Südafrika: Gegen den Wind: Mit dem E-Bike zum Kap der Guten Hoffnung
Die Küstenstraßen südwärts von Kapstadt zählen zu den schönsten der Welt. Unser Autor erkundete sie mit Bauch, Beinen, Po.
So schwer kann das doch nicht sein. E-Bike fahren. Und überhaupt: Wer etwas auf sich hält, fährt aus eigener Kraft, elektrische Unterstützung ist nichts anderes als Doping. Jens Deister lächelt so, wie Menschen, die es besser wissen. Deister arbeitet als Guide für die Tour rund um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika. Der Mann ist Experte für Räder, er kennt halb Afrika und in Kapstadt gefühlt jeden. Nun soll er ein paar durchschnittlich sportlichen Deutschen das Westkap zeigen. Am Ende werden alle sehr dankbar für den Elektromotor sein.
Vormittags überwiegt noch der Hochmut. Es geht ja auch so unscheinbar los. Ausgangspunkt der Tour ist ein geschotterter Parkplatz in Simon’s Town, einem kleinen Küstenort, der vor allem aus einem Hafen für die südafrikanische Marine besteht. Hier an der Ostküste der Kaphalbinsel leben 7000 Menschen, die meisten von ihnen sind Marinesoldaten, und gut 3000 Brillenpinguine. Die vertreiben sich die Tage am Boulders Beach, und im Minutentakt laden Reisebusse Touristen vor allem aus Asien und Europa ab, die den Vögeln dabei zuschauen, wie sie sich in ihrer schwarz-weißen Niedlichkeit am Strand fläzen und gelegentlich mit dem Schnabel am Bauch kratzen. Manche starren nur apathisch aufs Meer. Man möchte am liebsten sein Handtuch ausbreiten und sich daneben legen, doch ein älteres chinesisches Ehepaar schiebt einen bereits weiter, es braucht Platz für ein Selfie. Widerstand ist zwecklos. Also nichts wie rauf auf den Sattel.
Das Rad sieht vertraut aus. Tiefer Einstieg, geschwungener Lenker, breiter Sattel, eine Tasche für die Wertsachen baumelt am Gepäckträger. Nur die Batterie in Form eines länglichen schwarzen Kastens am Rahmen enttarnt das E-Bike.
Der Wind hat Kraft, wir haben Eco, Sport und Power
Die erste Etappe verläuft die Ostküste entlang Richtung Süden, knapp 25 Kilometer, hinein in den Cape-Point-Nationalpark bis zum legendären Kap der Guten Hoffnung. Vorne fährt Jens Deister, nach den ersten Biegungen ist er bloß noch ein winziger, hellblauer Fleck am Horizont. Der Mann hat einen Tritt, als wolle er noch vor dem Abendessen den Südpol erreichen. Das macht nichts, denn es ist unmöglich, sich hier zu verfahren. Verlässlich zur linken Hand liegt der Ozean türkisblau , zur rechten die Kaphalbinsel mit ihren endlosen Fynbos-Feldern, den nur hier wachsenden Heidegewächsen in Lila und Grün, die bis zum Knie reichen. Das Rauschen des Meeres kann man hören, den Fynbos riechen. Eine unverwechselbare, süß-salzige Mischung.
Je näher das Kap rückt, desto nützlicher wird der Elektroantrieb. Von links, rechts, vorne, nur nie von hinten peitscht der Wind. Er hat Kraft, wir haben Eco, Sport und Power. Das sind die drei Stufen der Unterstützung, die der Fahrer dazuschalten kann. Mit jedem höheren Level vereinfacht sich der Tritt in die Pedale. Im Powermodus fährt es sich am leichtesten, dafür macht der Akku früh schlapp und hält kaum mehr als einen halben Tag.
Die Straße biegt für ein paar Kilometer landeinwärts, um später am südlichsten Punkt der Halbinsel aufs Kap zu treffen. Signalrote Schilder warnen vor „Baboons“, den unzähligen Pavianen auf der Halbinsel. Die Affen reißen sich mit großem Geschick alles unter den Nagel, was nicht festgeschnürt und gesichert ist. Links steht ein Strauß im Fynbos-Gestrüpp und schaut den Wellen des Atlantiks bei ihren sich ewig wiederholenden Überschlägen zu. Rechts grast eine Elenantilope so groß wie ein Rind, vor deren korkenziehergleiche Hörner man nicht geraten möchte. Gut, dass sie so friedlich dreinblickt und weder Strauß noch Antilope wissen, dass beides am Vorabend noch gegrillt auf dem Teller lag. Was sich plötzlich sehr, sehr falsch anfühlt.
Das E-Bike birgt einen großen Vorteil
Das letzte Stück geht über Asphalt bergab, sogar richtig steil, erst als das Meer wieder näherkommt, wird es flacher. Jetzt sind die Extra-Kilos ein Vorteil. 27 Kilo bringt das Rad auf die Waage, das liegt vor allem am Motor. Zum Vergleich: Ein Mountainbike wiegt nur die Hälfte. Das Gewicht drückt nach unten, ganz ohne Unterstützung des Motors. Da geht noch was. Der Tacho zeigt 58 km/h. Sollte reichen, bevor ein gieriger Pavian unter die Räder kommt.
Weil man mit einem E-Bike sehr schnell sehr schnell wird, weiß man den silberpfeilgrauen Styroporhelm zu schätzen, selbst wenn der eng gezurrte Kinngurt den Schweiß verlässlich an den Wangen hinunter zum Kinn lenkt. Der Fahrtwind wirkt wie ein Antitranspirant, lässt einen jedoch die brennende Sonne im Nu vergessen, die schon vormittags die Luft auf 30 Grad erwärmt. So viel Sunblocker passt gar nicht in die Satteltasche, wie man auftragen möchte.
Endlich ist das Kap der Guten Hoffnung in Sicht. Ein besonderer Ort. Der südwestlichste Punkt des afrikanischen Kontinents fühlt sich an wie das Ende der Welt. Im Westen ist Südamerika die nächste Landmasse, bis Rio sind es 6000 Kilometer, im Osten liegt Australien nicht näher, und würde man gen Süden schwimmen, wäre das Eis der Antarktis der nächste Punkt, an dem man anlanden könnte.
Deister hat die Sahara mit dem Rad durchquert
Die Magie des Ortes hat sich rumgesprochen. Zu philosophischen Gedanken kommt hier niemand, weil gerade der nächste Bus Touristen auslädt und sich das nächste ältere Ehepaar vorbeischiebt, um ein Selfie vor dem berühmten Holzschild zu machen. Widerstand immer noch zwecklos. Das E-Bike birgt jetzt einen großen Vorteil, Jens Deister kennt eine einsame kleine Bucht nur wenige Minuten entfernt. Reisebusse verirren sich hier keine, nur E-Biker und ihre Begleitfahrzeuge.
Der Fahrer erwartet den Trupp schon mit einem Picknickkorb. Niemand wird wohl je herausfinden, wie er den Inhalt vor den Pavianen geheimhalten konnte. Nudelsalat, Käse, Brot, Wassermelone, dazu ein Glas Mangosaft – genau die richtige Stärkung, während die angespannten Waden im Meerwasser schockfrosten. Der Atlantik wird hier das ganze Jahr über selten wärmer als 15 Grad.
Eine gute Gelegenheit, mal bei Jens Deister nachzufragen, was ihn eigentlich nach Afrika verschlagen hat. In den 90er Jahren brach er mit dem Fahrrad von Frankfurt am Main nach Kapstadt auf, kam fast zwei Jahre und tausend gute Geschichten später an und ist dann einfach geblieben. Deister hat die Sahara mit dem Rad durchquert und wäre dabei fast verdurstet, versteckte Bargeldrollen im Rahmen und wäre beinahe erwischt worden, fing sich in Zentralafrika Malaria ein und halluzinierte tagelang von Gegenmitteln. Das alles in einer Zeit, in der von GPS noch niemand etwas gehört hatte und Deister sich beim französischen Militär Karten kopieren musste, um die Strecke zu bewältigen. Die Geschichten wirken wie Doping fürs Radlerherz. Oder ist es das Picknick? Den Schwung nimmt man jedenfalls mit in die zweite Etappe.
Der Hochmut vom Vormittag ist weg
Vom Kap kehrt die Gruppe um Richtung Norden, Route und Küste trennen sich sanft voneinander, es geht landeinwärts und raus aus dem Nationalpark über Alleen, deren Bäume so freundlich sind, Schatten zu spenden. Das ist schön, wird aber nach weiteren knapp 25 Kilometern etwas eintönig. Nun verhärten sich auch die Muskeln, und der Po beginnt zu schmerzen. Die Fahrer werden langsamer. Ein Dilemma, der Hintern will runter vom Sattel, aber die Schenkel weigern sich, noch mehr dafür zu tun, dass es schneller voran und vorüber geht.
Jens Deister muss das bemerkt haben, zumal langsames Fahren ihn persönlich zu beleidigen scheint. Das Begleitfahrzeug steht schon hinter der nächsten Kurve bereit, um die Geschwächten einzusammeln. Wasser, Powerriegel, mehr Sunblocker, kurz durchatmen. Der Fahrer bringt alle ein paar Kilometer weiter nördlich nach Noordhoek, wo es noch mal auf das E-Bike geht, zur letzten Etappe des Tages: dem Chapman’s Peak Drive. In 114 Wendungen auf neun Kilometern presst sich die Straße an die steilen, steinigen Küsten.
Der Chappie’s, wie ihn die Einheimischen nennen, führt von Noordhoek einmal um die Hout Bay, um dann im Westen im gleichnamigen Fischerort anzukommen. Die bräunlichen Felsen flimmern in der späten Nachmittagssonne, links erstreckt sich der tiefblaue Atlantik hinüber bis zum anderen Ende der Bucht. Die Kapstädter sagen, manchmal kämen Wale hierher. Heute sind keine da, die Tiere könnte man im klaren Wasser problemlos sehen. Selbst vom Chapman’s Peak, dem 160 Meter hohen Aussichtspunkt mit spektakulärem Blick. Daher kommt also der Begriff Höhepunkt. Das weiche Licht des Nachmittags taucht alles in einen Goldschimmer, hätte die Bucht noch keinen Namen, sie müsste Bernsteinzimmer-Bucht heißen.
Noch nie hat ein kühles Windhoek Lager so gut geschmeckt
Bei der Abfahrt brennt die Sonne jetzt nicht mehr so, die Beine und der Po umso stärker. Die letzten Wendungen gehen glücklicherweise bergab, das Begleitfahrzeug wartet schon wieder in Hout Bay am Strand, um alles aufzuladen. Der „Wharfside Grill“, ein mit dunklem Holz vertäfeltes, rustikales Fischerlokal am Strand, wirkt so einladend, dass man fürchtet, einer Fata Morgana aufzusitzen.
Sattelbedingt etwas zu breitbeinig betreten die Radfahrer die Terrasse mit Blick auf den Strand. Wohl noch nie hat ein kühles Windhoek Lager so gut geschmeckt, wie nach dieser mehr als 50 Kilometer langen Strampelstrapaze.
Noch etwas? Ach ja, der Hochmut vom Vormittag. Der ist weg. Auch E-Bike fahren ist Sport. Und fühlt sich in Südafrika sogar ein bisschen nach Abenteuer an.
Reisetipps für Kapstadt
Hinkommen
Flüge nach Kapstadt gehen regelmäßig, zum Beispiel via Windhoek (Namibia) oder Johannesburg (Südafrika) ab etwa 750 Euro. Mehr Infos unter flysaa.com
Rumkommen
14-tägige, geführte E-Bike-Touren rund ums Kap und entlang der Garden Route bietet unter anderem Belvelo an, ohne Flüge kostet die Reise ab 2690 Euro, mit Flügen 3690 Euro. Mehr Infos unter belvelo.de
Info
Deutschsprachige Hinweise und Tipps zum ganzen Land hat das südafrikanische Fremdenverkehrsamt unter dein-suedafrika.de gesammelt.