Das Ende der Parteikratie im ZDF: Erst ging Brender, jetzt geht die Politik
Die Rekonstruktion des Falls Nikolaus Brender: Eine neue Studie zeigt, wie sich Roland Koch und Edmund Stoiber im ZDF zu Tode siegten.
Am 8. Juli wird es so weit sein, da kommt der Prozess zu seinem vorläufigen Ende. In Mainz, in der Konferenzzone des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), trifft sich der bisherige Fernsehrat zu seiner letzten Sitzung. Daran anschließend tritt der neue Fernsehrat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Gravierende Unterschiede: Das nächste Gremium wird aus 60 Mitgliedern bestehen, wo das amtierende noch aus 77 besteht. Dazwischen liegt ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2014. Entlang der Leitsätze wie „Gebot der Vielfaltssicherung“ oder „Konsequentere Beachtung des Gebots der Staatsferne für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ haben die Länder den ZDF-Staatsvertrag neu formuliert, danach wird der Fernsehrat um 17 Sitze reduziert, der Verwaltungsrat von 14 auf zwölf Mitglieder. Beiden Gremien ist die Maxime eingeschrieben, dass nur noch ein Drittel der Mitglieder aus „staatsnahen“ Institutionen und Organisationen kommen dürfen, Parteien sind von jeder Entsendung ausgeschlossen.
Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht
Ob das Kurt Beck (SPD), Edmund Stoiber (CSU) und Roland Koch (CDU) wirklich erreichen wollten? Der SPD-Politiker hatte die Normenkontrollklage vors Bundesverfassungsgericht gebracht, als Folge der Causa um den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, den die konservative Mehrheit im Verwaltungsrat Ende 2009 ums Amt gebracht hatte. Deren Anführer war Hessens Ministerpräsident Roland Koch, aber als eigentlicher Anstifter muss der bayerische Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber gelten. Der hatte Brender auf dem Kieker, in Stoibers Sicht der Dinge hatte das ZDF 2002 viel zu häufig Bundeskanzler Gerhard Schröder als Flut-Retter ins Bild genommen; 2002, das war das Jahr, in dem Stoiber die Bundestagswahl gegen Schröder verlor.
Was Stoiber via „Focus“-Artikel anstieß und Koch ins Ziel brachte, das war die Verhinderung der im Frühjahr 2009 anstehenden Vertragsverlängerung von Nikolaus Brender als ZDF-Chefredakteur. Wer gegen wen agierte und agitierte und warum, das ist jetzt in nuce nachzulesen. In der Dissertation von Inga Wagner: „Informelle politische Kommunikation: Eine Rekonstruktion des Falls Nikolaus Brender“, die dieser Tage im Springer Wissenschaftsverlag erschienen ist. Dieser Fall zeigt, wie ein Prozess auf der Hinterbühne beginnt und dann auf die Vorderbühne drängt. Was als große Mauschelei, sprich informelle politische Kommunikation abläuft, um parallel als öffentliches (Medien-)Thema verhandelt zu werden. Wie Akteure ein Ziel verfolgen, es durchsetzen und mit Zeitverzögerung ihres vermeintlichen Sieges verlustig gehen.
Interview mit zehn Verwaltungsräten
Inga Wagner konnte für ihre Arbeit zehn der damaligen 14 Verwaltungsräte ausführlich interviewen, Stoiber hatte erst zu- und dann abgesagt, mit dem ehemaligen ZDF-Chef Markus Schächter ließ sich kein Termin finden. Zitate aus den Gesprächen finden sich in der Analyse nicht namentlich zugeordnet, „bis auf wenige Ausnahmen waren fast alle Experten nur unter Zusicherung der anonymen Behandlung ihrer Aussagen zu einem Interview bereit“, schreibt Wagner.
In den Aussagen, den Presseartikeln und in den anderen Quellen wird offenbar, dass die Debatte um den Verbleib Brenders im ZDF niemals coram publico intendiert war, sie sollte gremienintern ablaufen. Ausgerechnet jene aber, die das Ende dieser Chefredaktion qua Mehrheit im Verwaltungsrat anstrebten, machten die Personalie erst öffentlich (Stoiber) und vergrößerten das öffentliche Interesse enorm, als Koch in einem „FAZ“-Interview am 25. Februar 2009 Gründe für die gewollte Abberufung nannte. Koch sah sich zu diesem Schritt gedrängt, auch weil die konservativen Verwaltungsräte ihn dazu drängten. Auch hier zeigte sich der vehemente Unterschied zwischen öffentlicher und interner Rede. Koch argumentierte die Negativentwicklung bei den Einschaltquoten der ZDF-Nachrichtensendungen und dementierte jede parteipolitische Motivation. Ein konservativer Verwaltungsrat verneinte im Gespräch mit Wagner die vorgebrachten Sachzwänge: „Die Gründe, das können Sie alles nachvollziehen, die sind nicht stichhaltig. (...) Die spielten gar keine Rolle mehr, weil man die gar nicht halten konnte.“ Aber andere, also persönliche Gründe sollten nicht vorgebracht werden, das hätte was Ehrenrühriges gehabt. Das war Comment bei den „Schwarzen“.
Das Persönliche wichtiger als das Sachliche
Unzweifelhaft ist, dass das Persönliche das Sachliche weit überwog. Es war nicht so, dass die Konservativen einen „roten“ Chefredakteur durch einen „schwarzen“ ersetzen wollten, sie wollten nur den Brender weghaben. Als das geschafft war, haben sie mit Peter Frey sofort und ohne jede Gegenstimme einen „roten“ gewählt.
Die formelle, seit der ZDF-Gründung 1962 bewährte Regel, Intendant sondiert im Vorfeld, Gremium folgt dem Vorschlag, hatte mit der Causa Brender nicht länger gegolten. Stoiber, und dann Koch, die hatten einen Traditionsbruch begangen, als sie den Schächter-Vorschlag, Brender zu verlängern, ablehnten. Wohl auch irritiert, dass Brender selbst mit einer weiteren ZDF-Tradition gebrochen hatte. Der Intendant und der Programmdirektor, sie gingen stets zum „schwarzen Freundeskreis“, der Chefredakteur und der Verwaltungsdirektor stets zum „roten Freundeskreis“. Nach dieser Farben-und-Partei-Logik waren die Posten stets besetzt worden.
Nikolaus Brender, der selbstbewusste und durchaus nicht immer diplomatisch agierende Chefredakteur, nahm einmal an einer Sitzung des „roten“ Freundeskreises statt, aber nur um zu erklären, dass er es kein zweites Mal tun werde. Die Journalisten im Haus ermunterte er, es ihm gleichzutun. „Und das hat dann auch aufgehört. Ist keiner mehr hingegangen“, erzählte ein Experte. Hier begann etwas zu erodieren, was mit dem Fall Brender endgültig ins Rutschen kam: die Macht der Parteipolitiker über den öffentlich-rechtlichen Sender ZDF.
Brender beendete die politische Einflussnahme
„Brender“, sagte ein Experte, „hat nicht zugelassen, dass Journalisten sich durch die Politik unmittelbar instrumentalisieren lassen. Er hat das journalistische Profil dadurch natürlich geschärft. Aber das war sein eigentlicher Verstoß gegen das Comment, und dafür musste er abgestraft werden.“ Klar ist auch, dass mancher ZDF-Mitarbeiter mit der Aufkündigung dieser langjährigen Absprachen nicht einverstanden war. Geplante, extern abgesicherte Karrieren kamen in Gefahr. Und damit war die fachliche Frage, ob Brender verlängert wird, zu einer senderpolitischen geworden: Der Grundsatz, die Union macht Leute, musste bekräftigt, ja erneuert werden (die SPD agierte nicht anders). Und weil das Machtinstrument mehr und mehr in der (Medien-)Öffentlichkeit diskutiert wurde, glitt es den Akteuren aus der Hand. Die Debatte fing an mit den „Fachfragen, die man diskutieren kann. Aber das wurde abgelöst von der Machtfrage und der Behauptungsfrage.“
Den Aussagen in der Arbeit zufolge sollte mit dem Fall Brender „den Mitarbeitern des ZDF klargemacht werden: ,Wer mit uns ist, dem ist wohlgetan.“ Macht im Sender, das war die seit Jahrzehnten geklärte Frage, wer wen bewegt. So war das Handeln im Sender, im Verwaltungs- und im Fernsehrat ausgerichtet, „Die Parteimitglieder haben es geschafft, allen, die nicht von den Parteien entsandt worden waren, zu vermitteln: ,Ihr habt euch nach uns zu richten’.“
Öffentliche Blamage
Wenn sich die Konservativen schon öffentlich blamieren sollten, und wollten, dann immerhin mit einem Ergebnis: Nikolaus Brender wird als ZDF-Chefredakteur nicht verlängert. Bei der Abstimmung im Verwaltungsrat bekam der Schächter-Vorschlag nur sieben Ja-Stimmen. Eine kleine Sensation, im Verwaltungsrat gab es eine 9:5-Mehrheit der Schwarzen, tatsächlich war das Abstimmungsergebnis 7:7. Zwei Räte waren von der Contra- zur Pro-Brender-Seite gewechselt. Trotz Droh- und Druckkulisse, trotz Fraktionsdisziplin. Dann kam das Urteil des Verfassungsgerichts, das das ZDF, seine Gremien und seine Mitarbeiter aus der parteipolitischen „Umarmung“ befreien sollte. Nikolaus Brender hatte da das ZDF schon verlassen.
Inga Wagner: Informelle politische Kommunikation. Eine Rekonstruktion des Falls Nikolaus Brender. Springer VS Verlag der Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2016. 260 Seiten, 39,99 €, E-Book 29,99 €