Snowbiken in Gstaad: Mit dem Rad durch Schnee und Matsch
Die Schenkel brennen, die Kette springt – wer hat sich das bloß ausgedacht! Das Schönste am Snowbiken ist die heiße Dusche danach. Matsch Love!
Fahrradfahren verlernt man nicht. Oder vielleicht doch. Das kann man jedenfalls glauben, wenn man einmal einen Berg in den Schweizer Alpen runtergefahren ist. Und rauf. Im Schnee.
Schon die Wahl der Kleidung! Der Passant genießt seinen Auftritt. Stapft mit dicken Lederstiefeln an einen heran, streckt den Zeigefinger aus. Reckt ihn einem ins Gesicht, lässt die Hand wandern, stummer Trommelwirbel, der Finger stoppt, deutet auf die Füße. „Das sind wohl keine Schuhe fürs Alpine, was?“ Nun, was soll man darauf antworten? „Es sind Sportschuhe, das hier ist Sport.“ Hätte selbstbewusster klingen können. Der Mann lächelt zufrieden, seufzt, dreht sich um, geht weg. Die Antwort hört er gar nicht.
Der Sport, von dem die Rede ist, nennt sich Snowbiken. Gedacht als Alternative zu Ski und Snowboard. Nur ohne peinliche Skigymnastik, ohne x-beiniges Zeitlupenrutschen den Idiotenhang runter. Einfach aufsteigen, losradeln und dabei cooler aussehen als beim Rodeln oder Winterwandern oder gar beim Langlauf – Hobbys für Menschen, die beige Funktionshosen tragen und Bänder an den Brillenbügeln.
Das hier ist anders. Erst recht, wenn man sich entscheidet, beim „Snow Bike Festival“ mitzufahren. Austragungsort ist Gstaad, ein Örtchen im Berner Oberland. Knapp 7000 Einwohner, die Häuser allesamt im Châlet-Stil gebaut, das Zentrum autofrei, teure Boutiquen reihen sich aneinander. Liz Taylor hat hier Urlaub gemacht, Tony Curtis, Roger Moore und Bernie Ecclestone. „Wie Sankt Moritz, nur viel ruhiger“, sagt eine Passantin auf der Promenade ohne stehen zu bleiben, greift einem noch schnell prüfend an die Jacke, stellt fest: „Die ist aber nicht wasserdicht“ und geht weiter.
Funktionskleidung ist gar nicht so uncool
Niemand braucht mütterliche Ratschläge von der Seite, hier wird gleich ein Rennen gefahren. Die Startlinie verläuft genau durch die Ortsmitte, selbst die ist schon so matschig und glatt, dass sich jeder, der zufällig vorbeikommt, um die angemessene Kleiderwahl zu sorgen scheint. Der Anpfiff ertönt in Gestalt einer riesigen Kuhglocke, es geht gemächlich los ins Nachbardorf und weiter entlang der Saane. Bereits dieser Abschnitt zwingt viele buchstäblich in die Knie. Reihenweise Stürze, nichts Schlimmes, aber kräftezehrend. Die Fahrer rutschen aus, bleiben stecken, stellen sich quer, müssen absteigen. Überraschend, dass niemand im Fluss landet.
Schnell ahnt man: Die Dame mit ihrem mütterlichen Ratschlag hat recht. Nämlich damit, dass Funktionskleidung gar nicht so uncool ist. Besonders wenn es – statt zu schneien – regnet und überfriert und taut und regnet und wieder friert und am Ende alles ganz matschig ist und braun, denn dann helfen auch die breitesten Reifen am Fahrrad nix, selbst im Tal, wo die Radwege noch breit und gut ausgebaut und eben sind. Man rutscht und schlittert und stockt und fällt. Weil man das zu verhindern versucht, nimmt man den Fuß von der Pedale und stellt ihn in die Matsche und erinnert sich daran, dass man ja keine alpinen Schuhe trägt und dass Fahrradfahren nicht gleich Fahrradfahren ist.
126 Fahrerinnen und Fahrer treten beim „Snow Bike Festival“ vier Tage lang gegeneinander an. Neben den Amateuren fahren hier auch Profis der UCI um die Wette, das ist für den Radsport so etwas wie die Fifa für den Fußball. Das Festival rühmt sich damit, das weltweit einzige UCI-Rennen auf Schnee zu sein.
Die meisten Fahrer wählen Fatbikes
Knapp 30 Kilometer lang soll diese erste Etappe werden, ein Rundkurs, dessen höchster Punkt auf dem Eggli gipfelt, dem Hausberg von Gstaad. Einmal rauf, einmal runter. Die Theorie ist simpel, die Praxis nicht. Der Aufstieg ist brutal. 786 Höhenmeter, die meisten davon auf einer Strecke von sieben Kilometern. Während der ersten zehn Prozent freut sich der Körper beinahe über die wärmende Arbeit, die Zwiebelschichten sind längst alle durchnässt, und der pumpende Körper verdampft das Wasser nun Tropfen für Tropfen. Nur die Schuhe bleiben feucht, kalt und schwer. Die Schlaufen der Schnürsenkel haben sich vollgesogen mit braunem Matsch, der nun – in höheren Lagen – gefriert. Sehen aus wie Saté-Spieße an den Füßen. Die Kette springt raus. Zwangspause. Das wird noch drei Mal passieren.
Diejenigen, die mit gewöhnlichen Mountainbikes unterwegs sind, haben noch größere Probleme, weil sie allenthalben im Schnee versinken. Die meisten Fahrer wählen Fatbikes. Deren Reifen sind dick wie Feuerwehrschläuche. Einfache Physik: Breites Profil bedeutet viel Fläche, und die gibt Auftrieb. An Sandstränden sieht man diese Räder schon seit einer ganzen Weile, und was auf Sand funktioniert, wird im Schnee nicht verkehrt sein, dachten sich irgendwann ein paar Leute in der Schweiz. Seit etwa vier, fünf Jahren kann man die Fatbikes nun auch in zahlreichen Bikeshops in den Alpen mieten oder gleich kaufen.
Sie fahren sich wie Monstertrucks. Stabile Lage, walzen alles nieder, Kanten und Schlaglöcher bemerkt man kaum. Der breite Lenker steuert etwas behäbig. Es ist so ziemlich der Gegenentwurf zu den jahrzehntealten Hipster-Rennrädern mit ihren streichholzdünnen Reifen, die überall in den Großstädten zu sehen sind und permanent drohen, in den Tramschienen steckenzubleiben.
Der Speed ist dein Freund
Im Matsch sind die Riesenräder eine Hilfe, ein Allheilmittel sind sie nicht. Meter für Meter überwindet man die Baumgrenze, blickt nun über die Wipfel der Nadelbäume, der Schnee ist hier oben wirklich weiß, wenngleich noch immer matschig wie Slush-Eis. Man wäre gern als Erster vorbeigekommen. Als der Schnee noch nicht in die Furchen und Fahrrinnen der Vorausfahrenden gepresst wurde. Aber die Profis sind zu diesem Zeitpunkt längst über alle Berge, stehen vermutlich schon im Hotel unter der heißen Dusche. So muss man also versuchen, durch die vorgefahrenen Spuren zu pflügen. Und immer wieder resignieren, absteigen, schieben, laufen. Verfliegt der Schwung einmal, ist es beinahe unmöglich, neu durchzustarten. Sofort drehen die dicken Reifen durch. Also weiterlaufen, bis zur nächsten flacheren Stelle, wieder Anlauf nehmen, fahren, so weit es geht, scheitern, absteigen, schieben. Kette raus. Ober- und Unterschenkel brennen im Wechsel.
Endlich: der Gipfel des Eggli. Die Sonne scheint, als hätte sie nur auf Zeugen gewartet, um sich zu beweisen. Skifahrer kreuzen die Strecke, schauen irritiert, warum man nicht einfach mit dem Lift auf den Berg gefahren sei. Wie eine Oase tut sich der Versorgungspunkt vor einem auf. Freiwillige reichen heiße Brühe, Tee und Schokoriegel. Beim Servieren der Blick der Helferin auf die Handschuhe, kurzes Zögern, schließlich: „Baumwolle, mutige Wahl. Ist das nicht total nass und kalt?“ – „Ach was, sind ja alle keine Mimosen.“ Was man halt so redet auf einem Berg. Bloß nicht zittern jetzt.
Erstaunlich, wie hart die Landung auf Schnee sein kann
Von hinten kommt ein älterer Herr angefahren, dem Trikot nach zu urteilen aus Namibia. Dort gibt es nicht einmal Schnee. Zieht vorbei, greift, ohne zu bremsen, einen Becher Brühe, ruft:
„169, tolle Startnummer!“ –
„Warum das denn?“ – „Weil die 13 Unglück bringt und 169 die Quadratzahl ist.“ Er verschwindet hinter der nächsten Kurve.
Dann kommt das, worauf alle hier die ganze Zeit hingearbeitet haben. Die Abfahrt! Den Sattel ganz runtergestellt, damit der Schwerpunkt tiefer liegt, die Finger weg von der Vorderbremse, das hatten sie bei der Einführung erklärt: „Der Speed ist dein Freund“, hieß es. Weil man so viel leichter über mögliche Schlaglöcher hinwegfliegen würde, statt darin stecken zu bleiben. Sowieso wird nach wenigen Metern jedem klar: Die Bremsen sind ziemlich nutzlos auf Schnee. Die Nervosität weicht dem Nervenkitzel, der Blick verengt sich, das Panorama drumherum verschwimmt. Was zählt, sind die nächsten paar Met…
Es ist erstaunlich, wie schnell man die Strecke vom Sattel über den Lenker am Vorderrad vorbei bis zum Boden zurücklegen kann, bevor man überhaupt begreift, gestürzt zu sein. Und es ist erstaunlich, wie hart die Landung auf Schnee sein kann, wenn er so matschig ist wie an diesem Tag.
Nicht als Letzter im Ziel
Tal und Ziellinie rücken langsam näher. Der Schnee vom Gipfel wandelt sich wieder zur harten braunen Pampe. Noch ein paar Mal die Geschwindigkeit genießen, stürzen, sich wehtun, Kette raus, letztlich wird die Strecke unbefahrbar. Auf der Abfahrt schieben zu müssen, Höchststrafe.
2:32:38 stehen am Ende auf der Uhr. Nicht als Letzter im Ziel, immerhin, aber in der Zeit hätte der schnellste Profi das Rennen zweimal beendet, nur zum Vergleich. Der Körper fühlt sich an, als wäre der Berg mit einem Fahrrad über ihn gefahren, nicht umgekehrt, die Beine blau, die Muskeln hart, ein Arm lässt sich nicht mehr heben. Nur noch zwei Dinge zählen jetzt, eine heiße Dusche und ein warmes Bett. Oder doch, eine dritte Sache noch: Wie werden Sport-, Handschuhe und Pulli schnell genug trocken, um möglichst bald wieder aufzusteigen und die nächste Runde zu drehen?
Reisetipps für Gstaad
Hinkommen
Flüge von Berlin nach Zürich zum Beispiel mit Swiss Air (ab 96 Euro) in gut anderthalb Stunden (swiss.com). Mit dem Zug weiter von Zürich über Bern und Zweisimmen, drei Stunden Fahrtzeit, ab knapp 40 Euro. Skywork fliegt direkt bis Bern, das kostet aber knapp 300 Euro.
Rumkommen
Das Hotel Christiana ist ein Chalet mitten in Gstaad, nur wenige Meter von der Promenade entfernt. Gegenüber kann man den Hobbyspielern beim Eishockey zuschauen. Die Zimmer sind rustikal eingerichtet, der Chef bringt das Frühstück noch selbst an den Tisch. Sein Fahrrad kann man im Skikeller deponieren. Doppelzimmer ab 310 Euro pro Nacht (Christiana.ch).
Unterkommen
Wer selbst einmal auf breiten Reifen durch den Schnee fahren will, ohne gleich an einem Rennen teilzunehmen, kann bei der Gstaad Bike School Fatbikes leihen. Auf Anfrage werden auch geführte Touren angeboten (alpinzentrum.ch). Der gemütlichere Ausflug: in einer der Molkereien einen Fondue-Rucksack mieten. Damit geht’s zu Fuß ein Stück rauf auf den Berg, um sich unter freiem Himmel an geschmolzenem Käse zu wärmen (gstaad.ch).
Mehr Infos rund ums Thema Schweiz telefonisch unter 00800 100 200 30 oder auf myswitzerland.com.