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Family Business. Regisseur Christian Schwochow (Mitte) mit seinen Eltern bei den Dreharbeiten zur „Bornhomer Straße“. Heide und Rainer Schwochow haben das Drehbuch zum ARD-Film am kommenden Mittwoch um 20 Uhr 15 geschrieben.
© MDR/Nik Konietzny

ARD-Film "Bornholmer Straße": "Ein Abend der puren Verzweiflung"

ARD-Film „Bornholmer Straße“: Im Interview spricht Regisseur Christian Schwochow über den Mut von Grenzer Harald Jäger und die Absurdität der DDR. Und beantwortet die Frage: Was ist eigentlich ein "Ostler"?

Herr Schwochow, ist die „Bornholmer Straße“ reine Fiktion oder erzählen Sie eine wahre Geschichte?

Beides. Die Geschichte meines Harald Schäfer alias Jäger und die des echten Harald Jäger sind schon sehr nah beieinander. Vieles, was im Film als absurd, überhöht oder grotesk erscheinen mag, hat so oder so ähnlich am 9. November 1989 stattgefunden. Wir erzählen die Geschichte eine Mannes, der die Grenze mit aufgebaut und an sie geglaubt hat, eines Mannes, der am 9. November alleingelassen wird. Eines Mannes, der mit einem Schlag den Glauben an alles verliert, woran er sein Leben lang geglaubt hat. Das ist sehr nah an der Realität.

Haben Sie den realen Harald Jäger getroffen?

Ja, oft. Wir duzen uns inzwischen. Charly Hübner, Harald Jäger und ich waren zum Beispiel einen Tag zusammen unterwegs. Er war auch in unserem Produktionsbüro in Potsdam und hat allen, die es wissen mussten, erzählt, wie es wirklich war.

Was hat er Ihnen denn über den 9. November erzählt, wie es also wirklich war?

Dass er zum Beispiel an diesem Abend sehr wenig zu lachen hatte. Dass er verzweifelt war. Das hat er mit der Figur Harald Schäfer, gespielt von Charly Hübner, gemein. Harald Schäfer lacht im Film kein einziges Mal. Für den echten Harald war es ein Abend der puren Verzweiflung. Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen. Er war in einer unfassbar großen Not. Er hat ganz einfach niemanden erreicht, der ihm helfen wollte. Und vor ihm standen 20 000 Menschen, die in den Westen wollten. Es hätte ein Blutbad geben können. Es hätte eine Katastrophe werden können, hätte Harald Jäger nicht gehandelt, wie er gehandelt hat.

Eine sehr ungewöhnliche Offenheit für einen Ex-Stasi-Oberst. Die meisten seiner ehemaligen Kollegen sind ja eher zurückhaltend.

Harald Jäger hat sich sehr mit seiner Geschichte auseinandergesetzt. Er würde seine Geschichte nie heldenhafter machen, als sie tatsächlich war.

Hätten Sie den Film auch gemacht, wenn der echte Harald Jäger kein positiver Held geworden wäre?

Ein Held für einen Augenblick! Aber nein, ich glaube nicht. Wenn der Ausgang kein guter gewesen wäre, hätte ich keinen Film machen können, der eine Geschichte mit Humor erzählt.

Wie gefällt Harald Jäger denn Ihr Film?

Ich glaube, er ist zufrieden. Er war an zwei Tagen beim Dreh dabei. An einem Tag haben wir mit 500 Komparsen gedreht. Harald Jäger stand am Rande, und ich hörte ihn immer nur sagen: Ja, so war’s, ja, so war’s.

Das Drehbuch stammt von Ihren Eltern. Waren Sie von Anfang an als Regisseur eingeplant?

Überhaupt nicht. Ich wollte zuerst auch gar nicht. Ich dachte, „Mauerfall“, ja, kann man machen, muss man aber nicht. Aber nachdem ich ein erstes Treatment gelesen hatte, war mir klar: Das muss ich machen, das darf kein anderer drehen.

Was hat Sie so fasziniert?

Die Ernsthaftigkeit der Situation, die welthistorische Bedeutung des Ereignisses, gleichzeitig diese Vielzahl an kleinen Geschichten, die die Ambivalenz der Bürger der DDR zu ihrem Land spiegeln, die große Dramatik und die unglaubliche Komik. Das alles war in diesem Treatment angelegt. Ich hatte bis dahin nichts Vergleichbares in den Händen gehalten. Schon beim ersten Lesen war ich bewegt und amüsiert, es hat mich mitgenommen. Der 9. November ist ja auch in mir sehr präsent geblieben. Die ganze Erinnerung, an alles, was damals war, kam wieder hoch.

Wie historisch genau ist Ihr Film?

Mir geht es nicht um Geschichtsfernsehen, auch wenn natürlich jedes Detail möglichst korrekt sein sollte. Mir geht es um die emotionale Wahrheit, wenn Sie so wollen die innere Wahrheit, die an diesem Tag zum Ausdruck kam. Wenn ich Geschichtsfernsehen hätte machen wollen, also eines dieser quasi dokumentarischen Dramen, dann hätte ich einen humorfreien Film machen müssen.

Sind wir jetzt endlich so weit, dass wir über den 9. November lachen dürfen?

Vielleicht ist die Zeit einfach reif. Diese Grenze, dieses Land DDR hatte doch ganz viel Absurdes. Und dann diese Ambivalenz. Menschen wie meine Eltern wollten doch in erster Linie kein Land wiedervereinigen, sie wollten ihr Land, ihr eigenes Land, die DDR, reformieren. Die meisten wollten „nur mal gucken“. Dieser Teil der „Bornholmer Straße“ ist für mich genauso wichtig wie die Groteske, die der Film auch ist.

Sie haben bis zu Ihrem elften Lebensjahr im Prenzlauer Berg gewohnt. Mit zehn Jahren haben Sie sich bewusst dafür entschieden, in der Gethsemanekirche getauft zu werden. Mit zehn Jahren!

Bei uns zu Hause wurde über alles offen geredet. Über das Land, über Träume, über das Leben. So gesehen bin ich wahrscheinlich schon mit acht oder neun Jahren politisiert worden. Mein Vater wurde, als er 18 war, wegen Republikflucht verurteilt. Natürlich wurde auch darüber gesprochen und natürlich willst du als Kind verstehen. Mein Vater ist Christ, hat mich aber bewusst nicht taufen lassen, weil er mir die Entscheidung überlassen wollte. Ich habe mich mit zehn der Gemeinde so zugehörig gefühlt, dass ich mich habe taufen lassen.

Eine DDR, von der viele im Westen auch heute nicht glauben wollen, dass es sie gab. Also mit gewissen Möglichkeiten.

Ich habe in meiner Ostberliner Schule mit den Lehrern diskutiert. Später, in Hannover, wo ich ab 1989 gelebt habe, wurden meine Eltern in die Schule zitiert, weil ich aus Anlass des ersten Golfkrieges ein Plakat mit der Aufschrift „Kein Blut für Öl“ gemalt hatte: Ich würde kein kindgerechtes Verhalten zeigen, was denn mit mir los sei? In der DDR sind meine Eltern nicht ein einziges Mal in die Schule zitiert worden. Manches ist eben vielleicht doch ein bisschen komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint.

Wie würden Sie sich bezeichnen, als Ostdeutschen?

Ich bin Ostler. Aber das war ich immer. Ossi bin ich jedenfalls nicht, das ist ein Begriff, der aus dem Westen kommt.

Was ist ein Ostler? Wie ist ein Ostler?

Es gibt bestimmte Gemeinsamkeiten, die Ostler verbinden. Damit meine ich nicht Charaktereigenschaften, sondern Kindheitserfahrungen oder Bilder, die verschwunden sind.

Sie arbeiten sehr eng mit Ihrer Mutter zusammen. Wie schwierig ist das?

Überhaupt nicht. Wir arbeiten seit acht Jahren zusammen. Alleine bin ich nicht gut darin, Drehbücher zu schreiben, das macht mich fertig. Mit meiner Mutter zusammen geht das sehr gut. Auch deshalb, weil wir eine sehr gesunde Streitkultur ohne störende Eitelkeiten haben.

In den letzten Jahren haben Sie einen Erfolg nach dem anderen hingelegt, so 2012 mit der Uwe-Tellkamp-Verfilmung „Der Turm“. Sie scheinen nur zu arbeiten. Sind Sie ein Getriebener?

Ich arbeite viel und gerne. Aber es stimmt schon, zuletzt ist es ein bisschen zu viel geworden und beginnt, ungesunde Züge anzunehmen. Ich merke, ich muss auf mich aufpassen. Meine Agentin hat mir vorhin ein Paket mit Vitaminen zugesteckt – sehr lieb von ihr. Das Dumme ist, dass man nie weiß, wann und ob ein Projekt etwas wird und was danach kommt. Ich hatte nicht immer so viel Erfolg wie jetzt.

Wie wichtig ist Ihnen der Erfolg?

Ich will kein Mitleid, aber weil ich an fast allen Filmhochschulen, an denen ich mich beworben hatte, abgelehnt wurde, kenne ich das Gefühl, für etwas hart und ausdauernd arbeiten zu müssen. Ein erfolgreicher Film ist nichts weiter als das Ticket für den nächsten Film. Das Beste, was einem als Regisseur passieren kann, ist, machen zu können, was man machen will. Den nächsten Film zum Beispiel.

Sie haben einen Kieler „Tatort“ abgedreht, der im kommenden Januar ausgestrahlt wird. Warum „Tatort“?

Weil sich der „Tatort“ in den letzten Jahren doch sehr für Experimente geöffnet hat, nehmen Sie als Beispiel den „Tatort“ mit Ulrich Tukur. Der NDR hat mich gefragt, ich hab’s gedreht und bin total glücklich, dass ich es gemacht habe.

Wie viele Tote?

Einer. Spießig, oder?

Was ist schöner, 200 000 Kinobesucher bei „Novemberkind“ oder zehn Millionen im Januar bei Ihrem „Tatort“?

Die 200 000 würden mich glücklicher machen. Weil es viel schwieriger ist, Menschen ins Kino zu locken als vor dem Fernseher zu versammeln.

Zurzeit drehen Sie in Irland eine Ken-Follet-Verfilmung. Und dann?

Irland ist unglaublich, es ist einfach toll da zu drehen. Ich wohne seit August in Irland – und will eigentlich gar nicht mehr weg. Was ich danach mache? Den ersten Teil eines Dreiteilers über den NSU. Und dann einen Kinofilm über die Malerin Paula Modersohn-Becker.

Gibt es für Sie so etwas wie einen Ort, an den Sie immer wieder gerne zurückkehren? So etwas wie Heimat?

Berlin, vielleicht. Ich bin jetzt aus Prenzlauer Berg nach Friedrichshain gezogen. Und find’s dort ganz wunderbar.

Mutig, mutig.

Ich bin im Prenzlauer Berg groß geworden und kenne ihn als einen sehr vitalen Bezirk. Jetzt denke ich oft: Heute sehen die Menschen hier alle gleich aus und das Leben wirkt wie stehen geblieben. In Friedrichshain ist das anders. Da fühle ich mich, als wäre ich zehn Jahre jünger.

Thomas Eckert, Joachim Huber

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