"Tatort" mit Axel Milberg: Schon verrückt oder wirklich verfolgt?
Führt das idyllische Landhaus ein Eigenleben? Der „Tatort: Borowski und das Haus der Geister“ mischt Psycho mit Grusel.
Die arme Frau ist völlig fertig. Er möge bitte über Nacht bleiben, fleht Anna Voigt Kommissar Borowski (Axel Milberg) an, sie habe Angst in diesem Haus – es wolle sie „abstoßen“. Der stattliche Ermittler aus Kiel staunt nicht wenig, verabschiedet sich, fährt über den Waldweg weg von dem wunderschönen Landhaus, hält nach ein paar Hundert Metern an, jagt eine Kugel in den rechten Vorderreifen seines alten Volvo und rumpelt zurück. Die arme Frau und ihr selbstbewusster Ehemann erwarten ihn schon, aufgeschreckt vom Knall. Ein Reifen sei geplatzt, sagt Borowski und wird einquartiert.
Auch in dieser Nacht versucht das Haus, Anna Voigt wieder abzustoßen. Ein „Tatort“ als Gruselschocker mit weichgezeichneten Bildern, einer der Hysterie nahen Karoline Schuch als Anna, die mit Panik in den Augen und einem Messer in der Hand über das alte Parkett schleicht – und plötzlich eine Gestalt am Fuß der Treppe auf sich zukriechen sieht. Die wach wird, weil jemand ihr Bett in Brand gesetzt hat. Die ständig Tabletten nimmt: schon verrückt oder wirklich verfolgt?
Bildsprache des Gruselfilms
Regisseur Elmar Fischer hat nach dem Drehbuch von Marco Wiersch einen „Tatort“ gedreht, der erkennbar mit der Bildsprache des Gruselfilms spielt, ohne dass klar wird, wie ernst der Film das meint. Wenn es Nacht wird und Anna wieder wach und das Messer in die Hand nimmt, dann kriechen Schauer über den Zuschauerrücken. Doch ist man sicher, dass ihr nichts passieren wird – zu inszeniert wirkt der Grusel. Man ahnt doch gleich: Irgendeiner oder irgendeine, aber nicht irgendwas anderes in diesem Haus will ihr schaden.
Der wunderbare Ziegelbau auf dem Land ist das Heim einer Patchworkfamilie im Psychodrom. Anna lebt hier mit ihrem Mann Frank Voigt (glatt: Thomas Loibl). Der ist ein alter Freund-Feind von Borowski: ehemals Richter, unter Mordverdacht geraten. Seine erste Frau, verehrt von Borowski, verschwand vor Jahren, ihre Leiche wurde aber nie gefunden. Borowski ermittelte gegen seinen Freund Frank. Der Richter wurde freigesprochen und zum erfolgreichen Schriftsteller. Außerdem sind da noch Franks Töchter aus erster Ehe, beide fast erwachsen. Offen und selbstbewusst die eine, Sinja (Mercedes Müller); introvertiert und eigen die andere, Grete (Emma Mathilde Floßmann).
Die komplexe Situation wird nicht übersichtlicher, als Borowski beschließt, die Ermittlungen wiederaufzunehmen. Er hat die Nacht damit zugebracht, im Haus seines Freundes alte Videos anzusehen – bis der nächste Anschlag auf Anna seine nostalgischen Betrachtungen und den Schlaf der anderen durch die Schreie der gepeinigten Frau beendet. Schnell ist die Rivalität wieder da. Frank Voigt gibt Borowski gegenüber den Freund, der sich, obwohl unschuldig, verraten fühlt. Borowski, der den Verdacht gegen Frank eher erfühlt hatte, als dass er ein Mordmotiv beweisen konnte, macht Druck. Spricht mit den beiden Mädchen. Spricht mit seiner Exfrau, einer Ballettschulleiterin mit wunderbar-wollenen rosa Knöchelwärmern, die passenderweise mit der verfolgten Anna befreundet ist und für Kommissar Borowski ein bisschen nebenher ermitteln kann.
Männer im Verbalduell
Dialoge hier, Dialoge da, mal im Grünen, mal in gediegenem Landhaus-Ambiente, mal der Kommissar und eine Tochter, mal die beiden Männer im Verbalduell.
Zwischendurch wird Borowskis neue Kollegin eingeführt, Mila Sahin (Almila Bagriacik), eine Fachfrau für Fallanalysen und Import aus Berlin an die Ostseeküste. Borowski lernt sie kennen, als sie in ihrem und seinem Büro mit dem Selbstbewusstsein der jungen Frau von heute einen ledernen Boxsack an der Decke montiert und mit Namen vorstellt. War es Horst? War es Walter? Es war der Name eines weißen alten Mannes. Der Sandsack bleibt allerdings in dieser Folge unbenutzt.
Tempo kommt auf, als der Freund einer Voigt-Tochter tot aufgefunden wird. Er hatte sich Borowski anvertrauen wollen – da ahnte man schon, dass ihm das nicht gut bekommen würde.
Der Psychodschungel um das Landhaus wird dichter und dichter, die Atmosphäre lädt sich auf – doch spätestens als Borowski mit den drei Frauen aus dem Haus ein Gläserrücken beginnt, ist von der Anfangsgänsehaut nicht mehr allzu viel übrig.
Gewagt und verloren, könnte man sagen: Gruseleffekte im „Tatort“ können, wie in diesem Krimi, eindrücklich und schauerlich inszeniert werden. Doch am Ende müssen die Ermittler ganz rational aus der Sache herauskommen. Der robuste Borowski gewinnt auch Psychospielchen.
Wer ist die neue Ermittlerin an Milbergs Seite?
Erst spät während der Arbeit am Drehbuch stand fest, wer die neue Partnerin von Kommissar Borowski alias Axel Milberg, 62, ist. Almila Bagriacik, mit 28 die jüngste derzeit aktive „Tatort“-Ermittlerin, hat ihre Filmfigur mitentwickelt: „Mir war wichtig, dass sie nicht wird wie ich, aber gern von mir inspiriert ist.“ Wie Almila hat Mila einen türkisch-deutschen Hintergrund. Milas bikulturelle Herkunft soll laut NDR miterzählt werden, ohne sie zum Konfliktthema hochzuspielen. In Ankara geboren, kam Bagriacik als Fünfjährige nach Berlin. „Für mich ist es eine Form von Reichtum, beide Kulturen als Symbiose in mir vereinen zu dürfen“, sagt die Schauspielerin, die eine durchgehende Rolle in einer türkischen Telenovela hatte. „Ich fühle mich in beiden Kulturen wohl und werde überall akzeptiert.“ Sie reagiere nicht „allergisch“ auf entsprechende Rollenangebote. Menschen mit Migrationshintergrund verkörperte sie im Kino im Ehrenmord-Drama „Die Fremde“, im Familienfilm „Hördur“, im ARD-Drama „NSU – Die Opfer“ und in "4Blocks".
„Tatort: Borowski und das Haus der Geister“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15
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