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Ministerpräsident Torsten Albig und Herausforderer Daniel Günther.
© Carsten Rehder/dpa

Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Die SPD hat den Schuldigen schon gefunden

So arm standen die Sozialdemokraten selten da. Das Debakel von der Saar hat sich an der Förde wiederholt. Einer wird es ausbaden.

Bloß gut, dass es Torsten Albig gibt. Bei irgendwem muss das ja alles landen, der Frust, die Enttäuschung, das Entsetzen, auch die Kraftausdrücke, die am Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus fallen. Ein paar von den Flüchen und Verwünschungen soll man bitte nicht aufschreiben, so viel Beherrschung muss sein in der SPD-Führung. Aber dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident in den eigenen Reihen als „das Nordirrlicht“ gilt, darf man festhalten.

Wenige Minuten zuvor erst ist das Ergebnis der Landtagswahl im hohen Norden bekannt geworden. Wer die Schuld daran trägt, steht hier sofort fest. Oder sagen wir mal: mindestens die Hauptschuld. „Zu 75 Prozent“, sagt ein Spitzen-Genosse. Denn wenn es nicht so wäre, wenn gar nicht der Albig die Sache fast im Alleingang verbockt hätte – dann müssten sich ja plötzlich alle Blicke auf den Mann mit Glatze, Bart und Brille richten, der kurz später das Podium im Foyer der SPD-Zentrale betritt und sagt: „Ich ärgere mich höllisch!“

Dazu hat Martin Schulz allen Anlass. Es ist ein Desaster, schlimmer als das: ein Desaster in Serie. Vor sechs Wochen hat der SPD-Hoffnungsträger die Niederlage an der Saar einräumen müssen, jetzt eine vernichtende Niederlage in Kiel. Mit knapp 27 Prozent gehen die Sozialdemokraten mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der jüngeren Landesgeschichte vom Platz. Nur 2009 war es noch etwas schlimmer. Aber da war der Gegner im Land ein Urviech namens Peter Harry Carstensen auf dem Höhepunkt seiner Regierungsmacht.

Drei Monate haben sie sich berauscht

Diesmal ist der Gegner von der CDU bloß ein oppositioneller Hänfling namens Daniel Günther, den bis vor ein paar Wochen kaum einer kannte. Und damals gab es keinen Schulz, also keinen Schulz-Effekt. Aber den – den gibt es ja womöglich heute auch nicht.

Das Wort „Wahlparty“ ist jedenfalls eher unzutreffend für das recht kleine Häuflein Sozialdemokraten im Foyer der SPD-Zentrale. Drei Monate haben sie sich hier an ihrem Schulz berauscht. Nun herrscht Kater von Anfang an. „Ich glaub‘, ich geh‘ wieder nach Hause“, sagt ein junger Mann, als auf dem Fernsehschirm um 18 Uhr der lange schwarze und der kurze rote Balken zu sehen sind. Von dem Kopf-an-Kopf-Rennen, das die Umfragen vermuten ließen, kann keine Rede sein. Die Christdemokraten ziehen mit sechs Punkten Vorsprung davon. „Das ist heftig“, raunt ein Genosse.

SPD-Spitzenpolitiker machen sich rar im Foyer. Sie sitzen im fünften Stock und reden, wie umgehen mit dem Schock. Viel Zeit bleibt nicht. Nächste Woche steht im großen Nordrhein-Westfalen die nächste, noch viel wichtigere Landtagswahl an. Es muss etwas geschehen. Nur, um Himmels Willen – was?

Unten versucht die Generalsekretärin Zeit zu gewinnen. Katarina Barley gibt sofort die Parole aus, dass Albig schuld sei. „Untypisch“ sei vieles gewesen in dieser Landtagwahl, sagt Barley; zum Beispiel, dass „das Privatleben des Ministerpräsidenten“ zum Thema geworden sei.

Bei der CDU können sie kaum an sich halten vor Lachen

Das war nun tatsächlich eine ausgemachte Eselei. Albig hatte der „Bunten“ ein Interview gegeben, in dem er nicht nur die Neue an seiner Seite vorgestellt, sondern auch die Trennung von seiner Frau begründet hatte: Die sei so gefangen gewesen in der Rolle der Mutter und Hausfrau, ließ der 53-Jährige die Illustrierte wissen, dass sie für ihn keine Gesprächspartnerin auf Augenhöhe mehr gewesen sei.

Der Wahlkampf im Norden war arm an Aufreger-Momenten; um so härter schlug der Machospruch durch. Bei der CDU können sie jetzt noch kaum an sich halten vor ungläubigem Lachen. „Als das meine Frau gesehen hat“, kichert drüben im Konrad-Adenauer-Haus einer aus der Parteiführung, „hat sie sofort gesagt: Das war’s für den.“

Das mag übertrieben sein. Aber ganz falsch liegen jene in der SPD-Führung ja nicht, die jetzt darauf hinweisen, dass ihr Ministerpräsident schon praktisch ohne Amtsbonus ins Rennen gegangen war. Am Abend steht Albig in Kiel und sagt, dass er die Verantwortung trage für ein solches Ergebnis. Ansonsten sei aber alles richtig gewesen: der Abschiebestopp für Afghanen, das Festhalten am achtjährigen G-8-Gymnasium, die Windräder-Politik: „Wir gehen lieber in andere Situationen, als dass wir opportunistisch werden!“ Neben ihm zieht SPD-Landeschef Ralf Stegner die Mundwinkel noch weiter nach unten als sonst. Du hast gut heldenhaft daherreden, sagen die Mundwinkel, für dich ist jetzt eh vorbei.

Nach dem Fernsehduell kannte ihn das halbe Land

Ein paar Räume weiter im Landtag fängt für Daniel Günther alles jetzt erst richtig an. Der Mann ist auf dem Weg, eine Art Wunder zu vollbringen. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat ihre CDU immer nur Landesregierungen verloren. Der 43-Jährige, der mit seiner Brille und der jungenhaften Art noch jünger wirkt, könnte jetzt der Erste sein, der ein Land zurückerobert hat. „Wir haben die Wahl gewonnen“, ruft er in die jubelnde Anhängerschar hinein, als ob er’s noch gar nicht glauben kann.

Bis vor kurzem hat es ja auch noch kaum einer geglaubt. Günther ist zwar seit seinem Studienabschluss als Politologe Berufspolitiker – CDU-Geschäftsführer im Kreisverband Rendsburg, dann in der Landespartei, daneben Posten in landeseigenen Wirtschaftsunternehmen, zuletzt Fraktionschef in Kiel. Er galt da unter Kennern schon als ehrgeiziger und konfliktstarker Angreifer; aber wer, bitte, kennt schon so ein Landesparlament?

Im vorigen Oktober machte die CDU den jungen Mann aus Eckernförde zum Hoffnungsträger. Da hatte gerade der letzte Parteichef vor miesen Umfragewerten resigniert, der vierte in fünf Jahren, den die Nord-CDU kommen und gehen sah. Günther ließ sich von der komplizierten Ausgangslage nicht abschrecken. Spätestens nach dem Fernsehduell, in dem er sich gegen Albig mehr als achtbar schlug, kannte ihn das halbe Land. Oder jedenfalls die richtige Hälfte. Im Land zwischen den Meeren halten sich die Volksparteien CDU und SPD traditionell die Waage, die CDU auf dem Land, die SPD in den Städten.

"Ich bin stolz auf die CDU!"

Und jetzt so ein Durchmarsch! Im Berliner Adenauer-Haus können sie sich vor Begeisterung kaum einkriegen. Im Foyer drängt sich die Junge Union und hört gar nicht wieder auf zu klatschen, als Generalsekretär Peter Tauber auf die Bühne steigt. Tauber strahlt. „Was vor wenigen Wochen noch unmöglich schien, ist eingetreten“, ruft er durch den triumphalen Krach. „Ich bin stolz auf die CDU!“ Und dass dies Rückenwind bedeute für die Wahl in einer Woche in NRW. „Lasst uns gemeinsam kämpfen – hurra!“

Zwischen den Jubelnden steht Armin Laschet. Der Spitzenkandidat von Düsseldorf ist vorhin leise lächelnd von seinem Hotel in die Parteizentrale rübermarschiert, weil er die Zahlen der Demoskopen schon kannte, als drinnen ein Weißhaariger noch murmelte, dass es bestimmt ein spannender Abend werde. Aber Laschet will auf keinen Fall voreilig triumphieren. „Es steht Spitz auf Knopf bei uns.“ Aber klar, diese Vorlage aus dem Norden hilft.

Drüben bei den Sozialdemokraten ziehen sie derweil Brandmauern hoch. Die Aussagekraft sei „für andere Wahlen erkennbar gering“, behauptet Barley. „Es ist hauptsächlich in Schleswig-Holstein passiert“, sagt Fraktionschef Thomas Oppermann. Und welchen Anteil hat Martin Schulz? „Allein der Gedanke wäre völlig abwegig“, sagt Oppermann. „Überall, wo er hinkommt, stehen die Leute Schlange, die Räume sind meist zu klein.“

Man kann einen Wahlkampf auch symbolisch vermasseln

Das ist der amtliche Teil. Im nicht-amtlichen machen sich führende Leute in der SPD allmählich ziemlich Sorgen. An der Saar hat der Schulz-Effekt nichts bewirkt, an der Förde jetzt auch nicht. Dabei hatten sie ihm extra noch am Donnerstag diesen Sonderwagen an den Regionalexpress Kiel-Lübeck gehängt, als Schulz- Zug. War ihnen wirklich nicht klar, dass das Bild allmählich gefährlich wird? Vielleicht war es sogar immer schon ein Fehler, weil es einen unaufhaltsamen Marsch voran suggeriert und weil, wenn der ausbleibt, der Spott so nahe liegt: Abstellgleis, ausgebremst …

Man kann einen Wahlkampf auch symbolisch vermasseln.

Dazu kommt, dass die Schulz-Kampagne in den Augen kritischer Genossen auch an anderer Stelle lahmt. Seit dem Tiefschlag an der Saar war der Kandidat für die Öffentlichkeit so gut wie abgetaucht. Sicher, er zog immer noch durch Parteigänger-Versammlungen; nur fand der allfällige Jubel jetzt nicht mehr in der „Tagesschau“ statt.

"Wo ist Behle?"

Die Kameras lieferten andere, aktuellere Bilder: Angela Merkel bei Donald Trump, Angela Merkel bei Wladimir Putin, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Israel. Bei der CDU spotten sie längst. „Wo ist Behle?“, ulkt Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer – unter Sportskennern eine legendäre Frage, die einem Skiläufer galt, den der Fernsehreporter partout von seiner Regie nicht ins Bild gespielt bekam.

Dazu kommt: Seit er sein „Arbeitslosengeld Q“ vorgestellt hat, ist vom Kanzlerkandidaten auch inhaltlich nichts mehr zu hören gewesen, was die öffentliche Debatte prägte. „Man braucht mehr als volle Säle, um eine Wahl zu gewinnen“, sagt am Sonntag ein altgedienter SPD-Fahrensmann. „Man braucht eine koordinierte Kampagne mit klaren Botschaften, über die die Menschen sprechen.“

Als Schulz an diesem Abend auf die Bühne tritt, applaudieren die gebliebenen Genossen trotzig. Manche rufen „Jawoll!“ und „Bravo, Martin!“, oder auch „Lass‘ dich nicht unterkriegen!“ Schulz ist sichtlich angefasst, seine Stimme klingt belegt. So hatte er sich das nicht vorgestellt, als er auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes seiner Partei den Weg zum Sieg ausgemalt hatte: Erst Saarbrücken, dann Kiel, dann Düsseldorf, dann wird der Martin aus Würselen Bundeskanzler in Berlin. So einfach. Zu einfach. Wieder so ein Bild, das auf den Urheber zurückschlägt.

Jetzt muss er stattdessen Durchhalteparolen ausgeben. „Da, wo ich herkomme, da werden nach solchen Abenden am nächsten Morgen die Ärmel hochgekrempelt, der Helm aufgesetzt, da geht man zur Arbeit – ich komme aus Nordrhein-Westfalen“, sagt Schulz. Es folgt eine Lobrede auf Hannelore Kraft.

Er muss jetzt sehr fest auf die Ministerpräsidentin in Düsseldorf setzen. Geht NRW auch noch verloren, wird es sehr eng. Zwischen Rhein und Ruhr lebt jeder vierte deutsche Wähler. Für die SPD mit ihrer chronischen Schwäche im Osten und Süden liegt da nicht nur historisch die Herzkammer, sondern auch mathematisch: Ohne die Nordrhein-Westfalen ist Berlin nicht zu erobern. „Man verliert auch schon mal Etappen“, sagt Schulz, und dass es aber auf den langen Atem ankomme. „Die SPD steckt solche Abende weg!“ Aber nicht mehr viele.

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