Etwas anderer Familienfilm von Lars Kraume: Villa mit Skorpion
Der Familie und ihren Ritualen entkommt niemand: Lars Kraumes Ensemble-Film rechnet mit dem großbürgerlichen Patriarchen ab.
Wer ein Musikinstrument feinsinnig beherrscht, kann kein grober Klotz sein? Irrtum. Hannes Westhoff (Günther Maria Halmer) ist ein erfolgreicher Pianist und alternder Familien-Tyrann. Schlecht gelaunt steuert er auf seinen 70. Geburtstag zu, die Feierlichkeiten hat seine zweite Frau Anne (Michaela May) organisiert. Ihr Bedürfnis nach Harmonie wirkt in Lars Kraumes Fernsehfilm „Familienfest“, dessen Ausflug ins Kino vor einem Jahr knapp 90 000 Zuschauer fand, geradezu bemitleidenswert. Denn der großbürgerliche Patriarch neigt zu Zynismus, der Kontrast von eleganter Villa und familiärem Trümmerhaufen könnte kaum größer sein.
Ein solcher Stoff ist keine innovative Idee, Familienkriege wurden auf Leinwand und Bildschirm schon zahlreich geführt. Auch an Dramen mit Über-Vätern und unglücklichen Söhnen mangelt es nicht, man denke nur an Stefan Krohmers „Familienkreise“ mit Götz George oder an den dänischen Kinofilm „Das Fest“, der die Dogma-Ära einläutete. Aber das Schlachtfeld Familie bietet die Chance zu immer neuen Variationen.
Das von Andrea Stoll und Martin Rauhaus geschriebene Drehbuch stellt dem dominanten Patriarchen zwei Frauen, drei Söhne und ihre jeweilige Begleitung zur Seite. Die Besetzung ist famos, der Ensemblefilm „Familienfest“ ist vor allem ein Fest der Schauspielerinnen und Schauspieler. Hannelore Elsner zum Beispiel gibt als Renate, Hannes’ erste Frau, nicht zum ersten Mal eine zu Alkohol neigende Grand Dame in permanenter Absturzgefahr. Renate lebt in Paris, ist ebenfalls eingeladen und verspottet Anne zum Dank als „Pantoffeltierchen“.
Aber Renate ist halt auch die Mutter der drei Söhne. Sein „Lebenswerk“, wie Westhoff sarkastisch bemerkt, bestehe aus „einem Windei, einem Schwulen und einem Schlaumeier“. Dass die Söhne sich überhaupt darauf einlassen, zu Papas Geburtstag zu reisen, um sich wie gewohnt herablassend behandeln zu lassen, verwundert.
Max wird bei der Anreise am Steuer ohnmächtig
Aber jeder hat so seine Gründe: Kettenraucher Gregor (Marc Hosemann) hat Schulden und braucht mal wieder Geld. Den Mut, den Vater zu fragen, überlässt er aber seiner Freundin Charly (Nele Mueller-Stöfen). Der jüngste Sohn Frederik (Barnaby Metschurat) hat seinen Lebensgefährten Vincent (Daniel Krauss) mitgebracht und eröffnet dem Vater, dass die beiden ein Kind adoptieren wollen. Frederik ringt intensiv und vergeblich um die Anerkennung des Vaters, der die „Absolution“ spöttisch verweigert.
Alle sind hier so wahnsinnig mit sich selbst beschäftigt. Die allgemeine Larmoyanz und das abgehobene Milieu trüben etwas den Genuss an den knackigen Dialogen, aber da ist ja noch Max, die mit Abstand interessanteste Figur. Weil er es als Einziger mit dem alten Zyniker aufnehmen kann. Und weil der sterbenskranke Journalist von Lars Eidinger gespielt wird, von dem man nie weiß, in welche Richtung er seine Figuren jetzt wieder treibt.
Max wird bei der Anreise am Steuer ohnmächtig und landet erst einmal im Krankenhaus. Dort gabelt er Krankenschwester Jenny (Jördis Triebel) auf und überredet sie, ihn zum Familienfest zu begleiten. Diese zarte, wärmende Annäherung ist schon mal wohltuend in einer Villa, durch die ziemlich kalter Wind bläst.
Es dauert lange, bis der alte Westhoff Gefühle für seine Familie erkennen lässt. Unter der Regie des viel beschäftigten Lars Kraume („Terror – Ihr Urteil“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“) zeigt der 73 Jahre alte Halmer, dass es schade wäre, wenn er nur noch in den einschlägigen Filmen des Wohlfühlfernsehens auftreten würde. Übertriebenes Mitleid für den Zyniker lässt er jedenfalls nicht aufkommen.
Kraume inszeniert die Gefühle, die die Tragödie am Ende begleiten, ohne das Pathos einer umfassenden Versöhnung. Denn ändern wird sich der alte Westhoff nicht mehr, davon handelt schon die Fabel vom Skorpion und Frosch, die Max in seiner Geburtstagsrede rezitiert. Westhoffs Sünden der Vergangenheit, die hier nach und nach zur Sprache kommen, haben tiefe Wunden hinterlassen. Aber der Familie und ihren Ritualen entkommt niemand, und diese Verlässlichkeit hat auch etwas Beruhigendes. „Kommst Du an Weihnachten?“ Dass Anne diese Frage schon beim Geburtstagsfest im März stellen wird, war allen klar. Und so geschieht es auch.
„Familienfest“, Montag, ZDF, 20 Uhr 15
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