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„Hart aber fair“ am Montag. Mehmet Daimagüler (l-r), Shari Reeves, Carim Soliman, Moderator Frank Plasberg, Karlheinz Endruschat und Tuba Sarica.
© imago/Horst Galuschka

Talkshows: Themenflüchtlinge

Die Talks bei ARD und ZDF sind auf dem Rückzug aus der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ein Kommentar.

Bei „Hart aber fair“ wurde am Montag das Thema „Özil und die Folgen: Steckt in jedem von uns ein Rassist?“ diskutiert. Vier Menschen mit Migrationshintergrund und ein SPD-Stadtrat aus Essen saßen in der Runde. Die Debatte war konzentriert, geprägt von gegenseitigem Respekt, kontroverse Momente inklusive. 2,16 Millionen Zuschauer schalteten ein, was einen Marktanteil von 7,7 Prozent bedeutet, einer der schwächsten Werte im bisherigen „Haf“-Jahrgang.

Ein Schluss mit eindeutigem Rassismus-Einschuss: Eine Talkshow mit einem klaren Übergewicht an Migranten im Gästerund kann im deutschen Fernsehen nur eine unterdurchschnittliche Quote einfahren. Deutsche Zuschauer wollen deutsche Gäste. Das ist jetzt eine saftige Unterstellung.

Keine Unter-, sondern eine Feststellung geht mit der Frage einher, ob der Fall des zurückgetretenen Nationalspielers Mesut Özil noch ein wirklich attraktives Thema sein kann. Sofern sich Talkshows für das oder die Themen des Tages interessieren sollen, war das „Haf“-Thema vom Montag ein Fehlgriff. Chemnitz bestimmte, nicht erst seit Montag, die Agenda. Darauf musste die Plasberg-Redaktion reagieren. Tat sie aber nicht.

Die aus der Sommerpause zurückgekehrten Talkshows im Ersten und Zweiten scheinen – vordringlich aus der Themen- und Überschriftenperspektive betrachtet – auf ein veritables Problem zuzulaufen: Sie umschreiben, umgehen ein Reizareal, das mit dem Begriff „Flüchtling“ im engen und weiteren Sinne zu benennen ist. „Anne Will“ formulierte am Sonntag: „Fachkräfte verzweifelt gesucht – löst Zuwanderung das Problem?“ Natürlich ging es sofort und im Kern um den „Spurwechsel“, sprich um die Frage, ob aus einem Asylgesuch eines Flüchtlings ein Einwanderungsantrag werden kann.

Kritik: Talks hätten die AfD groß gemacht

Dem Anschein nach hat die vor der Sommerpause aufgekommene Diskussion um Sinn und Zweck, Quantität und Qualität von Talkshows Spuren in Redaktionen und Sendern hinterlassen. Die Debatte kreiste vor allem um die Kritikpunkte, dass in zu vielen Gesprächssendungen viel zu häufig über den Themenkreis „Flüchtlinge“ geredet würde, erstens, und zweitens damit die AfD gestärkt, wenn nicht in den Bundestag „gesendet“ worden wäre.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Das Flüchtlingsthema hatte Konjunktur wie andere Themen auch, die AfD ist in den Wochen ohne Talkshows von ihrem Bundestagsergebnis mit 12,6 Prozent auf bis zu 16 Prozent geklettert.

Trotzdem, der Eindruck beginnt sich zu verfestigen, dass die Talkshows sich an der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbeizudrücken beginnen. „Maischberger“ nimmt sich am Mittwoch das Thema „Der Plastikfluch: billig, praktisch, gefährlich“ vor. Plastik geht natürlich immer, das passt sehr gut zum vorauslaufenden Magazin „Plusminus“ und wenn Hannes Jaenicke eingeladen ist, liegt die starke These des schauspielernden Umweltaktivisten sogleich auf dem Talktisch. „Plastik ist die Pest des 21. Jahrhunderts“, steigert er via WDR-Pressemitteilung schon mal den Panikfaktor.

Plastik ist ein Verbraucher-, ein Verhaltens-, ein Stressthema, daran ist überhaupt nicht zu zweifeln. Ginge bei allen Talkshows zu jedem Termin, Plastik ist allgegenwärtig, betrifft jeden und ist – wahrscheinlich – fernab von jedem Rassismus und jeder AfD-Problematik.

Nähern wir uns dem Ende der politischen Talkshow, wie wir sie über Jahre kannten? Fatal wäre das schon, weil aus der Furcht der Redaktionen vor dem angenommenen Überdruss des Publikums mit den Themen Islamismus, Terror, Flucht, Integration, Rechtspopulismus eine Talk-Fiktion heraufkäme, die relevante Probleme der Wirklichkeit übersehen wollte.Jede Gesellschaft ist auch eine Sorgengemeinschaft, die sich um unendlich viele Themen sorgen kann. Die Talkshow ist auf dem Weg dorthin.

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