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Alle da: Die Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Wahlstudio
© dpa/Axel Heimken

Der Wahl-Abend im Fernsehen: Richtig gut, richtig öffentlich-rechtlich

Wahlberichterstattung zwischen Kiel, Paris und Berlin: ARD, ZDF und Phoenix brachten viel Information und auch prima Unterhaltung. Eine Nachbetrachtung.

Der Norddeutsche Rundfunk ist die Landesrundfunkanstalt für Schleswig-Holstein. Aus diesem Selbstverständnis heraus füllte der NDR sein Küstenstudio stets mit neuen Gästerunden. Unter all den grauen Männern – CDU-Wahlgewinner Daniel Günther! - gab sich der Grüne Robert Habeck betont anders und auffällig: Weißes Hemd mit Rüschenoptik, Frisur zwischen Campino und Bon Jovi, schnelles Mundwerk, „das Ergebnis is supi“, Rock'n'Roll. Einer zum Hinsehen und Hinhören wie FDP-Zampano Wolfgang Kubicki. Die beiden „flensten“, dass es eine Art war. Moderator Andreas Cichowicz ließ sich fast anstecken.

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Das ZDF hatte das größte und über weite Strecken menschenleerste Studio in Kiel. Wollte da keiner kommen, war keiner eingeladen? Das Zweite schaute schnell nach Berlin, nicht verkehrt, das ZDF ist ein nationales Programm, da geht der Blick weiter. Der größte Wahlverlierer des Abends, Martin Schulz, tauchte zuerst auf dem ZDF-Schirm auf. Moderatorin Bettina Schausten rockte die Wahlberichterstattung mit gekonnter Routine runter. Ihre Jacketts werden immer Angela-Merkel-ähnlicher.

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Im Bonner Phoenix-Studio drohte Moderatorin Michaela Kolster zu vereinsamen, weswegen sich der Politikwissenschaftler Lothar Probst mit steigendem Furor durch die Zahlen der Landtagswahl ackerte. Manchmal ist Bonn ganz weit weg.

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Donnerwetter, schon gegen 18 Uhr 50 schaute das Erste nach Frankreich, nur wenige Minuten später das Zweite. Die Schlafmützigkeit vor zwei Wochen, bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl, war bei den öffentlich-rechtlichen Programmen wie weggeblasen.

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Ein ARD-Sonntag ohne Mief, ohne „Lindenstraße“, ohne Mutter Beimer! Ich habe den Fernseher geküsst.

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Wer braucht noch die „Berliner Runde“? Es gibt von der Substanz her kaum etwas weniger Ergiebigeres an einem Fernsehwahlabend. Generalsekretäre und Geschäftsführer reden Verluste kleiner, Gewinne größer, sie sagen, was sie jeden Abend in irgendwelche TV-Mikrofone sagen. Ein Ritual kann eine Qual sein. Die AfD, bereits im zwölften Länderparlament vertreten, musste wie immer draußen vor der Studiotür bleiben. Das ist so absurd wie die Sendung selbst – die „Berliner Runde“ gehört in die 2000er-Fernsehjahre.

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Im anschwellenden Frankreich-Fieber machte Phoenix aus der Not seiner knappen Mittel eine Tugend: Es wurde das Programm von France 2 überrnommen, live und simultan übersetzt, ehe Ulrich Wickert, er unsterbliche Frankreich-Erklärer, im Bonner Studio zu Wort kam. Wickert verband Analyse mit Empathie. Das und die France-2-Übernahme kann sich der Ereignis- und Dokumentationskanal auf der Habenseite verbuchen.

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„Tagesschau, „Brennpunkt“, ein „ZDF spezial“  -  ARD und ZDF machten den Sieg von Emmanuel Macron zum Topthema am Abend, ehe mit „Polizeiruf 110“ und den „Honigfrauen“ die Information mit Unterhaltung ausbalanciert wurde. Das war eine vernünftige Entscheidung, weil der Zuschauer damit die politischen Ergebnisse sacken lassen konnte. Schon bis dahin war das ein ungewöhnlicher Fernsehsonntag – mit Innen-, Außen- und Europapolitik.

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Mit dem „heute-journal“, mit den „Tagesthemen“ fanden die Wahlen in Schleswig-Holstein und Frankreich neue Analyse und weitere Vertiefung. Das Zweite baute sich und seinem Publikum quasi eine Info-Brücke: Claus Kleber moderierte das „heute-journal“ in Mainz, seine Kollegin Marietta  Slomka moderierte in Paris. Wenn es das im Zweiten noch nicht gegeben hat, dann darf es das künftig öfters geben, diese gelungene Mischung aus Abstand und Nähe. Das Zweite stellte, richtigerweise, neben Macron einen weiteren Wahlsieger in den Mittelpunkt: Daniel Günther, den wahrscheinlich nächsten CDU-Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein. Ein Abend der jüngeren Männer.

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„Anne Will“ erklärt an vielen Sonntagen aktuelle Politik quasi im Alleingang. An diesem Sonntag aber war die Talkshow fast nur eine Sendung unter anderen. Die Moderatorin diskutierte mit ihren Gästen – Ursula von der Leyen (CDU), Gesine Schwan (SPD), dem Politologen Alfred Grosser und dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel (noch so ein jüngerer Mann) – die Auswirkungen der Frankreich-Wahl auf Europa.

Das hatte etwas Gediegenes, Calmiertes, kaum ein Wort des Streites wollte fallen. Was jedoch „Anne Will“ mehr als den aktuellen Informationssendungen gelang: Eine Präsidentschaftswahl in Frankreich ist weit mehr als eine Wahl. Die Debatte diffundierte in viele Ecken, zeigte unterschiedlichste Aspekte auf und machte unterm Strich klar, dass die politisch nervösen Zeiten anhalten werden. Was, wenn der Europäer Macron in Frankreich keinen Erfolg haben wird? Deutschland ist gefordert.

Kurios nur der Schluss: Anne Will im Zwiegespräch mit Ursula von der Leyen über Verhalten und Äußerungen der Bundesverteidigungsministerin zum Rechtsextremismus in der Bundeswehr. War Will langweilig geworden? Wollte Sie sich noch ein ausstrahlendes Leyen-Zitat holen? Merkwürdig.

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ARD, ZDF und in seinen Möglichkeiten auch Phoenix haben an diesem Sonntag alle Kräfte angespannt. Der Anspruch der Zuschauer auf weitreichende Information wurde eingelöst, die Unterhaltungserwartung nicht links liegen gelassen. Dass deutsche und französische Politik über Stunden Fixpunkt, Brennpunkt und Schwerpunkt war – richtig gut, richtig öffentlich-rechtlich.

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