"Big Little Lies" mit Nicole Kidman: Helikopter-Mütter in Monterey
Die zweite Staffel der HBO-Serie „Big Little Lies“ ist noch besser – auch dank Meryl Streep.
Besetzungslisten sind nicht erst, aber besonders im Zeitalter der Streaming-Dienste hochglänzende Visitenkarten mit Goldrand und Reliefschrift. Ihr habt Brian Cox und Amy Adams? Ha, wir haben Michael Douglas und Emma Stone! Als HBO Anfang 2017 das Spitzenpersonal der Dramaserie „Big Little Lies“ präsentierte, klappten daher alle Kiefer abwärts: Ganz oben Reese Witherspoon und Nicole Kidman, knapp darunter Laura Dern, Adam Scott – und zur 2. Staffel kommt Meryl Streep auf die Liste.
Prominenter könnte die Fortsetzung der herausragenden Gesellschaftsanalyse um fünf verschieden eigenartige Mütter an Kaliforniens nobler Goldküste kaum besetzt sein. Umso erstaunlicher ist es da, dass eigentlich keine der preisgekrönten Film- und Fernsehstars die Hauptrolle für sich reklamieren darf. Denn die hat jemand, besser, etwas anderes inne: eine Küstenstraße.
Wie schon beim Auftakt dieser brillant inszenierten Serie dient die Hochbrücke entlang des notorisch windbewegten Pazifiks erneut als Erzählungszentrum, das gefühlt öfter im Bild ist als jede noch so berühmte Schauspielerin.
Wann immer die lebenslustige Madeline (Witherspoon), die fragile Celeste (Kidman) oder die resolute Renata (Laura Dern), die juvenile Jane (Shailene Woodley), die opake Bonnie (Zoë Kravitz) oder all ihre seltsam konturlosen Männer im SUV zwischen Schule und Villa, Arbeit und Alltag pendeln, führt sie der Weg über dieses Monumentalbauwerk. Wie es Mensch und Maschine im Dauernebel durchs Dasein leitet, erzählt uns mehr als jene „Tausend kleinen Lügen“ des deutschen Titels, den Sky Atlantic ab Montag zeigt.
Nachdem die fünf Frauen im Cliffhanger der ersten Staffel ein Schweigegelübde abgelegt haben, den Mord an Celestes gewalttätigen Mann Perry als Unfall darzustellen, drehen sich die sieben neuen Episoden um den Versuch, mit der gemeinsamen Verantwortung umzugehen. Das allerdings erweist sich nicht nur für die Täterin Bonnie als illusorisch, die an ihrer Schuld zügig zu zerbrechen droht.
Mit der anfänglichen Einschulung ihrer Kids in die zweite Klasse schlittern die sisters in crime von Gewissenbissen geplagt mit jeder Minute tiefer in ein Geflecht aus Verdrängung, Lüge, Selbstbetrug. Und das wird durch Celestes Schwiegermutter nicht lockerer.
Zerplatzte Träume von Harmonie, Souveränität, Geborgenheit
Weil sie den Tod ihres Sohnes nicht verwindet, zieht Mary-Louise ins aufgewühlt beschauliche Monterey. Und wie Meryl Streep der trotzigen Verzweiflung dieses waidwunden Muttertiers dort gleichsam Würde und Wut verleiht, wie ihre Trauer mal in aufopferndem Babysitting, mal in selbstgerechtem Zynismus mündet, wie sie in den Wunden anderer wühlt und sich dabei nur selber verletzt – das ist tatsächlich jenes neue Kino-Fernsehen, von dem angesichts der Videoportale dahinter alle so schwärmen.
Echt beispiellos wird die Anschlusserzählung des gefeierten Seriendebüts aber erst unter dem dramaturgischen Überbau. Eine Normalität wird simuliert, die auch ohne begleitenden Mordfall eher ein permanenter Ausnahmezustand ist. Die gut situierte, bis auf Jane gar ziemlich wohlhabende Welt vermeintlich hyperfürsorglicher Helikopter-Moms erweist sich ja besonders zwischen den Haupthandlungssträngen als Wolkenkuckucksheim zerplatzter Träume von Harmonie, Souveränität, Geborgenheit.
Und das hat Drehbuchautor David E. Kelley mithilfe der australischen Bestsellerautorin Liane Moriarty, wie schon in der ersten Staffel, mit lustvollem Gespür für die Abgründe unter den Oberflächen erdacht.
Keine Liebesbeziehung wirkt wirklich von Herzen, kein Streit jemals zielführend, jede Begegnung trägt die Sprachlosigkeit der nächsten schon in sich, selten gibt es nur annähernd so etwas wie Aufrichtigkeit im Umgang. Wenn Madeline ihre klimawandelbewegte Tochter aufs College zwingen will, kompensiert sie damit nur das eigene Bildungsdefizit. Und wenn Renatas Grundschulkind unterm Leitungsdruck zusammenbricht, macht ihre Mutter Ärzte, Mobbing, Lehrer, aber nie sich selber verantwortlich.
Dieser kommunikativen Katastrophe zuzusehen bereitet manchmal fast körperliches Unbehagen. Zum Glück schafft es Regisseurin Andrea Arnold wie schon ihr Vorgänger Jean-Marc Vallée, gleichermaßen Nähe und Distanz zu schaffen. Immerhin streben ja auch die „Modest Five“, wie das materiell begüterte, menschliche zerrüttete Quintett in der Nachbarschaft heißt, durchaus nach Bodenhaftung – nur eben, ohne sich die Highheels dabei dreckig zu machen. Dafür müssten sie mal aus ihren Familientrucks steigen, in denen sich die fünf Frauen tagein, tagaus vor der Realität verschanzen. Auf einer nebligen Hochstraße ins Durcheinander einer polarisierten Zivilgesellschaft der Generation Trump.
„Big Little Lies“, die erste von sieben neue Folgen ab Montag auf Sky
Jan Freitag
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