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Am Set von "In aller Freundschaft": Wissensvermittlung durch Soap-Formate?
© dpa

Arztserien: Wissenschaftler kritisieren zuviel "heile Welt"

Am Ende einer deutschen Arztserie ist meist alles wieder gut. In der Realität dauert es manchmal Jahre, bis eine seltene Krankheit erkannt wird. Das US-Fernsehen bekommt den Spagat besser hin.

Operationen in der „Sachsenklinik“ findet Schauspieler Thomas Rühmann eher langweilig. „Ich kriege da keinen chirurgischen Flash im OP“, sagt er. „Man sieht ja sowieso nur die Augen.“ Die ARD-Fernsehserie „In aller Freundschaft“, in der Rühmann Chefarzt Roland Heilmann spielt, schalten rund sechs Millionen Zuschauer ein. Oft geht alles gut aus in dieser heilen Fernsehwelt. Auf dem Berliner Chirurgenkongress fragten sich Mediziner und Medienwissenschaftler am Freitag jedoch, ob sich aus Arztserien im öffentlich-rechtlichen TV nicht mehr machen lässt - in Sachen Gesundheit und Bildung. In den USA funktioniere das mit Formaten wie „Dr. House“ bereits wunderbar.

"Dr. House" rettet Leben

Der Marburger Uni-Mediziner Jürgen Schäfer ist bekannt dafür, dass er „Dr. House“ seit sechs Jahren in Seminaren für seine Studenten nutzt. Er findet die US-Serie, in der es um seltene Erkrankungen geht, ausgezeichnet recherchiert. So gut, dass er sich bei dem schweren Leiden eines Patienten nach dem Einsatz einer Hüftprothese an eine Dr.-House-Folge erinnert fühlte: Es könnte ja auch eine Kobaltvergiftung sein - und es war tatsächlich eine. „Gutes Entertainment kann Leben retten“, sagt er dazu. Dass Gesundheitsaufklärung in amerikanischen Fiction-Fernsehformaten so gut funktioniert, hat einen Grund. Die nationale Gesundheitsbehörde biete Drehbuchschreibern medizinische Beratung an, berichtet Schäfer. „So etwas würde ich mir in Deutschland auch wünschen. Wir verschenken da viel Potenzial bei der Gesundheitsaufklärung.“ Marion Esch, Medienwissenschaftlerin an der Technischen Universität, hat die Inhalte von deutschen Arztserien schon länger auf dem Kieker. „Es gibt bei uns kein ausdrückliches Verständnis dafür, dass Fernsehunterhaltung bilden soll“, kritisiert sie. Das High-Tech-Land Deutschland mit seinen Forschungserfolgen in Medizin und Naturwissenschaften, Technologie und Informatik spiegele sich im „Süßstoff“ der Produktionen kaum wider.

Dabei hätten TV-Serien durchaus Einfluss auf Berufswünsche. Die US-Produktion „CSI“ mit ihrem Schwerpunkt auf Beweis- und Spurensicherung habe in allen Ländern, in denen sie ausgestrahlt wird, für mehr Studienanfänger im Fach Forensik gesorgt. Edmund Neugebauer, Experte für chirurgische Forschung an der Uni Witten/Herdecke, hat nichts gegen deutsche Arztserien. Aber auch er sieht Möglichkeiten für mehr. „Wenn Folgen zeigten, wie sich selbstbewusste und mündige Patienten im Krankenhaus verhalten, wäre das toll“, sagt er. „Ich berate das Fernsehen da gern“. Denn noch immer erklärten viele Ärzte zu wenig - und Patienten fragten auch oft kaum nach. Neue Vorbilder im TV wären deshalb gut.

Weichzeichner für die Zielgruppe

Sven Miehe, Produzent von „In aller Freundschaft“, sieht deutsche Arztserien in einer extremen Heile-Welt-Tradition angesiedelt. Krankheit sieht in der Realität oft ganz anders aus. Bei einem Wandel fürchtet Miehe allerdings, Zuschauer zu verlieren. Medienwissenschaftlerin Esch hält mit Blick auf die Zukunft dagegen. Junge Leute schauten ohnehin die US-Serien auf privaten Sendern. Die deutschen Formate bei ARD und ZDF würden von Senioren bevorzugt. Auch Schauspieler Thomas Rühmann, seit 16 Jahren TV-Chirurg, sieht seine „Sachsenklinik“ weichgezeichnet, hat damit aber kein Problem. Die Zuschauer wollten danach ja gut schlafen können. Als es eine Folge über Vogelgrippe gab, habe es Vorwürfe gehagelt, dass Fernsehen die Leute verrückt mache. Medizin spielt für Rühmann auch nicht die größte Rolle in der Serie. Zwar hat er sich zur Vorbereitung eine Operation im Uniklinikum angesehen. „Ich mag aber mehr die unterhaltenden Konflikte in der Serie.“ (dpa)

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