniert und was nicht. Das ist für mich im Moment das Aufregendste. Klar, wir machen die Schauen in Paris, aber deine Schau ist immer nur eine von vielen auf der Liste.

Auf Ihren Entwürfen für Herbst/Winter 2016 tauchen deutsche Wörter auf.
Bei der letzten Schau im März ging es um Deutschland. Ich habe mir dieses Land etwas genauer angeschaut, zum Beispiel die Kultur der deutschen Märchen. Wir haben all diese Wörter aus Märchen für unsere Drucke genommen.

Wie zum Beispiel Kohlrabenschwarz?
Ja, genau. Deutsch ist so eine wunderschöne Sprache, so poetisch. Ich spreche sie nicht, aber ich liebe sie. Und ich habe mich mit dem Berghain beschäftigt, obwohl ich noch nie drin war. Wir haben den Grundriss des Clubs als Stickerei genutzt.

Und wie kamen die deutschen Wörter bei Ihrem Publikum an?

Vor allem die englischen Zuschauer waren sehr verwirrt. Sie sagten: „Ich spreche kein Deutsch, ich verstehe nicht, was du meinst.“ Diese Nachkriegsmentalität ist wirklich seltsam. Mich hat überrascht, wie unwohl sich Leute fühlen, nur weil sie die Sprache nicht verstehen. Wir leben doch im 21. Jahrhundert! Wenn man etwas nicht versteht, googelt man es halt.

Stoffe des Lebens.
Stoffe des Lebens.
© AFP

In Ihrer Arbeit ging es oft darum, Grenzen aufzuzeigen und zu überwinden, wie 1998 mit dem immer kleiner werdenden Tschador, der am Schluss nur noch das Gesicht des Models bedeckt. Damals ging man davon aus, dass es in der Zukunft immer weniger Grenzen geben wird. Jetzt haben wir eine völlig andere Situation.
Ja, wir haben immer noch Grenzen. Und Verurteilung einer anderen Kultur ist eine große Grenze. Wenn wir über all die Krisen sprechen, die Flüchtlinge, den Terrorismus und die Krise in der Politik, dann ist es die schlimmste Zeit, in der ich je gelebt habe. Aber das überrascht mich nicht wirklich. Alles hat mit dem Mittleren Osten begonnen, dort ist die Situation schon lange instabil. Vor 30 Jahren habe ich wenig von Selbstmordattentätern gehört und Leuten, die etwas in die Luft sprengen. Damals gab es die Eta in Spanien, die IRA in Nordirland – aber der Terrorismus war einfach kein Teil unseres Alltags. Wahrscheinlich hat alles mit der Reaktion auf den 11. September begonnen. Das hat im ganzen Mittleren Osten eine Menge isolierter, unglücklicher und wütender Menschen hervorgebracht. Isolation, Wut, Unglück und Armut sind die Zutaten, die etwas so Zerstörerisches schaffen. Und vielleicht wird das jetzt für immer ein Teil unseres Lebens bleiben. Es gibt keine Entschuldigung dafür, aber Isolation, Armut und Heimatlosigkeit sind die Gründe. Wir leben in einer schrecklichen Zeit, und ich weiß nicht, was die Lösung sein könnte. Vielleicht, dass wir Beziehungen aufbauen und pflegen, so viel wie möglich.

"Hier gibt es enorm viele türkische Einwanderer, und ich finde nicht, dass die Deutschen das besonders gut hinbekommen haben"

Die Angst vor allem Fremden ist in Deutschland wieder sehr verbreitet.
Deutschland ist ein spezieller Fall. Hier gibt es enorm viele türkische Einwanderer, und ich finde nicht, dass die Deutschen das besonders gut hinbekommen haben. Jedes Mal, wenn ich hier mit türkischen Taxifahrern unterwegs bin, frage ich auf Türkisch: Hast du deutsche Freunde?, und sie sagen: Vergiss es, die wollen uns nicht. Also bleiben sie unter sich. In England wäre das nicht möglich, speziell in London. Ich bin so aufgewachsen, dass man das Land, in dem man lebt, respektiert. Aber gleichzeitig müssen diejenigen, die schon immer da waren, bereit sein, sich mit den Neuen anzufreunden.

Vielleicht wird nicht genug darüber gesprochen?
Ich kenne viele Deutschtürken, die sich integriert fühlen, aber ich glaube nicht, dass das die Mehrheit ist. Wir müssen neugieriger sein. Ich kann von jemandem lernen, wenn er anders ist als ich. Wenn ich immer nur mit Leuten zusammen bin, die mir ähnlich sind, wie soll ich da wachsen? Ich fände es perfekt, wenn es nicht um den ethnischen, religiösen oder finanziellen Hintergrund ginge, sondern schlicht um gemeinsame Interessen.

Noch ein paar Worte zum Brexit.

Das ist so dämlich! Wir haben so viele Verbindungen nach Europa. Ein Ausstieg würde alles beeinflussen. Ich finde diese Separatisten sehr altmodisch, für mich ist England ein Modell für ein modernes Leben. Es gibt dort eine lange Tradition der Einwanderung. Ich finde es einfach verrückt, dass der Austritt aus der EU Thema eines Referendums sein soll.

- Die Kritik zur Aufführung in der Deutschen Oper finden Sie hier.

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