Gamescom gestartet: Direkt auf die Augen
Am besten mit Brille: Die auf der Gamescom in Köln vorgestellten Spiele werden immer realistischer.
Die Revolution der Branche wird auf der Gamescom fast schon beiläufig präsentiert: Virtual-Reality-Brillen. Prototypen wie „Oculus Rift“ oder „Project Morpheus“ sehen aus wie übergroße Skibrillen. Mittels zweier Monitore erzeugen sie ein dreidimensionales Bild mit einem gigantischen Sichtfeld. Das Ergebnis verblüfft: Man taucht viel tiefer ins Spielgeschehen ein als vor einem Monitor. Verstärkt wird der Effekt noch durch das sogenannte „positional tracking“: Dreht man den Kopf nach oben, unten oder zur Seite, werden die Bewegungen direkt ins Spiel übertragen.
Die Technologie eignet sich besonders gut für Renn- und Flugsimulatoren, etwa für die Weltraumschlachten in „Eve Valkyrie“. Am Messestand von Sony werden Gamescom-Besucher „Project Morpheus“ in Kombination mit drei kurzen Demo-Spielen ausprobieren können: dem Tauchgang „The Deep“, dem Rennspiel „Street Luge“ und der Ritterkampfsimulation „The Castle“. „Oculus Rift“, dessen Hersteller Facebook für zwei Milliarden US-Dollar gekauft hat, ist in Köln Fachbesuchern vorbehalten. Mit einer Marktreife der VR-Brillen ist nicht vor 2015 zu rechnen.
Im Mittelpunkt der Messe steht noch bis Sonntag das Kräftemessen zwischen Microsoft und Sony. Jeder behauptet, die beste Konsole aller Zeiten im Gepäck zu haben. Als Trumpfkarten dienen Exklusivspiele. Trumpft Microsoft mit dem Rennspiel „Forza Horizon 2“, kontert Sony mit „Driveclub“. Führt Sony viktorianische Monsterjagden ins Feld („The Order: 1886“), kündigt Microsoft das nächste „Tomb Raider“ als Exklusivtitel an.
Doch auch sonst ist die weltweit größte Computerspielmesse ein Spektakel: Rund 700 Aussteller präsentieren in Köln-Deutz neue Spiele, Hardware und Fanartikel. Bis zum Sonntag erwarten die Veranstalter mindestens 340 000 Besucher – mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Gamescom. Seit sie 2009 von Leipzig nach Köln zog, ist die Messe kontinuierlich gewachsen. Das Rahmenprogramm umfasst E-Sport-Turniere, Konzerte und Cosplay-Events, bei denen Fans sich als ihre Lieblingsspielfiguren verkleiden; auch in der Kölner Innenstadt ist die Gamescom mit Veranstaltungen omnipräsent. Die Messebesucher sind meist zwischen 16 und 25 Jahren alt und kommen in die Domstadt, um ihr Hobby zu feiern. Für wenige Minuten Spielzeit nehmen sie stundenlanges Warten an den festungsartigen Messeständen in Kauf: Wer das neueste „Fifa“ oder „Borderlands“ ausprobieren möchte, braucht eben jede Menge Geduld.
Am sichtbarsten sind in Köln Konsolen- und PC-Spiele. Gaming-Apps für Smartphones und Tablets kommen bestenfalls am Rande vor, obwohl sie im Markt das größte Wachstum verzeichnen. 20,6 Millionen Deutsche spielen mittlerweile auf den Mobilgeräten, hat der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) unlängst herausgefunden. Der Umsatz mit Spiele-Apps und virtuellen Zusatzinhalten wuchs im ersten Halbjahr 2014 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um eindrucksvolle 133 Prozent, nämlich von 49 auf 114 Millionen Euro. Kein Wunder, dass immer mehr Firmen erfolgreiche Spielemarken auch als Mobile Games umsetzen – etwa Publisher Ubisoft, der den mobilen Schleichspiel-Ableger „Assassin’s Creed Memories“ plant.
Das Geschäftsmodell Free-to-play, das bisher vor allem auf PC und Mobilgeräten funktionierte, greift zusehends auch auf die Konsolen über. Aktuelles Beispiel ist der Multiplayer-Titel „Smite“, dessen Online-Schlachten ab 2015 auf der Xbox One stattfinden: Nutzer können sich bessere Waffen oder Rüstungen im Spiel hinzukaufen. Mobile Games, Free-to-play und die neue Konsolengeneration lassen den deutschen Spielemarkt im ersten Halbjahr 2014 um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum wachsen: Der Umsatz liegt jetzt bei knapp 800 Millionen Euro.
Umsätze und Geschäftsmodelle interessieren die Gamescom-Besucher jedoch kaum. Stattdessen saugen sie begierig jede Information auf, die es auf der Messe zu ihrem Lieblingsspiel gibt. Auch Ankündigungen neuer Spiele stehen hoch im Kurs – selbst dann, wenn es bis zur Veröffentlichung noch Jahre dauern kann. Auf der Gamescom sind Überraschungen normalerweise dünn gesät, weil die meisten Spiele schon im Juni auf der US-Messe E3 angekündigt werden. Auch in diesem Jahr dominieren auf der Gamescom bereits bekannte Titel – sei es das Hüpf- und Kreativspiel „Little Big Planet 3“ (Sony), die Alltagssimulation „Die Sims 4“ (EA), das Zeitmanipulationsspiel „Quantum Break“ (Microsoft) oder „Bayonetta 2“, mit dem eine wehrhafte Hexe auf Nintendos Konsole Wii U debütiert. Ganz allgemein setzt die Industrie auf bewährte Blockbuster-Reihen: Das fängt bei „Batman: Arkham Knight“ (Warner) an und reicht bis zum dem Fantasy-Abenteuer „Dragon Age: Inquisition“ (EA). Wirklich neue Konzepte sind dagegen selten. Ein Beispiel ist „Splatoon“ (Nintendo), in dem zwei Vierer-Teams mit Farbe statt mit scharfer Munition schießen – und versuchen, vor Ablauf der Spielzeit möglichst viel Fläche vollzuklecksen. Ein anderes Beispiel ist „Evolve“ (2K), bei dem vier Jäger gegen ein Alien-Monster kämpfen, das sich ständig weiterentwickelt – und von einem fünften Spieler gesteuert wird.
In den meisten Fällen bauen die Studios jedoch auf altbekannte Spielmechaniken, der Fortschritt liegt dann eher in der technischen Umsetzung. Die gesteigerte Rechenleistung der neuen Konsolengeneration erlaubt den Entwicklern, offene Spielwelten sehr viel detaillierter zu gestalten als bisher. „Assassin’s Creed Unity“ lässt Action-Fans in die Wirren der Französischen Revolution eintauchen – und entwirft dafür ein architektonisch beeindruckendes, frei erkundbares Paris des Jahres 1789. Allein für die Gestaltung der Kathedrale von Notre-Dame wurden 5000 Arbeitsstunden investiert. Ähnlich detailliert sind die Spielwelten in „Batman: Arkham Knight“, im Himalaya-Abenteuer „Far Cry 4“ und in „The Witcher 3: Wild Hunt“. Blockbuster gibt es aber auch für die jüngere Zielgruppe: Bestes Beispiel sind die Sammelfiguren, mit denen Activision („Skylanders“) und Disney („Infinity“) erfolgreich sind.