Nicole Kidman in "Destroyer": Zombie in Uniform
Schwer gezeichnet: Nicole Kidman macht in dem düsteren Polizeidrama „Destroyer“ eine eindrucksvolle Verwandlung durch.
Gegen diese Frau sind Clint Eastwoods „Dirty Harry“ und Harvey Keitels „Bad Lieutenant" Chorknaben: LAPD-Officer Erin Bell (Nicole Kidman) wirkt schwer gezeichnet, als sie zum Tatort unter einer unwirtlichen Autobahnbrücke stakst. Ihr Körper ist ausgezehrt, der Blick müde, das Haar stumpf und strähnig. Die männliche Leiche, die Bell vorfindet, hat keine Papiere bei sich – aber eine Tätowierung im Nacken. Drei Punkte prangen dort. Das Motiv lässt bei der desillusionierten Bell einen Verdacht aufkeimen, der mit einer traumatischen Erinnerung aus ihrer Vergangenheit zusammenhängt. Das Tattoo ist das Zeichen des brutal-charismatischen Gangleaders Silas (Toby Kebbell), in dessen Bande Bell vor Jahren mit ihrem Partner und Liebhaber Chris (Sebastian Stan) undercover ermittelt hat. Ihr Auftrag ging damals schief, es gab Tote. Die Polizistin hat noch eine Rechnung offen.
Vor allem für Darstellerinnen herrschen in Hollywood strenge Casting-Regeln, die den Wandlungswillen der Zunft auf absurde Weise unterlaufen: Nur bis zu einem gewissen Alter bekommen Schauspielerinnen, die dem branchenüblichen Schönheitsideal entsprechen (Jugendlichkeit, Schlankheit und eine perfekte Fönwelle) Hauptrollen als Handlungsträgerinnen angeboten – beziehungsweise Nebenrollen als love interest, als romantische Projektionsfläche. Die heute 51-jährige Kidman gehörte mit ihrem marmornen Teint und den glänzenden roten Haaren in beiden Kategorien lange zu den Favoritinnen unter männlichen Regisseuren. In Sofia Coppolas „Die Verführten“ verkörperte sie gerade schon einen ganz anderen Frauentypus. Und in der von Reese Witherspoon produzierten HBO-Serie „Big Little Lies“ über eine Gruppe gutsituierter Frauen im kalifornischen Monterey durfte sie sogar einen jüngeren Ehemann haben – der sich dann allerdings als gewalttätig herausstellt. Die US-Branche bedient noch immer ein angebliches Bedürfnis des Publikums, das nur Menschen unter 40 beim Leben, Lieben und Leiden zusehen möchte.
Kidmans Polizistin handelt selbstzerstörerisch
Dass Kidman sich auf den von der US-Regisseurin Karyn Kusama inszenierten „Destroyer“ eingelassen hat und ihre Rolle auf eine kompromisslose, fast destruktive Art und Weise interpretiert, ist darum eine angenehme Abwechslung. In Kidmans Maske sieht man die Anstrengung, ihr Gesicht, aus dem in den letzten Jahren alles herausgebügelt wurde, was auf Lebenserfahrung hinweist, wieder hineinzuschminken. Prothesen modellieren scharfe Kanten in ihre Züge, die Haut ist schmutzig schattiert, die Augen sind gerötet. Ihre Magerkeit, ihre schiefe Haltung, der sehnige Hals deuten eine Drogenabhängigkeit an. Wie ein Zombie hinkt Erin Bell durch den Film, auf der Suche nach einem Zusammenhang zwischen dem namenlosen Toten, bei dem sie mit Farbe gekennzeichnete Banknoten aus einem Überfall findet, und ihrer eigenen Vergangenheit.
Dass Erin Bell auch in diesem Zustand noch fest verankert ist in den gendertypischen Machtstrukturen des Polizeifilms, zeigt Kusama, die schon mit dem Boxerdrama „Girlfight“ (2000) und dem Teenhorrorfilm „Jennifers Body“ (2009) ihre feministische Einstellung unterstrich, auch hier deutlich. Als die Polizistin die alten Gangmitglieder abklappert und bei dem todkranken, fast bewegungsunfähigen Toby nach Hinweisen sucht, muss sie den ehemaligen Komplizen als Gegenleistung erst mit der Hand befriedigen. Viel hat sich eben doch nicht verändert, Drogen, Alter, Gesundheit hin oder her.
„Destroyer“ ist damit mehr als ein dramaturgisch etwas konfuser Genrefilm mit einem weiblichen bad cop. Obwohl am Ende der Story wichtige Fragen und Motive ungeklärt und zusammenhanglos im Dunkeln bleiben und selbst eine überflüssige Handlungswendung die Story nicht rettet, lässt sich der Film als eine Form der Selbstermächtigung lesen: Für Kidman bedeutet diese neue Körperlichkeit auch eine Befreiung. In Interviews erzählte sie, wie sie vor den Takes zuweilen eine Art Urschrei losgelassen habe, um sich in ihre Rolle zu versetzen. Anders als Charlize Theron, die als Serienmörderin in Patty Jenkins’ Debüt „Monster“ (2003) ebenfalls eine starke körperliche Verwandlung durchmachte, zeigt Kidman in „Destroyer“ dennoch lediglich eine Seite von sich, die mit weniger Ärzten und Dollars – von Eitelkeiten ganz zu schweigen – durchaus denkbar gewesen wäre.
Bilder der Vergangenheit illustrieren den Absturz
Und trotz der übertriebenen Kaputtheit (sogar im Moloch Los Angeles würde so ein Wrack von Polizistin Irritationen hervorrufen) und ausgestellten Beschädigungen kann Kidman die Besessenheit ihrer Figur vermitteln. In wenigen, teilweise gelungenen Rückblenden, in denen Kamerafrau Julie Kirkwood Kidman hautnah einfängt, und mit der heftigen, von atonalen Streicherarrangements dominierten Musik Theodore Shapiros erzählt „Destroyer“ auch von einer glücklicheren, energetischen Erin Bell. Und beschreibt so zugleich ihren Absturz. Es gab bessere Zeiten. Ein solider Exfreund (vor Chris) hätte sich gern gekümmert. Das Verhältnis zu ihrer pubertierenden Tochter ist gestört, sie will sich mit aller Macht von der Mutter distanzieren, um mit dem falschen Boyfriend ebenfalls in ihr Verderben zu rennen. Oder schließt Bell nur von sich auf andere?
Gemeinsam mit der wie eine Sickergrube saufenden Camille Preaker aus der HBO-Serie „Sharp Objects“, gespielt von einer ebenfalls rechtschaffen demontierten Amy Adams, mit Charlize Theron in „Monster“ oder "Mad Max" und der ramponierten Protagonistin in dem griechischen Polizeidrama „The Miracle of the Saragossa Sea“, das gerade auf der Berlinale zu sehen war, erweitert Erin Bell die Rollenauswahl für erwachsene Frauen in Kino und Fernsehen. Es wäre Nicole Kidman und ihren Kolleginnen zu gönnen. Zur Oscarverleihung müssen sie sich ja eh wieder aus dem Ei pellen.
In 8 Berliner Kinos, OmU: Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Rollberg
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