zum Hauptinhalt
"Tagesschau"-Sprecher Karl-Heinz Köpke war früher eine Institution, heute interviewen Youtube wie LeFloid die Kanzlerin.
© migfoto/Fotolia, dpa

Konkurrenz für ARD, ZDF & Co: Ist Youtube das neue Fernsehen?

Sie heißen Multi Channel Networks, sie bündeln eine Vielzahl von Videokanälen auf ihren Plattformen. Gamer-Star Gronkh hat Millionen Views. Traditionelle Sender hecheln hinterher.

Traditionelle Fernsehsender wie das ZDF, RTL oder Sat1 sehen sich heute von mindestens drei Seiten umzingelt: vom erst seit Kurzem in Deutschland profitablen Pay-TV (Sky), vom kapitalstarken US-Streamingdienst Netflix, aber auch von den YouTubern. Das Zauberwort heißt hier Multi Channel Networks – kurz: MCNs. Im Gegensatz zum geordneten Regelprogramm des gesetzten linearen Fernsehens mit seinen endlos abgenutzten Formaten wird hier wilder Content für die Jugend produziert, schneller, schriller, billiger. Die Sendeanstalten mit ihren langatmigen, überteuerten Produktionsprozessen und ihrem veralteten Ausstrahlungsmodus reagieren mit eher hilflosen Anpassungsversuchen.

Eine schier endlose Zahl an Kanälen wird befüllt

MCNs sind Netzwerke, die eine mehr oder weniger große Anzahl von Youtube-Kanälen unter einem Dach bündeln und dabei ähnlich funktionieren wie Verlage oder Plattenfirmen. Sie versuchen, möglichst erfolgreiche Youtuber – auch Creatoren genannt – vertraglich an sich zu binden. Ähnlich wie TV-Produktionsfirmen haben MCNs Redaktionen, Studios, Kameraleute, Redakteure und Ausstatter. Im Unterschied zum TV-Betrieb werden jedoch nicht Programmschienen gefüllt, sondern eine schier unendliche Anzahl von Kanälen, die man jederzeit abrufen kann.

Wichtig ist vor allem, möglichst große Reichweiten aufzubauen, denn sogenannte „Views“ sind heute die Währung der Mediaagenturen. Das funktioniert in etwa wie bei Amazon: Geht ein noch nicht so bekannter Youtuber mit einem neuen Kanal an den Start, dockt ihn das Netzwerk an erfolgreiche Protagonisten mit ähnlichen Inhalten an, deren Fans der Neuling empfohlen wird. Für ihre Dienste erhält das Netzwerk einen vertraglich fixierten Anteil der eingenommenen Werbeeinnahmen.

Die Online-Videoszene wächst

Zur Zeit wächst die Online-Videoszene sprunghaft: MCNs werden als neue Mega-Medien-Unternehmen gehandelt. Twitter und Facebook machen mit eigenen Angeboten Youtube Konkurrenz. Auch große amerikanische Hollywoodstudios investieren geradezu hektisch bis zu zweistellige Millionenbeträge in große Netzwerke oder übernehmen sie gleich ganz.

In Deutschland betreibt unter anderem ProSiebenSat1 mit Studio71 ein eigenes MCN, das der Sender durch die 82,8 Millionen Dollar (rund 74,5 Millionen Euro) teure Fusion mit dem amerikanischen Netzwerk Collective Digital Studio in „Collective Studio 71“ gerade zu einem globalen MCN ausbaut. Und Endemol, nach der zur RTL Group gehörenden Fremantle Media zweitgrößter Fernsehproduzent der Welt, nennt seit drei Jahren das Netzwerk „Endemol beyond“ sein Eigen. Und auch die Werbebranche springt auf den Zug auf: So ist der Außenwerbevermarkter Ströer mehrheitlich an dem Netzwerk „TubeOne“ beteiligt.

Berlin ziehlt als "Digitalhauptstadt" Unternehmen an

Studio71 hat sich im dritten Hinterhof der Josettihöfe in Berlin-Mitte einquartiert. „Es war wichtig, ein innovatives, dynamisches Thema wie ein MCN nicht ganz so nah in die Konzernstrukturen einzubinden“, sagt der 36-jährige Geschäftsführer Sebastian Weil, weshalb man sich damals als Standort für die „Digitalhauptstadt Berlin“ entschieden habe, wo zudem mit MyVideo und Ampya bereits zwei Digitalunternehmen von ProSiebenSat1 ihren Sitz hatten. Heute hat Studio71 etwa 180 Channels mit etwa 270 Millionen Views. Eines der größten Scoops war die Verpflichtung von Deutschlands erfolgreichstem Youtuber Gronkh. Der 38-Jährige ist ein Star der Gamer-Szene, seine Videos generieren Viewzahlen im zweistelligen Millionenbereich, was ihn auch im realen Leben zum Millionär gemacht haben dürfte. Ein großer Vorteil ist, dass Studio71 durch den ProSiebenSat1-eigenen Vermarkter SevenOne Media betreut wird, der Zugang zu allen großen Marken hat und denen nun umgekehrt die Türen für Werbung auf reichweitenstarken Online-Videos und mit bekannten Youtubern öffnet.

Trotzdem betrachtet Sebastian Weil MCNs nicht als Konkurrenten zum Fernsehen, sondern als Ergänzung. „Es ist bei Weitem nicht so, dass die junge Generation keine Lust auf Fernsehen hat“, sagt er. „Wenn wir Youtuber ins TV heben, findet das die Community toll. Da ist viel Anerkennung dahinter, sie sagen: Wow, jetzt bist du im großen Fernsehen angekommen, und die meisten Webstars haben auch große Lust dazu.“

Zugleich sei das Netzwerk auch eine Scouting-Plattform. „Wir entdecken neue Gesichter, können neue Formate testen, lernen auch in der Produktion dazu und können das auch auf unser Kerngeschäft, das TV, übertragen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch in zehn Jahren noch intensiv Fernsehen konsumieren werden. Und wenn die junge Zielgruppe älter und berufstätig wird, in andere Lebenssituationen kommt und eine Familie gründet, wird sie auch eher zur Fernbedienung greifen und sich nicht nur im Lean-Forward-Modus Clips raussuchen.“

Wird Youtube das Fernsehen ersetzen?

Keine fünf Kilometer entfernt sitzt Georg Ramme, Geschäftsführer von Endemol beyond, in seinem Büro und sieht das ähnlich. Das Unternehmen arbeitet auf einem ehemaligen Fabrikgelände an der Stralauer Allee in Berlin, auf dem sich auch die verglühten Musiksender MTV und Viva befinden. Außerdem betreibt man Büros in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien mit insgesamt 230 Mitarbeitern. „Auf Youtube sind Ansprache und Interaktion mit den Usern wesentliche Bestandteile“, erklärt der 41-Jährige. „Schüler kommen zum Beispiel nach Hause, checken ihre Facebook-Accounts und dann gucken sie zwei Stunden Youtube-Videos. Da wird deren Welt widergespiegelt, es geht um Hausaufgaben, Pubertäts- und Liebesprobleme, Schminken, Style usw., und man gibt seine Kommentare ab, was auf dem Fernseher ja eher lästig ist. Und dann macht man irgendwann Youtube aus und schaut sich im Fernsehen eine Serie an.“ Youtube sei ein Bestandteil des Medienkonsums und werde das Fernsehen nicht ersetzen, glaubt er. Allerdings sei das lineare Fernsehen an seine Grenzen gelangt und die Leute werden zunehmend nonlinear schauen, Netflix und Ähnliches. Mit Youtube habe das nichts zu tun.

Der WDR versucht sich mit „#3sechzich“

Für die deutsche Produzentenlandschaft ist das neue Land noch keine wirkliche Goldgrube. Die meisten tun sich schwer damit, passende Formate für Youtube & Co. zu produzieren. Der größte Fehler sei, dass die meisten dieselben Inhalte wie fürs Fernsehen produzieren, nur etwas kürzer, sagt Ramme. Man findet auch Produzenten, die im Fernsehen nicht so erfolgreich sind und es dann auf Youtube probieren. „Der Content ist anders, die Funktion des Contents ist anders, die Formate funktionieren anders und das Storytelling ist anders als im klassischen Fernsehen. Das muss man erst lernen.“

Im Januar hat der WDR den Youtube-Kanal „#3sechzich“ gelauncht, mit dem er nicht Teenager, sondern 20- bis 30-Jährige ansprechen will – was ihm mit bisher knapp über 3000 Abonnenten noch nicht so gut gelungen ist. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier fand das Angebot von Anfang an misslungen und ätzte auf seinem Blog, eines der größeren Missverständnisse der Macher „scheint der Glaube zu sein, dass der Erfolg von Youtubern darauf beruht, dass sie eine bestimmte Art zu reden, zu gestikulieren und zu schneiden haben, und man das bloß kopieren müsse.“

Sender sollen sich aufs Kerngeschäft konzentrieren

Man stelle sich vor, „Süddeutsche Zeitung“ oder „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hätten damals Dr. Sommer-Storys aus der „Bravo“ im Politikteil abgedruckt, um junge Leser anzuziehen. Klappt nicht. Deshalb sollten sich die Sender auf ihr Kerngeschäft von qualitativ hochwertigen Fernsehspielen, Dokumentation, Reportagen und Nachrichten konzentrieren und aufhören, den Jungen hysterisch hinterherzusteigen. Denn auch die werden älter. Ihr Leben verändert sich, ihr Geschmack, ihre Interessen. Sie werden weniger auf YouTube sein und sich nach einem anstrengenden Tag zurücklehnen und auf eine gut gemachte Serie oder fundierte Nachrichten ohne Herumgefaxe freuen. Alles hat seine Zeit. Stay cool.

- Der Text ist ein Auszug aus einem Essay, der im gerade erschienenen „Jahrbuch Fernsehen“, herausgegeben vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik und dem Grimme-Institut, veröffentlicht ist.

Zur Startseite