Interview: Kino trifft Konsole
Wie beeinflussen sich Film und Computerspiele gegenseitig? Dieser Frage geht eine Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt nach. Ein Gespräch mit Kurator Andreas Rauscher.
Herr Rauscher, wo gibt es Berührungspunkte zwischen Film und Games?
Zunächst gibt es kulturhistorische Berührungspunkte. Als der Film Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, wurde er zunächst skeptisch beäugt – sein Ursprung lag auf dem Jahrmarkt, im cinema of attraction. Ähnlich verhält es sich mit den Games: Sie verbreiteten sich in den siebziger Jahren vor allem als Arcade-Automaten in Spielhallen und waren hier in Deutschland besonders geächtet, weil die Jugendschutzbestimmungen strenger waren als in anderen Ländern. Selbst Games, die sich an ein großes Publikum richteten, waren erst ab 18 Jahren in Spielotheken verfügbar. Damit blieb ihr kultureller Einfluss in Deutschland schwächer als im europäischen Ausland oder den USA.
Wo gab – und wo gibt es – inhaltliche Parallelen?
Die frühen Filme waren nicht narrativ, verzichteten auf Psychologisierung und boten stattdessen einzelne Attraktionsmomente. Das findet sich auch häufig in den frühen Spielen. Die Entwicklung zum Narrativen fand erst statt, als die Games mehr Speicherplatz zur Verfügung hatten – etwa in Adventures und Rollenspielen. Zugleich lässt sich beobachten, wie Genres als Verbindung von Film und Spiel funktionieren. Wenn etwa in einem Game wie „Red Dead Redemption“ der Einfluss des revisionistischen, kritischen Spätwesterns verarbeitet wird. Oder wenn „L.A. Noire“ die Filme der vierziger Jahre als Grundlage für das Spielszenario und die Weltstruktur nimmt. Wie man es nicht machen sollte, zeigt mustergültig das Computerspiel „E.T.“ von 1982: Der Filminhalt wurde unmittelbar übertragen, ohne sich Gedanken über ein passendes Game-Genre zu machen. Das Spiel wurde ein Flop, die unverkauften Exemplare wurden in der Wüste von New Mexico vergraben. 2014 begab sich ein Team um den Filmemacher Zak Penn auf die Suche nach dieser urbanen Legende – und wurde fündig. Wir bekamen für die Ausstellung sogar zwei Exemplare zur Verfügung gestellt, sozusagen als medienarchäologische Ausgrabung.
Wie ist die Ausstellung "Film und Games. Ein Wechselspiel" grundsätzlich aufgebaut?
Wir stellen in 20 Projektionen Ausschnitte aus Spielen und Filmen gegenüber. Die Besucher können so unmittelbar vergleichen, wie das filmische Szenario im Spiel umgesetzt wurde. An acht Stationen können sie Spiele auch selbst ausprobieren, etwa ein Rätsel aus einem alten Indiana-Jones-Adventure, das der entsprechenden Szene aus dem Film gegenübergestellt wird. Zu den anspielbaren Exponaten zählen auch „Defender of the Crown“, „Monkey Island“ mit seinen Verbalgefechten sowie „Tomb Raider“, „Lego Star Wars“, „Psychonauts“ und mehrere Independent-Games.
Wie schreiben Spiele die Filmvorlagen fort?
Das kann sehr unmittelbar stattfinden. Das Spiel „From Russia with Love“ wurde 40 Jahre nach Entstehung des gleichnamigen James-Bond-Films umgesetzt – und Sean Connery sprach darin noch einmal seine prominenteste Rolle. Oder das Spiel „Alien: Isolation“, das 35 Jahre nach dem ersten „Alien“-Film Kulissen verwendet, die ursprünglich für den Film entwickelt wurden. Games können aber auch den filmischen Handlungsraum erweitern – der Medienwissenschaftler Henry Jenkins nennt das transmedia storytelling. So werden im Videospiel „Knights of the Old Republic“ neue Bereiche des Star-Wars-Universums eröffnet, die in den Filmen gar nicht oder nur am Rande vorkommen. Die Spieler können beispielsweise Korriban erkunden, die Heimatwelt der Sith-Lords , denen auch Darth Vader angehört. Oder die Kulturen des Wüstenplaneten Tatooine erforschen.
Macht transmedia storytelling Spiele und Filme zu Verbündeten? Oder überwiegt die Konkurrenz zwischen beiden Medien?
Die Entwicklung im Blockbuster-Bereich hat das wechselseitige Misstrauen befördert. AAA-Games haben immer aufwändigere Grafiken, immer höhere Budgets – und damit auch einen immer stärkeren Druck, in möglichst kurzer Zeit einen möglichst hohen Umsatz zu erzielen. Diese Mentalität führt schnell zu einem Konkurrenzdenken, das die jeweiligen Besonderheiten der beiden Medien zu wenig beachtet: beim Spiel die interaktive Erfahrung und beim Film die Inszenierung durch die Regisseure. Filmemacher glauben, Videospiel-artige Szenarien in ihre Blockbuster einbauen zu müssen. Auf der anderen Seite warnen Game-Designer wie Eric Zimmerman vor einem cinema envy: Dass nämlich die Spielemacher nur neidvoll nach Hollywood schielen, anstatt sich um spannende Spielmechanismen zu bemühen. Interessante Synergien entstehen meiner Meinung nach erst dann, wenn die Besonderheiten beider Kunstformen gebührend einbezogen werden. Ein ziemlich vergeigter Film wie „Jurassic World“ wäre als Videospiel von vorneherein spannender gewesen. Auf der Leinwand wirkt der Kampf gegen den Tintenfisch-Supersaurus aber langweilig und unfreiwillig komisch, weil sich „Jurassic World“ für einen Trash-Film viel zu ernst nimmt.
Sie sprechen von Videospiel-artigen Szenen in Hollywood-Blockbustern. In welchen Filmen hat die Übertragung wirklich gut funktioniert?
In den meisten aktuellen Comic-Verfilmungen finden sich Elemente wie Interfaces und Level-Strukturen, die sich unmittelbar mit der Ästhetik von Videospielen ergänzen. In „The Dark Knight“ von Christopher Nolan verfügt Batmans Maske über ein Display mit einer Level-Ansicht, die sich in ähnlicher Form auch in den inhaltlich unabhängigen „Arkham“-Spielen findet. „Prince of Persia: Der Sand der Zeit“ ist eine gelungene Umsetzung, nicht zuletzt deshalb, weil an ihr der Game-Designer Jordan Mechner beteiligt war. Daneben finden sich überzeugende Adaptionen im niedriger budgetierten Genrekino, etwa in Paul W.S. Andersons „Resident Evil: Retribution“, der die Levelarchitektur des Spiels einfallsreich auf den Film überträgt.
Games sind interaktiv, die Spieler können unmittelbar ins Geschehen eingreifen. Im Film konnte sich Interaktivität bisher nicht durchsetzen. Ändert sich das nun?
Die bisherigen Versuche, interaktive Filme zu realisieren, endeten meistens in Enttäuschungen. Die besseren und kreativeren Ergebnisse entstehen, wenn sich Filme an der neuen Raumwahrnehmung der Games orientieren oder Games sich von den Settings und Szenarien der Filme inspirieren lassen, um diese in einer eigenständigen spielerischen Form weiter auszubauen. Allerdings lässt sich nicht ausschließen, dass auch der interaktive Film ein Comeback erlebt – so wie die Brille Oculus Rift gerade die Diskussionen um Virtual Reality wiederbelebt. Ob das wirklich wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Verknüpfung durch ästhetische Ansätze oder die Konstruktion transmedialer Welten erscheint mir ergiebiger.
Die Sonderausstellung "Film und Games. Ein Wechselspiel" läuft noch bis zum 31. Januar 2016 im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen.
PD Dr. habil. Andreas Rauscher (*1973) ist seit Herbst 2014 Akademischer Rat für Medienwissenschaft an der Universität Siegen. Außerdem arbeitet Rauscher als freier Journalist und Kurator (Filmmuseum Frankfurt), von 2008 bis 2014 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Filmwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: Neuere Filmgeschichte, Game Studies, Transmedia Storytelling und Worldbuilding, Autorenfilm und Genrekino, Comic und Film, Animationsfilm, Cultural Studies, American Independents.
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