Attacken auf Marcel Reif: "Ein neues Ausmaß an Hass"
Marcel Reif wurde innerhalb von wenigen Tagen zweimal im Stadion attackiert. Im Interview kritisiert er BVB-Trainer Jürgen Klopp und spricht von einer neuen Eskalationsstufe, blindwütigem Hass und Parallelen zu den Pegida-Demonstrationen.
Herr Reif, Sie wurden das zweite Mal innerhalb weniger Tage von Fußballfans attackiert. Was war da los?
Beim Derby Dortmund gegen Schalke wurden meine Frau und ich im Auto angegriffen. Zum Glück war Polizei zur Stelle. Und am Dienstag beim Pokalspiel in Dresden wurde ich auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz mit Bier begossen.
Von Dresden-Fans?
Nein, das kam eindeutig aus der Dortmunder Ecke. Aber darum geht es nicht, es geht nicht um Borussia und Marcel Reif. Es werden auch Kollegen attackiert, fragen Sie mal Bela Rethy. Was neu ist, ist das Ausmaß an Hass. Am Dienstag war zum Glück eine Scheibe zwischen diesen Fans und meinem Arbeitsplatz, dem Kommentatorentisch. Aber was hinter dieser Scheibe an blindwütigem Hass, an Geifer, an Hemmungslosigkeit zu sehen war, wo jede Konvention, wie man miteinander umgeht verlassen wurde, das ist eine neue Eskalationsstufe. Ich möchte die nächste Stufe nicht erleben. Ich gebe zu, dieses Erlebnis in Dresden hat mich sehr verstört.
Mit Konsequenzen?
Keinen praktischen. Ich bin in zehn Tagen bei Dortmund gegen Köln im Einsatz. Ich habe da kein gutes Gefühl dabei, aber selbstverständlich werde ich meinen Job machen. Aber ich werde solche Vorfälle nicht mehr schweigend und schulterzuckend hinnehmen. Ich melde mich zu Wort, deswegen rede ich mit Ihnen.
Woher kommt die neue Gewaltbereitschaft gegen Journalisten, die ihrer Arbeit nachgehen?
Tja, gute Frage. Befeuert wird sie wahrscheinlich von der Anonymität in den sozialen Netzwerken, wo sich die Hemmungslosigkeit erst mal verbal aufschaukelt. Angegiftet werden ist das eine, das kennen wir schon, wenn man als Idiot oder Wichser beschimpft wird. Oder auch lustig, wie einmal in München, als mir ein Bayern-Fan auf dem Flughafen zurief, gell, Herr Reif diesmal aber ein bisschen objektiver für den FC Bayern. Aber das Fans nun die Sache buchstäblich selber in die Hand nehmen wollen, habe ich noch nicht erlebt.
Hilfreich sind dann Äußerungen wie die von Dortmunds Trainer Jürgen Klopp wohl nicht. Der hatte Ihre Kritik am Masken-Jubel zweier Dortmunder Spieler mit den Worten kommentiert: Der Reif findet in seinem Leben ohnehin nichts mehr witzig.
Das ist schon im privaten Bereich ungehörig und unverschämt. Im öffentlichen Bereich ist es unverantwortlich. Da müssen sich die Klubs äußern und Deeskalation fördern statt die Eskalation voranzutreiben.
Seit einiger Zeit ist das Unwort „Lügenpresse“ wieder im Umlauf. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Puh, kann man solche Vorfälle so hoch hängen? Aber vielleicht besteht tatsächlich ein Zusammenhang zu diesen fürchterlichen Angriffen auf den Journalismus. Der Hass und Geifer, die ich in Dresden in den Gesichtern gesehen habe, hat man in der Tat auch bei diesen Pegida-Demos gesehen. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, bei aller Selbstverliebtheit will ich mich nicht in die Opferrolle begeben. Wie gesagt, es geht nicht um Reif, oder gegen Reif. Insofern kann das schon möglich sein, dass auch ein Fußball-Kommentator in die Lügenpresse eingeordnet wird.
Ein Kommentator, der immer schon polarisierte.
Das liegt in der Natur der Sache. Wenn ich einen Klub für ein gutes Spiel lobe, verärgere ich die Fans des anderen Klubs. Und so weiter. In München gelte ich als Bayern-Hasser, außerhalb Münchens als Bayern-Fan. Man kann es in diesem Job, das wissen Sie auch als Print-Mann selber, nicht allen recht machen.
Damit können wir leben.
Ja, sehr gut sogar. Aber nicht mit diesem Hass. Mein Gott, wo sind wir hingekommen, wenn ich auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz, an dem ich über Abseits, Tore, Taktik rede, über ein Fußballspiel, über nicht mehr als ein Fußballspiel, geschützt werden muss?
Das Interview führte Helmut Schümann.
Marcel Reif war viele Jahre lang Bundesliga-Kolumnist des Tagesspiegels. Redaktionell betreut wurde er in dieser Zeit von Helmut Schümann.