Von TISCH zu TISCH: Einsunternull
Dieses neue Mitte-Restaurant polarisiert. Und es steht für das moderne Berlin. Die Küche: streng regional, saisonal, halb vegetarisch
Unkenrufe überall. Ist es vorbei mit der Sterne-Gastronomie? Hat die Flut, die der Michelin über Berlin ausgegossen hat, die Preise verdorben? Richtig ist, dass neue Hochehrgeiz-Projekte nicht in Sicht sind: Gegenwärtig haben wir nur das „Einsunternull“. Ivo Ebert, der Macher, hat mal das „Reinstoff“ gegründet, Küchenchef Andreas Rieger war dort und im „Horváth“, und so hat sich das Restaurant stilistisch zwischen diesen beiden und dem „Nobelhart“ angesiedelt, streng regional und saisonal, halb vegetarisch und sehr retro, was Techniken wie Einwecken oder milchsaure Vergärung angeht. Polarisierend also und im Zweifel eher kopf- als bauchbetont, aber wir werden sehen.
Stil kostet
Der erste Eindruck: Hier war Geld im Spiel, zum Glück in Verbindung mit Geschmack. Möbel, Tischwäsche, Beleuchtung, das Pott-Besteck und die Teller von Claudia Schömig, die in Kupferblech geformten Wasserglas-Unikate von Milena Kling, alles ist so, dass man es nach Hause mitnehmen möchte. Abends wird im Keller mit Lichthof gegessen, mittags gibt es oben einen Menü-Auszug. Billig ist es nicht, sechs Gänge kosten 77 und zehn 117 Euro, aber alles ist auch à la carte zu haben. Der Start sagt im Grunde alles: Es gibt vornweg eine klare Brühe aus gelben Beten, Topinambur mit Kartoffeln und geröstetem Mehl, Beten-Scheiben mit etwas Salat und süßlichem Püree, feinste Schattierungen von Saison und Region. Ähnlich konzipiert ist auch die Kombi von gesäuertem Kohlrabi, eingeweckten Birnen und einer cremigen Hanf-Emulsion – wer hier wieder den steinalten Scherz „übersichtlich!“ dazwischenruft, ist definitiv am falschen Ort. Man sollte den reinen Geschmack mögen und die subtilen Abstufungen, das ist keine Küche, die knallt und fetzt.
Ideale Konsistenz
Spannrippe von Rind und Knollensellerie ist der erste nicht vegetarische Gang: Das geschmorte Fleisch hat die ideale Konsistenz, also noch Biss, und es liegt auf einer intensiven Sellerie-Jus und kommt mit gehobelter Knollensellerie nebenher. Köstlich ist das leicht angebratene Knochenmark mit Topinambur, Knollenziest und Apfelpüree. Grünkohl mit Zwiebeln und Hefe klingt spröde, schmeckt aber süffig und kontrastreich.
Das perfekt gegarte Störfilet hat als Gegengewicht nur etwas milchsauer vergorenen Spargel, der aber eher nach Sauerkraut als nach sich selbst schmeckt – ein Grundsatzproblem der alten Verfahren.
Es folgt eine streng anmutende Etüde: Dünne Scheiben vom Igelstachelbart, einem Pilz, geben die herbe Grundlage für ein Gericht, das auch aus grünem Speck, gerösteten Sonnenblumenkernen und einem Püree aus diesen Kernen besteht, akzentuiert durch getrocknete Johannisbeeren. Spannend, aber nichts, was ich jeden Tag essen muss. Die Linie zwischen Hauptgang und Dessert entfällt. Denn die eingeweckten Kirschen mit Hopfenblüten und Holunder-Espuma verweigern sich den Kategorien ebenso wie zum Schluss die Milchcreme mit Mohn-Eis und Löwenzahnblüten.
Keines für alle
Auch die umfangreiche Weinkarte enthält praktisch nichts Bekanntes – außer, man ist Experte im „Naturwein“-Sektor. Die kantigen Silvaner von Stefan Vetter aus Franken (ab 40 Euro) stehen dafür, aber es gibt auch Konventionelles und natürlich eine passende Weinbegleitung. Falls an dieser Stelle klar geworden ist, dass diese Restaurant nichts für jeden ist – gut. Experimentierfreudige Ästheten sollten aber auf jeden Fall hingehen.
- Einsunternull. Hannoversche Str. 1, Mitte. Tel. 2757 7810, Lunch Di.-Sa. 12-14 Uhr, Dinner Mo. bis Sa. 19 bis 22.30 Uhr.