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Sterile neue Streberwelt. Jungarzt Elias Bähr (Stefan Ruppe, l.) spritzt Jakob Kruse (Daniel Borgwardt) ein Beruhigungsmittel. Annika Rösler (Paula Schramm) steht ihm bei. Foto: ARD
© ARD/Tom Schulze

Spin-off zu "In aller Freundschaft": In der Ehrgeizhölle

„In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ soll das ARD-Vorabendprogramm aus dem Koma holen. Doch eine Rebellion gegen die Altvorderen wird es nicht geben.

Die Arztkittel strahlen weißer als weiß, die jungen Gesichter leuchten voller Erwartung, auch wenn Ehrgeiz und Karriere die Peitsche schwingen. Ach, und was ist mit der Gefühlswelt unter der Dienstkleidung? Nein, Gefühle, vor allem Amor, liegen im neuen „Johannes-Thal-Klinikum“ – das sinnigerweise nach einem Erfurter Arzt benannt wurde, der 1543 mit 41 Jahren auf dem Weg zu einem Patienten mit dem Pferdefuhrwerk ums Leben kam – vorerst noch auf der Isolierstation. Erst die Pflicht, dann die Liebe.

Der erste Eindruck der ersten drei von insgesamt 43 geplanten und donnerstags um 18 Uhr 50 auf Jugendfang gehenden Folgen: Der MDR riskiert mit den Erfurter „Die jungen Ärzte“-Doktorspielen nur eine ästhetische Gesundheitsreform, aber keinen Totaleingriff in die überkommenen narrativen Erwartungen des „In aller Freundschaft“-Zuschauers.

Was Wunder. Das Leipziger Mutterhaus hat mit sich selbst zu tun und sucht nach Orientierung. Eigentlich nicht die Zeit für Kaperfahrten in das flache Gewässer des Vorabends. In der Sachsenklinik nämlich weht seit einiger Zeit das Lüftchen der Veränderung. Letzte Reste des Heile-Welt-Mythos aus den Zeiten des Sauerbruch-Schwarzwaldklinikums sind „In aller Freundschaft“ und aus Altersgründen entfernt worden. Kälte wird spürbar, die Halbgötter sind grau geworden.

Die Pensionierung der alten Leitfiguren hat Lücken hinterlassen

Nie mehr schimmern väterliche Güte und vergeblich gezähmter Groll aus dem gegerbten Antlitz des Sachsenklinik-Zeus’ Professor Simoni, den der wunderbare Dieter Bellmann unnachahmlich hingeknattert hat. Nie mehr wird seine Hera, Oberschwester Ingrid (Jutta Kammann), säuerlich, streng und gütig zugleich zur Pflichterfüllung mahnen.

Die charismatische Lücke, die die Pensionierung der Leitfiguren hinterlässt, ist zu spüren. Chefarzt Roland Heilmann, den Thomas Rühmann so nüchtern wie möglich herunterkühlt, kann den Vaterverlust nicht ausgleichen, und auch Serienschlange Sarah Marquardt (Alexa Maria Surholt) fehlt die sittliche Reife der bösen Modernisierungs-Vollstreckerin. Sie wirkt noch immer wie eine ungezogene Tochter in der Pubertät, die nach dem Abgang des alten Professors fröhlich im Oberwasser schwimmt.

Doch dramaturgische Not kennt kein Gebot im modernen, tendenziell einfallsarmen Unterhaltungsfernsehen. Wer, wie es „In aller Freundschaft“ tut, im Hauptabendprogramm seit Jahren bis zu sechs Millionen Zuschauer ans Krankenbett holt, der muss im Vorabend aushelfen, wo das Erste zuletzt wenig bis nichts zustande gebracht hat. So findet das Klonen einer Serie – auch Spin-off genannt – nicht post mortem statt, sondern gleichzeitig mit dem noch lebenden Spender. Bewährte Elemente bekommen eine Anti-Aging-Kur, ohne den genetischen Code zu ändern, wie es die wirkliche Welt hinterm Reagenzglas erfordern würde.

Wer das Treiben im neuen „Johannes-Thal-Klinikum“ beobachtet, bemerkt schnell, dass der Post-Simoni-Welt keine Rebellion bevorsteht. Keine „Emergency Room“-Hektik hält Einzug, keine „Dr. House“- Skurrilität behelligt den teutonischen Todernst. Wie gewohnt: Fast alle werden, wie vorher von den alten, so auch von den jungen Ärzten geheilt.

Was der Zuschauer beim Leipziger Original für eine aus DDR-Zeiten überkommene Marotte halten konnte – die aggressive Förmlichkeit und Titelfixiertheit im Umgang unter Kollegen –, bleibt selbst in Erfurt erhalten. Die Jungen siezen sich im Dienst und vergessen nie die Doktoranrede. Sie mucken höchstens ein bisschen auf, wenn ein kaum älterer Vorgesetzter wie der Oberoperateur Matteo Moreau (Mike Adler) eine Azubi-Ärztin aus dem OP weist. „Sie machen, was ich sage“, „Haken und Mund halten“. Professor Simoni hätte so was vielleicht gedacht, aber nie gesagt.

Es ist eine ziemlich ehrgeizige Jungärzteschaft, die sich in Erfurt versammelt. So hamlethaft selbstzweifelnd Roy Peter Link als Dr. Niklas Ahrend von Leipzig geschieden ist und nun in Erfurt als Erlöser einzieht, so glatt passt er in die neue Streberwelt. „Sie können Ihren Fehler ausbügeln“, sagt er wie ein guter Onkel zu einer jungen Ärztin. Und lässt sie einen Blinddarm operieren.

"Johannes Thal" wirkt wie eine Jugendausbeutungsstätte

Ahrend rettet gleich mal seinen Chef (Robert Giggenbach als Oberjugendförderer Dr. Loosen), der sich einen Herzinfarkt geholt hat, aber nicht kürzertreten will – weil er nicht einmal seine Frau (Marijam Agischewa als Professorin und Chefärztin Karin Petzelt) so liebt wie das Operieren.

Die „Sachsenklinik“ ist kein Sanatorium für ihre Mitarbeiter, aber das „Johannes Thal“ wirkt wie eine Jugendausbeutungsstätte und Ehrgeizhölle in Reinkultur. Keine Charlotte (Ursula Karusseit) macht Brötchen, keine Chefarztgattin massiert die Patienten. In Erfurt wird mit der Angstlust spekuliert, die eine dauernd unter Punktebeobachtung stehende Jugend an Sendungen wie denen von Dieter Bohlen verspürt; mit dem Interesse am Ranking, gelegentlich auch am Heruntergeputztwerden. Wie im modernen Gymnasium geht es zu, wenn die Ärzte-Azubis mit dem Ausbildungsleiter Arendt um möglichst karrierefördernde Dienstpläne feilschen.

Gleich zu Beginn wird in Erfurt außerdem die inzestuöse Masche des Mutterhauses fortgesetzt, dass Ärzte ihre besten Kunden sind und ihresgleichen behandeln müssen. Das belegt nicht nur die Rettung des „Johannes Thal“-Jugendausbilders Loosen. Ein Eisenbahnunglück setzt die Ahrend-Crew unter Stress. Die Basisstation aus Leipzig grüßt. Denn in einem verunglückten Zug sitzt Oberschwester Azu mit dem Sohn, den Ahrend gezeugt hat. Nicht nur Mutter und Kind werden geheilt, sondern auch der junge Erfurter Halbgott gemäß der Brecht’schen Kreidekreis-Logik: Über Vaterschaft und Liebe entscheidet nicht die Biologie.

Ob Leipzig oder Erfurt, die harte Realität der Klinikprivatisierungen, die Fron in Weiß, drängt zur Macht über das TV-Märchen und dessen nostalgische Träume vom guten Chef und dem Glauben an Einheit von Seele und Körper.

Die „Sachsenklinik“, deren Dauererfolg auf gutem Casting, handwerklich perfekten Drehbüchern und wissenschaftlich glaubhafter Beratung beruht, opfert ihren Anspruch und schafft einen Spin-off-Ableger, der der ARD aus ihrer Einfallslosigkeit und Vorabend-Quoten-Misere helfen soll. Teile und herrsche?

Bevor die großartigen Älteren aus Leipzig in eine TV-Palliativstation mit eigenem Sendeplatz abgeschoben werden, sollten wir rechtzeitig und in aller Freundschaft warnen. Simoni und seine Welt sind zwar nicht beliebig verrückbar, aber unsterblich wie alle Märchen. Man entkommt ihnen nicht.

„In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“, donnerstags, ARD, 18 Uhr 50

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