Tatort aus Kiel: Breaking Borowski
Die Polizeihelden des Nordens kämpfen im Kieler „Tatort“ gegen die Macht der Designerdroge Chrystal Meth.
Heavy Metal ist vor Jahren nach Schleswig-Holstein gekommen, tausende Fans feiern jeden Sommer den kultigen Lärm im Dorf Wacken. Wenn der Kieler Kommissar Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Brandt (Sibel Kekilli) in das fiktive Dorf Mundsforde gerufen werden, um sich mit einem abgeschnittenen Kopf in einem Moor-Gewässer zu beschäftigen, werden sie erschreckend entdecken, dass das Land zwischen den Meeren nicht nur mitten im Frohsinn der modernen Welt liegt, sondern auch in deren Wahnsinn. Nach Heavy Metal betritt Chrystal Meth, die tückische Droge, die das das Gehirn zerstört und anfängliche Ausgelassenheit in der Sucht enden lässt, das Land hinterm Deich.
Der Regisseur Christian Schwochow („Der Turm“, „Bornholmer Straße“) und Autor Rolf Basedow („Im Angesicht des Verbrechens“, „Operation Zucker“) wollten „keinen gut gemeinten, vor Relevanz strotzenden Krimi machen, sondern einen atemberaubenden Horrortrip erzählen“. Gut so.
Anders als kampfentschlossen und nüchtern geht es auch nicht, denn das gläserne Gift aus zerbrochenen Kristallplatten, die im Urzustand an eine Miniatur des Caspar-David-Friedrich-Eisschollenberg-Gemäldes „Gescheiterte Hoffnung“ erinnern, umhüllt keine beschönigende Lifestyle-Mode, kein pseudoreligiöses Schwärmertum wie bei Heroin und LSD, kein schnupfender Snobismus der Supererfolgreichen wie bei Koks.
Das schreckliche kristallene Scherbengericht lauert dagegen jenseits vom Kultigen, es vergiftet alle, die Dörfler wie die Städter, die Jungen wie die Alten. Die Ehrlichen werden – ohne es wirklich zu begreifen – Lügner, die Liebenden liebesvergessen, die Verlässlichen unzuverlässig. Die Fahndung nach Chrystal Meth führt in eine Lügenwelt, eigentlich nicht das Fachgebiet des kühl-sachlichen Kieler Polizei-Duos.
Und die Saatkrähe krächzt dazu
Der Auftakt auf dem Trip ins Bodenlose wirkt locker. „Wie macht die Saatkrähe in der Balz?“, fragt Borowski seine Kollegin im Auto und fängt sogleich an, Krächzlaute aus den gefletschten Zähnen zu pressen. Brandt lacht. „Und wie machen Sie in der Balz?“, fragt Borowski mit kollegialer Anzüglichkeit. Brandt-Darstellerin Kekilli zeigt ein noch schöneres Lachen.
Das Flachsen aber vergeht schnell, die Vogelstimmen, imitiert oder echt, aber bleiben unheimliche Begleitmusik den ganzen Film über – eine diskrete und höhnische Metapher für all den Wahnsinn und Realitätsverlust, den die moderne Droge auslöst.
Die schlechten Zähne des abgeschnittenen Kopfs, die absonderlichen Verhaltensweisen der Dörfler von Mundsforde und schließlich die sich auf ein Fahndungsfoto hin meldende Zeugin Rita (Elisa Schott) führen Borowski und Brandt zur Gewissheit, dass Chrystal Meth die Quelle allen Übels ist.
Mit einer flüssigen und gut verstehbaren Mischung aus Rückblenden und Verhörszenen blättern Schwochow und Basedow die traurige Geschichte auf: Wie ein ganzes Dorf drogenabhängig wird. Vor allem: Wie die Sucht die Liebe zwischen Rita und dem ermordeten Mike (Joel Basman) aufgefressen und in eine Junkie-Hölle verwandelt hat.
Rita – therapieerfahren, aber nicht von der Drogenfaszination geheilt – schildert ihre Verstrickung mit mädchenhafter Offenheit. Borowski, ein Single und Rabenvater gegenüber seiner eigenen, getrennt lebenden Tochter, will Ritas Erzählungen letztendlich glauben. Schlechtes Gewissen macht einfühlsam. Kollegin Brandt dagegen teilt Borowskis nachsichtige Vaterallüren nicht. Zu Recht, wie sich zeigen wird.
Aber auch Brandt lässt sich von einer Zeugin täuschen. Kurz nach deren Falschaussage hört man eine Krähe, einen Spottruf aus der entrealisierenden Welt der Droge. Die Opfer haben in diesem Film alle einen Vogel. „Wir wollen die Möwen füttern“, sagt ein Dealer, der Rita in sein Auto entführt, und er und die mitfahrenden bösen Gesellen ahmen das Geschrei der Seevögel nach und das Heulen von Wölfen, während sie die junge Frau vergewaltigen. Magie, diskret dosiert.
Walter White (Bryan Cranston), der Held aus Vince Gilligans Jahrhundertserie „Breaking Bad“, hat dagegen ein Feuerwerk voller Faszination für das Böse abgebrannt – Chrystal Meth vergiftete 62 Episoden lang die Seelen von Tätern und Opfern. Breaking Borowski unternimmt seine Höllenfahrt im bescheidenen Rahmen von 90 „Tatort“-Minuten. Die Macher wissen von der übermächtigen Krimikonkurrenz. „Wie sind hier nicht in Mexiko“, heißt es einmal, aber die tückische Allerweltsdroge gibt es auch unterm Himmel über Kiel.
Mit dem Prunk des Bösen können und wollen Schwochow und Basedow nicht mithalten. Die Bilder und Metaphern passen sich der Provinz an, ohne je provinziell zu wirken. Als das Schlimmste identifiziert dieser „Tatort“ die Entmündigung der Opfer durch sich selbst. Sie wissen nicht mehr, was sie tun und verlieren die Kontrolle über Drogendichtung und Wahrheit. Da liegt auch die Lösung des Falls.
Zunehmend entsetzt sich Borowski während der Ermittlungen über seine herbeiprojizierte Ersatztochter Rita, der immer weniger zu trauen ist. Elisa Schlott spielt die Rolle der schuldig Unschuldigen aus der Provinz ohne Tricks und doppelten Boden, so hoffnungslos verhext, als wäre die Lüge ihre zweite Natur geworden. Großartig.
Mit der Drogen-Lügerei kommt das Rettende auch. Wir hören, wie Borowski nach langer Zeit des Schweigens seine leibhaftige Tochter anruft. Eine Untergangsorgie wie in „Breaking Bad“ fällt aus.
„Tatort: Der Himmel über Kiel“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15
Nikolaus von Festenberg