Jugendangebot von ARD & ZDF: Die Zielgruppe testet "Funk"
Vergesst das lineare Fernsehen? ARD & ZDF haben ein neues Angebot für junge Leute. Nur kommt es bei denen nicht richtig an. Ein Erfahrungsbericht.
Groß und grell brüllt es mich von der Startseite an. „Fickt euch!“ Na danke, das nenne ich mal eine Begrüßung. Bin ich wirklich Teil einer Generation, die erst beleidigt werden muss, um ihre kostbare Aufmerksamkeit herzuschenken? Das scheinen jedenfalls die Macher von „Funk“ zu glauben. Das ist das neue, junge Programmangebot von ARD und ZDF, das nur online zu finden ist, und „Fickt euch!“ heißt das Magazin über Sex, das Dr.-Sommer-mäßig über Liebesthemen von Selbstbefriedigung bis G-Punkt aufklären soll.
Okay, „Funk“ ist für die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen gedacht, und die Verantwortlichen schreiben selbst, dass wir – ich stehe eher am hinteren Ende der Skala – keine homogene Gruppe seien. Mein 14-jähriges Ich hätte die aktuelle Version von mir sicher ziemlich schnarchig gefunden, aber hätte es beleidigt werden wollen, nur um des Wortwitzes willen?
Was soll’s, „Funk“ ist ja ein Content-Netzwerk für Webformate und internationale Serien von ARD und ZDF mit über 40 Formaten, und kein klassischer Fernsehsender, also muss ich auch nicht linear dem folgen, was mir vorgesetzt wird, ich klicke einfach weiter. Die nächste Sendung heißt „Auf Klo“. Ein kurzes, knackiges Gesprächsformat, eine sympathische Moderatorin spricht mit einer dicken Bloggerin übers Dicksein und darüber, warum sie „dick“ nicht als Beleidigung empfindet.
Ein wichtiges, gutes Thema, auch wenn sich absolut nicht erschließt, warum beide Protagonisten anschließend mit möglichst viel Baclava im Mund Popsongs summen, die dann der andere erraten muss, während beide in einer Toilettenkabine eingesperrt sind. Das hat was von den Anfängen beim Musiksender Viva, rund 25 Jahre später und im Netz. Banane ist es trotzdem.
Dann lieber eine Doku. „Y-Kollektiv“ heißt das Format, in dem Autoren zeigen wollen, „wie sie die Welt erleben“. Dazu begibt sich ein untrainierter Reporter zum „Mixed Martial Arts“, um der Frage nachzugehen, ob der Sport wirklich so „asozial“ sei. Das weiß ich auch zehn Minuten später noch nicht, habe aber erfahren, dass einer der Kämpfer gern Schach spielt, und gesehen, wie der Reporter eins auf die Nase bekommen hat, eingerahmt von Zitaten aus David Finchers „Fight Club“, die allerdings einigermaßen aus dem Kontext gerissen wurden und vor allem die Funktion zu haben scheinen, irgendwie cool zu wirken.
Ich klicke weiter und suche nach Politik. Hängen bleibe ich bei „Headlinez“. Das ist ein Youtube-Kanal von Rayk Anders, in dem er Gesellschaftsthemen verständlich und pointiert erklärt. Das hat er auch schon vor „Funk“ getan. Der Sender, der keiner sein will, hat den Youtuber einfach eingekauft, genau wie die meisten der wenigen Serien.
Und dabei haben sie wirklich ein Händchen bewiesen. Highlights wie „The Aliens“ oder „Hoff the Record“ stammen aus der Feder der BBC. Letztere ist eine urkomische Comedyserie mit David Hasselhoff, der einen fiktiven David Hasselhoff spielt, der sich selbst in seiner Biografie spielen will, aber mit jüngeren Schauspielern um die Rolle kämpfen muss. Herrlich selbstironisch und sicherlich für jene Nutzer gedacht, die mit „Knight Rider“ und „Baywatch“ aufgewachsen sind.
Das müsste doch auch meine Freunde interessieren. Kurze Blitzumfrage bei drei, vier potenziellen Serienjunkies, die nicht gerade was mit Medien machen.
„Hast du schon Funk ausprobiert?“
„Funk, was soll das sein?“
„Das neue, junge Angebot von ARD und ZDF.“
„Nie davon gehört.“
„Aber würdest du das nutzen?“
„Klar, dieser ganze Talkshow- und Tagesschau-Kram ist ja doch immer das Gleiche. Ist das ein Sender?“
„Nee, nur online.“
„Ich schau mal. Moment. … Was soll das sein?“
„Na, das junge Angebot.“
„Ist das jetzt ein Streamingdienst oder eine normale Internetseite?“
„Beides.“
„Wissen die selbst, was die wollen? Ich versteh’ das nicht.“
Um ehrlich zu sein, ich auch nicht. Und vielleicht auch nicht die Autorin und Bloggerin Ronja von Rönne, die ihren Reporter-Job bei dem „Funk“-Format „Jäger und Sammler“ schon wieder hingeschmissen hat. Nun ist dieses Angebot auch noch keine zwei Wochen alt und damit tiefer in der Selbstfindungsphase als die meisten seiner Nutzer. Vieles wird sich noch zurechtrütteln, manche Formate werden vielleicht verschwinden, andere hinzukommen oder sich verändern. Auch wir, ich, die Nutzer müssen das Angebot erst lernen, wie wir Facebook, Twitter, Snapchat oder früher die „Sportschau“ gelernt haben.
Und weil wir diesen Schritt schon gegangen sind, versprechen die Macher auch, besonders über jene Sozialen Netze mit ihren Nutzern zu kommunizieren. Dann müssen sie sich aber ranhalten. Denn bislang macht „Funk“ es einem nicht leicht, zufällig daraufzustoßen. Die Facebook-Seite gibt es erst seit dem Wochenende, bei Twitter komplette Fehlanzeige. Selbst die App, mit der ich alle Videos und Geschichten sehen kann, ist nur schwer zu finden. Macht nichts, denn einmal auf dem Tablet installiert, stelle ich fest, dass die App ausschließlich fürs Smartphone konzipiert und damit für meine Zwecke nutzlos ist.
Nein, Freunde sind „Funk“ und ich an einem Wochenende noch nicht geworden. Seit 1. 10. ist das Angebot am Start. Ich bin nicht sicher, ob ich ein zweites Treffen möchte. Vielleicht ist das alles gar nicht das Problem von „Funk“. Vielleicht bin ich einfach nur näher an der 29, als ich es mir eingestehen will. Und vielleicht arbeiten die Senderchefs schon wieder an einem neuen Angebot, diesmal für die 30- bis 49-Jährigen. Aber vielleicht sehen es ja andere auch ganz anders.
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