„Das Damengambit“ auf Netflix: USA vs. UdSSR, entschieden auf 64 Feldern
„Das Damengambit“ auf Netflix ist die Serie des Herbstes. Und lässt nicht nur Schach, sondern auch Berlin in neuem Licht erstrahlen.
Das Schachbrett. Eine geschlossene Welt, die keine Fehler verzeiht, die unantastbar, unangreifbar erscheint, von außen zumindest. Ist es Zufall, ist es Absicht, dass „Damengambit“, eine der interessantesten Serien dieses Streamingherbstes in die Zeiten des erneuten Corona-Lockdowns fällt? Was soll man denn derzeit machen, außer spielen, lesen, Serien schauen, sitzen bleiben?
Selbst wer weniger an Schach interessiert ist, wird sich dem Reiz des Spiels kaum entziehen können, das die Kontrahenten die Umwelt stundenlang ausblenden lässt, während sie über 64 schwarz-weißen Feldern hocken. Zumal wenn das Spiel in so erlesene Bilder gepackt wird wie bei dieser Aussstattungs-Serie, aus der in jeder Szene die Mode, der Geist, der Zigarettenqualm der sechziger Jahre atmet. Das kannte man bislang nur von „Mad Men“.
Fast gar nicht von Netflix beworben, hat sich „Das Damengambit“ zum Streaminggeheimtipp entwickelt. Im Zentrum steht Elizabeth Harmon (Anya Taylor-Joy), ein fiktives Schachgenie im Amerika der sechziger und siebziger Jahre. Nach dem Tod der Mutter wird sie als Achtjährige ins Waisenhaus gebracht. Der Hausmeister bringt Beth das Schachspielen bei – und das Bewusstsein, etwas Außergewöhnliches zu sein, eine Art geistige Superheldin.
Ein Gegenentwurf übrigens zu den boomenden Superheldenformaten. Dann doch lieber ein Matt in acht Zügen vorhersagen, 250 Eröffnungsvarianten der Sizilianischen Verteidigung herunterbeten oder gegen 20 Spieler beim Simultanwettkampf gewinnen, als einen Unschuldigen bei der Terroristenjagd töten (wie in „The Boys“). Dumm nur in diesen Hippiezeiten, dass das alsbald adoptierte Schachwunderkind, das sich über die Kentucky- und US-Meisterschaften hinaus mit den Besten der Welt messen will, ein heftiges Suchtproblem hat.
Genie, Wahnsinn und Lebensuntüchtigkeit
Was dem von der Anlage her leicht eindimensionalen Plot – junge Außenseiterin entflieht Waisenheim und findet ihre Bestimmung – die nötige Fallhöhe verleiht. Immer nahe dran an den Fragen von Genie, Wahnsinn und Lebensuntüchtigkeit, ähnlich den Helden in Zweigs „Schachnovelle“ oder „Lushins Verteidigung“ von Nabokov.
Die Serie basiert auf dem Roman „The Queen’s Gambit“ von Walter Tevis aus dem Jahr 1983. Genie und Wahnsinn in Sachen Schach – das musste man zu der Zeit nicht lange suchen. Ex-Weltmeister und Exzentriker Bobby Fischer, der in einem Jahrhundertkampf den russischen Titelverteidiger Boris Spasski entthronte, dürfte für die Beth-Figur Pate gestanden haben. Deren scheinbar unüberwindbarer kommunistischer Serien-Gegner ist hier: Großmeister Vasily Borgov.
Die UdSSR als Feindbild. Das feministische Narrativ, die Emanzipationsthematik – eine Frau behauptet sich in der Männer-dominierten Schachwelt –, wird in „Damengambit“ eher am Rande gestreift. Das ist dem Format vielleicht vorzuwerfen aber unbedingt verzeihlich.
Apropos UdSSR. Der Serie sind auch aus Berliner Sicht noch mehr Zuschauer zu wünschen. Am Ende spaziert die grandiose Anya Taylor-Joy (die „Emma“ in der jüngsten Jane-Austen-Verfilmung) über die Karl-Marx-Allee, die eine Moskauer Straße in den sechziger Jahren darstellen soll.
Wer genau hinschaut, dürfte noch andere Berliner Locations entdecken, wie das Palais am Funkturm. Das ist alles aber Nebensache beim großen Finale zwischen Beth Harmon und Borgov.
USA vs. UdSSR, entschieden auf 64 Feldern. Ein Damengambit. Das Klicken der Schachuhren. Der tiefe Blick in die Augen des Gegenübers. Das Fallen der hölzernen Figuren. Man möchte sofort selber wieder spielen. Und weiter zuhause bleiben.