Stadtrundgang: Nächster Halt: Frankfurt M.
Hier kommen die meisten Besucher der Buchmesse an: Im Bahnhofsviertel treffen sie auf Junkies, Pastrami und Bars.
ZUM ABSTÜRZEN
Das Bahnhofsviertel bietet auf komprimiertem Raum viel von dem, was Frankfurt in seinem Charakter ausmacht: offenkundige soziale Gegensätze, eine Vielfalt an Szenen und Interessensgebieten, die auf irgendeine Weise miteinander klar kommen müssen. Hinterhofmoscheen existieren neben Perückenläden, exotische Lebensmittelgeschäfte neben türkischen Friseuren. In den 1950er Jahren verhandelte Rosemarie Nitribitt auf der Straße mit ihren Freiern, später kaufte sich der GI Elvis Presley eine Gitarre in einem Instrumentenladen des Viertels. Heute locken sanierte Altbauten solvente Familien an.
Seit etwa 20 Jahren ist es schick geworden, im verruchten und teils heruntergekommenen Straßenkarree um die Kaiserstraße auszugehen. Vor allem Künstler hat es zuerst hergezogen. So saßen und sitzen in der Traditionsabsturzkneipe „Moseleck“ (1) hippe Städelschul-Absolventen morgens um drei Uhr neben hoffnungslosen Alkoholikerexistenzen. Wirt Harry Statt, ein ehemaliger Boxer, wacht über Alkohol- und Geräuschpegel. So lange, bis sich die zugezogenen Besserverdiener über die Lärmbelästigung beschweren.
(1) MOSELECK
Moselstraße 21
täglich 6-4 Uhr
ZUM PROBIEREN
Die Gastronomie des Bahnhofsviertels wird weltmännischer. Die „Maxie Eisen“-Bar (2), benannt nach einem jüdischen Mafioso, der zur Zeit der Prohibition in Chicago von sich reden machte, war bei seiner Eröffnung 2013 eine der ersten Pastrami-Bars in Deutschland. Wer am Abend hier einen Tisch haben möchte, braucht eine Reservierung. Dafür wird man belohnt mit köstlichem, dünn aufgeschnittenen Fleisch im Sandwich und ausgezeichneten Cocktails. Mitinhaber ist übrigens der frühere DJ Oskar Melzer, der in Berlin den Club „Weekend“ gründete und das „Mogg & Melzer“ betreibt – ebenfalls ein Pastrami-Imbiss.
(2) MAXIE EISEN
Münchener Straße 18
Mo-Sa 11.30-2 Uhr, So 14-20 Uhr
ZUM ANSTEHEN
Wer Lust verspürt, danach die Bar zu wechseln, geht ins „Plank“ (3). Das Ecklokal mit Panoramafenstern, schwarzen Wänden und einer Sichtbetontheke ist nur ein paar Schritte vom „Maxie Eisen“ entfernt. Am Wochenende stehen regelmäßig Menschentrauben vor der Tür. Auch diese Bar ist nach einer realen Figur benannt: Der 1987 verstorbene Produzent und Toningenieur Conny Plank gilt als einer der Pioniere der elektronischen Musik. Dass auf einen solchen Namensgeber nur einer kommen kann, der selbst von und mit dieser Musik lebt, versteht sich. DJ Ata Macias, der auch den „Club Michel“ gründete, wollte mit diesem Ort eine Mischung aus Nachbarschaftscafé und Musikbar etablieren. Mittlerweile hat Ata, der als glühender Fan des Stadtteils galt, seine Läden in die Hände von Partnern übergeben und sich selbst auf ein abgelegenes Gut in den italienischen Marken zurückgezogen. Die Stadt wurde ihm zu laut.
(3) PLANK
Elbestraße 15
Mo-Do 11-1 Uhr
Fr/Sa 11-2 Uhr
ZUM SUMPFEN
Ein beliebter Treffpunkt ist das „Walon & Rosetti“ (4), das saisonal wechselndes Essen zu saftigen Preisen serviert. Ceviche vom Heilbutt oder Rote-Bete-Risotto kosten um die 20 Euro. Dazu gibt es klassische Drinks an der langen Bar, von der man herrlich die petrolfarbene Wand anstarren kann. Im Traum versinken, zu Moscow Mule versumpfen. Auch hier gilt, wie im gesamten Viertel: Man muss sich daran gewöhnen, auf eine Mischung von Hipstern und Bankern Rücken an Rücken zu treffen. Das Banken- und das Bahnhofsviertel gehen nahezu nahtlos ineinander über.
Und man muss bereit sein, auf dem Nachhauseweg über in den Straßen herumliegende Junkies zu steigen. Die Drogenszene ist nach wie vor präsent, manche reden gar von einer Verschlechterung der Situation. Die Polizei jedenfalls hat in den vergangenen Monaten eine Reihe von aufsehenerregenden Razzien durchgeführt.
(4) WALON & ROSETTI
Moselstraße 15
Mo-Sa 17-2 Uhr
ZUM KAUFEN
Sex, ja natürlich, den gibt es hier immer noch zu kaufen. Rein visuell wie in „Dr. Müllers Sexwelt“ auf der Kaiserstraße, über der einstmals der Eichborn Verlag residierte. Oder ganz handfest, in den zahlreichen Laufhäusern. Ein Etablissement, das zwischen Erotik und Kultur changiert, ist der altehrwürdige Nachtclub „Pik-Dame“ (5) in der Elbestraße. Das Ambiente ist so, wie man es aus „Tatort“-Filmen kennt: schummrig, mit viel Rot und den obligatorischen Separees. Doch in der „Pik-Dame“ ist mehr möglich: Am letzten Sonntag im Monat lädt der „Pik-Sonntag“ ein. Zauberer, Chansonniers, Literaten und Kabarettisten treten im plüschigen Ambiente auf. Unter der Woche ist die Bar ein beliebter Veranstaltungsort für Privatfeiern oder Firmenfeste. Eine vielseitige alte Dame ist „Frankfurts ältestes Cabaret“, wie die Macher gern werben.
(5) PIK DAME
Elbestraße 31
ZUM ANZIEHEN
Kultur der ganz anderen Art bieten, versteckt in einem Hinterhof in der Münchener Straße, Dagmar Krömer und Ursula Beeker an. Die beiden Designerinnen betreiben das über Frankfurt hinaus bekannte Modedesignerlabel „Lockstoff“ (6). Das Label produziert ausschließlich Frauenmode und existiert seit 2003. In der Kollektion manifestiert sich ein Hang zu Prints: Trägerkleider mit Hibiskusdrucken, Jacken mit Paisley-Motiven, Röcke mit bedruckter Borte. Alles zu einem demokratischen Preis, der selten die 100 Euro übersteigt.
(6) LOCKSTOFF
Münchener Straße 45
Mo- Fr 11-19 Uhr
ZUM ANSCHAUEN
A propos versteckt, ebenfalls nicht leicht zu finden ist die Galerie „Private Offspace“ (7) des Wieners Jean-Claude Yves Maier. Sie befindet sich in dessen Privaträumen, ebenfalls in der Münchener Straße, und ist unter der Woche vormittags für Besucher geöffnet. Im Jahr 2009 begann Maier, in seinen Räumen Künstler zu präsentieren, die hauptsächlich aus dem Umfeld der Städelschule kamen, und die der Galerist seinen Freunden näherbringen wollte. Mittlerweile ist daraus ein begehrter Ausstellungsraum geworden, der für die Künstler die Herausforderung stellt, ihre Kunst außerhalb der klassischen Museumssituation wirken zu lassen – und für die Besucher den Vorteil hat, Kunstwerke in einem beinahe privaten Rahmen zu erleben.
(7) PRIVATE OFFSPACE
Münchener Straße 38
nach Vereinbarung
ZUM WUNDERN
Zum Schluss noch eine Kuriosität: Selbst demjenigen, der nicht das geringste mit Waffen zu tun haben möchte, sei ein Besuch bei Waffen Engels (8) empfohlen. Besitzer Andreas Engels führt das Geschäft in der fünften Generation und ist das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Waffennarr vorstellt: Nebenberuflich hat er sich als Heilpraktiker einstellen lassen, und das Geschäft mit scharfen Waffen hat er 2009 nach dem Amoklauf von Winnenden nahezu komplett eingestellt. Klappmesser und Elektroschocker gibt es natürlich noch, um aufdringliche Rabauken im Rotlichtmilieu abzuschrecken.
(8) WAFFEN ENGELS
Kaiserstraße 49
Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa 10-14 Uhr
Mitarbeit: Ulf Lippitz
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