Kein Weihnachten ohne TV-Klassiker: Ist das Leben nicht schön?
Entspannung zwischen Programmschablone und Corona-Drehs. Das bringen die Weihnachtstage im Fernsehen und im Streaming.
Programmplaner im Fernsehen müsste man sein. Die Schablone für die Weihnachtsfeiertage besteht offenbar aus: „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, Helene Fischer, „Kevin – Allein zuhause“, „Traumschiff“, wahlweise Loriot, Zirkus-Festivals, „Ein Herz und eine Seele“ und wieder Loriot in den Dritten Programmen.
Daran hat sich auch 2020 nicht all zu viel geändert. Dabei dürfte wegen der Pandemie-bedingten Kleinfamilienfeiern zwischen Gänsebraten, Bescherung und am nächsten Tag wieder Braten noch mehr Fernsehen geschaut werden als ohnehin schon, mangels Gesprächspartnern – und sich dabei gefragt werden, ob es bei Netflix, Amazon Prime, Joyn oder Sky nicht doch ein bisschen abwechslungsreicher und spannender zugeht als bei ARD, ZDF & Co.
Oder sollen es zu Weihnachten fernsehmäßig gar keine Überraschungen sein? Der ultimative Feelgood-Film „Ist das Leben nicht schön?“ von 1946 veredelt seit gefühlt 40 Jahren das Festprogramm. Wir kennen ihn auswendig. Kein Geschenkeauspacken ohne danach James Stewart als hoch verschuldeter George Bailey, der sein Leben für sinnlos hält und sich wünscht nie geboren zu sein, bis ihn die Mächte des Himmels in Person des Engel Clarence retten und ihm vorführen, was aus Heimatort und Bewohnern geworden wäre, wenn George nie gelebt hätte.
Heiligabend im Fernsehen ist diesmal nichts mit Rettung. Dabei hätten wir das dieses Jahr so gut gebrauchen können. Das ZDF verweist auf fehlende Lizenzrechte. Arte bringt den Frank-Capra-Klassiker immerhin noch am 29. Dezember. Bleiben tatsächlich vor und nach der Bescherung die „Drei Haselnüsse…“ (unter anderem: ARD, 12 Uhr 15 oder RBB, 23 Uhr 15), „Kevin – Allein zu Haus“ (Sat1, 20 Uhr 15), die gute, alte „Feuerzangenbowle“ (ARD, 21 Uhr 45) oder für Nachteulen „Bridget Jones“ (ZDF, 1 Uhr 40).
Interessanter – und neuer – wird es am Ersten Weihnachtstag mit Tobias Moretti als alternden „Louis van Beethoven“ (ARD, 20 Uhr 15). Wer es musikalisch zeitgemäßer mag: Das ZDF hat Helene Fischer trotz Corona-bedingten Ausfalls der Weihnachtsshow den Primetimeplatz frei gehalten. Gibt es halt ein Best-Of, „Meine schönsten Momente“. Parallel auf Sat1 (20 Uhr 15) ist, wie sollte es anders sein, „Kevin“ mittlerweile „Allein in New York“ gelandet, Pro7 bringt Sandra Bullock in der Gaunerkomödie „Ocean’s 8“.
Als ob Kreuzfahrtschiffkapitäne nichts anderes zu tun hätten
So richtige Blockbuster sind das nicht. Der Fernseh-Blockbuster schippert am Zweiten Weihnachtstag unverdrossen über die Weltmeere. Das „Traumschiff“. Wo man geglaubt hat, die Kreuzfahrtbranche liegt mit Corona am Boden, hat es das ZDF tatsächlich fertig gebracht, die Illusion vom ungefährdeten Reisen aufrechtzuerhalten und zwei neue Episoden zu drehen: eine in Kapstadt und, am Neujahrstag, auf den Seychellen. Inhaltsangaben sind hierbei traditionell nicht ganz so wichtig, nur so viel: Ganz ohne Schrammen ist es bei der Produktion dann doch nicht gegangen.
Wegen der Corona-Krise konnte Harald Schmidt nicht für die Dreharbeiten eingeflogen werden, was dem Feiertagsschmonzens schon mal ein Schuss Ironie entzieht. Der getreue Schiffsarzt Doktor Sander (Nick Wilder) ist rechtzeitig angekommen, aber er droht, natürlich der Liebe wegen, von Bord zu gehen. Der nächste prominente Abgang des ZDF-Quotenhits. Bleibt Florian Silbereisen, der als allmächtiger Kapitän Max Parger in Kapstadt mühelos verschollene Passagiere findet wie Vorgänger Sascha Hehn zu besten Zeiten. Als ob Kreuzfahrtschiffkapitäne nichts anderes zu tun hätten, als am Zielort mit dem Motorrad durch die City zu fahren.
Nun ja, schöne Illusionen, denen vielleicht der Ulrike-Folkerts-„Tatort: Unter Wölfen“ über einem Mord an einem Clubbetreiber im Ersten (20 Uhr 15) vorzuziehen ist. Oder, im Bingewatching, Streamingserien, die übers Jahr verpasst wurden sind.
Die wegen ihres Wahrheitsgehalts viel diskutierte vierte Staffel der Royals-Story „The Crown“, „Unorthodox“ über den Ausbruch einer jungen Jüdin aus einer chassidischen Gemeinde, die Schachwunderkind-Story „Das Damengambit“ (alle Netflix), „Deutschland 89“, der Abschluss der Trilogie (Amazon Prime Video), das Ehedrama „The Undoing“ mit Nicole Kidman und Hugh Grant (Sky), neue „Jerks“-Folgen mit Christian Ulmen und Fahri Yardim auf Joyn oder die Komödie „Unter Freunden stirbt man nicht“ mit Iris Berben und Heiner Lauterbach (TV Now).
Wer aber zu Weihnachten doch nicht auf George Baileys Rettung verzichten und bis zum 29.12. auf den TV-Klassiker warten will: „Ist das Leben nicht schön?“ gibt es auch auf Amazon Prime Video.