„The Undoing“ mit Nicole Kidman: Die Augen der Zerrüttung
In der HBO-Serie „The Undoing“ mit Nicole Kidman und Hugh Grant implodiert eine New Yorker Luxusidylle.
Die Augen: Schaufenster des Herzens, Spiegel der Seele – was wird in dieses zugegeben emotionale, am Ende rein funktionale Paar Sinnesorgane nicht alles hineininterpretiert. Zu Recht! Selbst wenn Hugh Grant mit zwei Gesichtern von schüchtern verhuscht bis schüchtern verliebt Weltruhm erlangen konnte, verleihen die Augen gerade Schauspielern weit mehr als Charakter und Ausdruck, sie erzeugen Macht über Gefühle.
Bei Nicole Kidman zum Beispiel öffnet sich, sobald die Kamera läuft, ein ganzer Kosmos menschlicher Regungen, mit denen sich jedes Filmformat füllen ließe, und ehrlich: Weit ist Susanne Biers HBO-Serie „The Undoing“ von diesem Ansatz gar nicht entfernt. Sobald ihre Hauptfigur im Bild ist, zoomt die dänische Regisseurin auf Kidmans blaue Augen und lässt das Publikum darin versinken. Schließlich bietet David E. Kelleys Serie nach Jean Hanff Korelitz’ Roman „Du hättest es wissen können“ auf Sky alle Höhen und Tiefen emotionaler Tauchgänge („The Undoing“, Sky, sechs Episoden, montags in Doppelfolgen).
Als Paartherapeutin Grace beginnt Kidman den Tag wie jeden Tag in totaler Harmonie mit dem Kinderarzt Jonathan Fraser (Hugh Grant) und lächelt dazu selig. Kein Wunder: beide sind zu schön, erfolgreich, cool, um wahr zu sein. Ihr Haus an der noblen Upper East Side offenbart den lässigen Luxus des New Yorker Geldadels. Probleme erschöpfen sich im Ausruf „Scheiße, meine Geige“, die der artige Henry (Noah Jupe) vorm Weg zur Privatschule sucht.
Bei so viel Glück flattert der Blick nur, als die rätselhafte Elena bei der Wohltätigkeitsarbeit ihr Baby stillt und später im Fitnessclub nackt vor Grace verkündet, sie wolle Teil ihrer Blase kultivierter Frauen mit tollen Jobs, tollen Kids, toller Moral sein.
Kein Grund für Leichenbittermienen – bis das Paradies der Frasers implodiert. Denn kurz nachdem ihresgleichen bei einer Charity-Auktion für arme Stipendiaten jährlich 50 000 Dollar Schulgeld fröhlich um Beträge erhöht, von denen die mittellose Elena monatelang leben könnte, wird sie brutal ermordet. Schlimmer: Jonathan kehrt nicht von einem Kongress heim und bleibt unerreichbar.
Als bestünde Grants Repertoire seit jeher aus Gerichtstragödien
Noch viel schlimmer: Dieser Kongress erweist sich als ebenso frei erfunden wie sein morgentlicher Weg ins Krankenhaus, das ihm Monate zuvor wegen sexueller Belästigung jener Frau gekündigt hatte, die sich bald darauf als Elena herausstellt.
Wie Kidmans Grace nun Lüge für Lüge ihres erst vermissten, dann angeklagten Ehemanns erkennen muss, rückt Biers Kamera den Augen der Betrogenen so mikroskopisch nah auf die Iris, bis sich darin ein Fegefeuer der Gemütsbewegungen spiegelt. Und kaum jemand könnte es glaubhafter illustrieren als sie.
Während sich „The Undoing“ vom Sittengemälde urbaner Eliten übers Familiendrama moderner Prägung zum Thriller Noir im Blitzlichtgewitter sensationslüsterner Medien auswächst, macht die Trägerin zahlloser Filmpreise daraus ein amerikanisches Psychogramm, das beim Zusehen in nervöser Stille den Atem raubt.
Zumal sie Beistand hat, erlesenen Beistand. Ihren obszön vermögenden Vater verkörpert kein Geringerer als Donald Sutherland, dessen maliziöser Snobismus mit 85 noch feinsinniger wird. Édgar Ramírez, als Modeschöpfer Gianni Versace 2018 gefeiert, verleiht Detective Joe Mendoza grandios skeptische Energie.
Lily Rabe („American Horror Story“) spielt die Soccer Mum Sophie, als lebte sie auch privat in der Gated Community. Und für Hugh Grant ist „The Undoing“ ohnehin das Coming Out als Künstler mit mehr als zwei Gesichtsausdrücken.
Sein hauptverdächtiger Jonathan schaut andere dabei zwar ähnlich schräg von unten an wie die liebenswerten Hallodris früherer Jahre – allerdings steckt darin eine Verzweiflung von so plausibler Traurigkeit, als bestünde Grants Repertoire seit jeher aus Gerichtstragödien.
Nur: Selbst damit kann er Nicole Kidman nicht die Show stehlen. Schon weil fast niemand im Epizentrum kultureller Erdbeben aufrechter durchgerüttelt werden und dennoch unbeugsamen Stolz verbreiten könnte als die alterslose Mittfünfzigerin.
Über dem milden Vorspann singt sie dazu engelsgleich „Dream a Little Dream of Me“, bis eine Seifenblase platzt wie die scheinperfekte Welt von Grace & Jonathan. In Folge Zwei zoomt die Kamera millimeterdicht an ihr panisches, zugleich kämpferisches Auge im Angesicht der nahenden Katastrophe. Das allein würde für ein außergewöhnliches Serienerlebnis reichen. Muss es aber gar nicht.
Jan Freitag
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