Fotoreihe aus Berlin: Fenster des Konsums
Die Fotografin Mona Lüders schafft Kunstwerke aus alten Verpackungen, Kartons oder Chipstüten und drapiert sie zwischen den Scheiben von Doppelfenstern. Ein Besuch.
Vielleicht noch ein Kronkorken? Unschlüssig sieht die junge Frau zwischen den Pizzakartons, Chipstüten und Plastikflaschen hin und her. Einen Teil hat sie schon im Doppelglasfenster ihres Probanden Gino in einer Altbauwohnung in Charlottenburg drapiert, aber es ist noch Material übrig. Zweieinhalb Monate hat Gino seinen Verpackungsmüll für die Aktion gesammelt, eine Menge kam zusammen. „Boah, es ist einfach zu viel. Da muss sich was ändern“, stellt Gino fest.
Mona Lüders aus Friedrichshain verwandelt seinen Abfall in ein einzigartiges Kunstwerk. Sie arrangiert alles, was man normalerweise in die gelbe Tonne wirft, zwischen den Fensterscheiben derart geschickt, dass die Dinge auf den ersten Blick wie weggezaubert wirken. Man kann zwar nicht mehr durchs Glas hinausblicken auf die Straße, aber die ungewöhnliche Füllung des Doppelglasfensters beginnt magisch zu leuchten, wenn die Sonne hereinscheint. Das Spiel der Farben ähnelt dem Blick in ein Kaleidoskop.
Mit ihrer Fotoreihe „Windows of Consumption“ – Fenster des Konsums – will Mona Lüders ein Bewusstsein für den Luxus schaffen, in dem „wir hier leben“. Denn: „Sobald ich meinen Müll wegschmeiße, sehe ich ihn nicht mehr.“ Dass dies nicht selbstverständlich ist, wurde ihr klar, als sie im Rahmen einer Ausbildung zur Yogalehrerin fünf Monate in einer indischen Stadt verbrachte. Dort gibt es keine öffentliche Straßenreinigung, es häuften sich die Müllberge. „Privathaushalte kippen ihren Abfall direkt ins Meer“, erzählt die 30-jährige Fotografin.
„Identität zeigen, ohne die Person abzubilden“
Da habe sie angefangen, sich ernsthaft mit dem Thema Umweltverschmutzung auseinanderzusetzen und sich Gedanken über ihr eigenes Konsumverhalten zu machen. „Mir wurde bewusst, wie viel die Dinge, die ein Mensch konsumiert und wegwirft, über ihn selbst verraten – von seinen Vorlieben und Gewohnheiten bis zum Bildungsstand.“
Nun beschäftigte sie sich mit der Frage, wie man „Identität zeigen kann, ohne die Person selbst abzubilden“. Ihre Idee: Wer über einen bestimmten Zeitraum seinen Müll sammelt, dokumentiere damit auch seine „individuelle Geschichte“. Zuallererst probierte sie das an sich selbst aus, dann ließ sie Anfang 2017 den ersten Freiwilligen sammeln und experimentierte mit ihm gemeinsam, wie man die Verpackungen platzieren könnte – zum Beispiel in einem Doppelfenster.
Doch das ging erstmal ziemlich schief: „Alles ist runtergefallen.“ Die Fotografin lacht. Inzwischen hat sie ihre Technik perfektioniert und benutzt einen Doppelfolienkleber, um den Abfall zu befestigen. Trotzdem müssen die Fenster geschlossen bleiben. Lüften geht nicht. Folglich sind die meisten ihrer Müll-Kunstwerke nur temporäre Installationen. Sie werden fotografiert, zwecks Dokumentation – dann verschwinden Kartons, Tüten und Plastik doch noch in der Tonne.
Das Wohnzimmer als Kunstort
Mit den Fotos will sich Mona Lüders beim Umweltbundesamt für eine Förderung bewerben. Damit geht nicht nur finanzielle Unterstützung einher, sondern auch die Möglichkeit, die eigenen Werke eines Tages im Rahmen einer Ausstellung zu präsentieren – am besten unter dem Motto: Kritischer Konsum.
Doch ihre „Windows of Consumption“ beeindrucken noch auf andere Weise. Fenster werden seit Jahrhunderten in der Kunst gerne symbolisch dargestellt – als Tore zum Jenseits. Nun aber werden sie „mit so etwas profanem wie Müll gefüllt“, sagt Lüders. Das erlebt sie als „künstlerisch spannenden Kontrast“. Tatsächlich hat man durch die bunten Fenster den Eindruck, eher in einer Kirche zu stehen als in einem Charlottenburger Wohnzimmer.
Wer will, kann sich kostenlos sein Zimmer in einen solchen Kunstort verwandeln lassen. Danach ist die Sicht auf die Welt außerhalb des Fensters erstmal versperrt. Doch das gehört zur Botschaft: „Wir versperren uns ja auch die Sicht auf die Welt mit unserem Konsum.“ Mehr Infos: www.monalueders.com
Milena Reinecke