"Terror - Ihr Urteil" in der ARD am Montag: Schuldig oder nicht schuldig - Sie stimmen heute ab
Ein Flugzeugentführer droht, die Maschine auf ein Stadion stürzen zu lassen. Kampfpilot Koch schießt das Flugzeug mit 164 Menschen an Bord ab. Schuldig? Bei „Terror“ am Montagabend stimmt das Publikum ab.
Die Gerichtsfiktion „Terror – Ihr Urteil“ ist großes Fernsehen. Nicht wegen des medialen Tamtams um die Mitwirkung des Publikums, sondern durch eine Schauspielkunst, die hinter der juristischen Fassade die Abgründe der Gefühle begreifbar macht.
Augen zu und durch. Justitia verbindet sich die Augen, legt die Argumente auf die Waagschale, und die Gerechtigkeit schwebt herbei. Schön wär’s und so beruhigend. Kaum ein Mensch glaubt dieser Allegorie.
Ferdinand von Schirach, der Anwalt und Schriftsteller, schon gar nicht. Er weiß viel von der Blindheit der launischen Göttin mit der Waage. Sein Theatererfolgsstück „Terror – Ihr Urteil“ wird als Fernsehfilm (von Lars Kraume inszeniert und von Oliver Berben produziert) zeitgleich im Ersten, im ORF und im SRF an diesem Montag gesendet und mit Kino-, Hörfunk- und Talkshowbegleitung zum Event erhoben: Die Zuschauer sollen mittels elektronischer Stimmenabgabe Richter spielen und die Last des Entscheidens kennenlernen.
Gesetze, Verfahrensregeln, Auslegungskünste vermitteln nur scheinbar Sicherheit, so Schirachs Botschaft. Hinter den Formalien verbergen sich Abgründe, unter den Talaren der Justizakteure beben Gefühle, das Recht ist eine löchrige Mauer gegen die Dämonen der Angst. Die ebenfalls von Berben produzierte und von Schirach geschriebene Reihe „Verbrechen“ lebte von dem Wahnsinn böser Menschen und der Schwierigkeit der Justiz, das Licht der Gerechtigkeit leuchten zu lassen. Wie eine Tat sühnen, wenn ein bisher unterwürfiger Ehemann aus heiterem Himmel seine tyrannische Frau niedermetzelt und dafür verurteilt werden will? Wie verstehen, warum ein japanischer Millionär Gelegenheitsdiebe nacheinander grausam töten lässt, bloß weil sie unwissend eine kulturell wichtige Teeschale haben mitgehen heißen?
Ein fiktiver Fall
Der jetzige Terrorfilm spielt in einem Szenenbild (Olaf Schiefner), als wolle sich das Fernsehen alle optischen Abschweifungsverführungen selbst verbieten, sich wie Justitia die Augen selbst verbinden: glatte schwarze Tische, waagerechte Tischleuchten, ein imaginäres Raumlicht von irgendwo- und nirgendwoher (Kamera: Jens Harant), ein Gitter aus Vertikalen und Horizontalen, ein steriles Labor im Edel-Ikea-Stil.
Das Leben ist ausgesperrt, höchste Konzentration geboten. Das passt zum Gegenstand des Prozesses. Verhandelt wird eine hochabstrakte und zugleich schrecklich konkrete Frage: Durfte der Luftwaffen-Major Lars Koch (Florian David Fitz) aus eigenem Ermessen einen entführten Passagierjet auf dem Weg nach München abschießen? Durfte er 164 Menschen töten, um viele tausend Menschen zu retten, die sich in der Allianz-Arena befanden und auf die sich die Maschine unter dem Zwang des Terroristen hätte stürzen können? Ist Koch des Mordes schuldig?
Ein fiktiver, aber nicht bloß effekthascherisch ausgedachter Fall. Bei den heiteren und nach dem Tod der israelischen Geiseln tatsächlich unheiteren olympischen Spielen in München 1972 hatte es eine ähnliche vermeintliche Gefahrensituation gegeben, die aber glimpflich verlief. Schirachs Stück bemüht sich, die Komplexität des Prozessgegenstandes aufzublättern.
Geltendes Verfassungsrecht, wonach menschliches Leben niemals gegen anderes menschliches Leben aufgerechnet werden darf, Menschenwürde als unrelativierbarer oberster Grundgesetzwert, dazu die im deutschen Luftraum geltenden Bestimmungen der Gefahrenabwehr – mit sachlicher Inbrunst wird das alles vor dem Richtertisch durchgenommen.
Lars Eidinger in der Verteidigerrolle
Da könnte alles zum gehobenen Schulfunk erstarren, zum theorieverliebten Lehrstück. Regisseur Lars Kraume aber gelingt es, mit geschickt gewählten Großaufnahmen und glänzenden Schauspielern (mit Fitz Burghart Klaußner als Vorsitzendem Richter, Martina Gedeck als Staatsanwältin, Lars Eidinger in der Verteidigerrolle, Rainer Bock in der eines Experten und vor allem Jördis Triebel, die ergreifend die Witwe eines abgeschossenen Passagiers spielt) das Gefühlsdrama hinter all den gewählten Worten vorzuführen.
Es sind ganz kleine Gesten, kurze Blicke, scheinbare Zufälligkeiten, die zeigen, wie es im Inneren der Akteure aussieht. Der Verteidiger vergisst, wie es zwingende Vorschrift ist, seine Robe anzuziehen, sein Darsteller Eidinger nutzt den Fauxpas, um die Ablehnung eines modernen Menschen gegen die pompöse Strafallmacht eines Gerichts zu zeigen. Wenn Martina Gedeck gegen den Angeklagten plädiert, schwingt in ihrer nicht pathosfreien Rede die Resignation einer Idealistin darüber mit, dass nicht alle Menschen die hehre Bedeutung des Grundgesetzes teilen. Den Angeklagten Koch interpretiert sein Darsteller Fitz als einen stets folgsamen, soldatisch beschränkten Musterknaben, der nicht verstehen kann, warum er angeklagt ist.
Höhepunkt aber ist der Auftritt von Jördis Triebel als einer stolzen und zugleich untröstlich Verletzten. Das Opfer beschreibt die Zertrümmerung seines Lebens. Triebels Blick durchbohrt den Angeklagten, ihre Trauer ergreift den Richter und Klaußner zeigt, wie er Tränen in amtsgebundener Zurückhaltung unterdrückt. Und dann ist da noch der linke Schuh, den die Witwe während der Leichenschau als den ihres Mannes entdeckt und an sich genommen hat. Sie hat ihn im Wald vergraben, nachdem sie mit ihrer kleinen Tochter bei der öffentlichen Trauerfeier vor einem leeren Sarg gestanden hatte und ihr das Weinen und Beten verging.
„Terror – Ihr Urteil“, läuft in der ARD an diesem Montagabend um 20 Uhr 15. Hier lesen Sie, wie das Abstimmen genau funktioniert und welche Nummern Sie wählen sollen.