zum Hauptinhalt
Von wegen gelobtes Land.  Mitra Kostic (Edita Malovcic) und ihr Bruder Milan (Sascha Alexander Geršak, r.) haben Kommissar Lannert (Richy Müller) in ihrer Gewalt.
© SWR/Johannes Krieg

"Tatort" aus Stuttgart: Böse Schlepper, gute Schlepper

„23 Menschen sind krepiert, während wir 20 Meter entfernt waren“. Der Stuttgarter „Tatort“ zählt tote Flüchtlinge im Lkw und stellt eine gewagte Frage zum Geschäft der Schlepper.

Horror-Fund auf der Autobahn A4 in Österreich: Im August vergangenen Jahres entdeckte die Polizei mehr als 70 tote Flüchtlinge in einem Lastwagen auf der Pannenspur bei Neusiedl am See. Das ist die Realität. So hat es sich ereignet. Der „Tatort“ am Sonntag startet so: Drogenfahndung an einer Autobahn-Raststelle nahe Stuttgart. Die Polizei wartet auf eine Übergabe. Ein Lkw wird inspiziert. Als niemand kommt, wird der Lkw geöffnet. Zu spät. Die Ermittler finden dort 23 tote Flüchtlinge, in Bretterverschlägen erstickt. Sie hätten vielleicht noch gerettet werden können, wenn die Polizei eher eingeschritten wäre. Selten ist einem TV-Krimi-Autor die Wirklichkeit so nahegegangen, so nahegekommen wie diesmal Christian Jeltsch.

Die Idee zu diesem „Tatort“-Buch hatte Jeltsch erstaunlicherweise schon vor über zwei Jahren. Zu dieser Zeit war das Thema Flüchtlinge bei ihm und in der Redaktion nur präsent, wenn im Mittelmeer wieder einmal Menschen ertrunken waren, sagt Christian Jeltsch. Bei der Arbeit am Buch hätte sich schon früh die Einstiegsszene mit dem Lkw ergeben, da diese Art der Menschentransporte zum Alltag der Schleuser gehört. Mit dem Vorfall in Österreich sei die Fiktion dann auf so schreckliche Weise von der Realität bestätigt wurden.

Man mag sich vorstellen, mit welchem Gefühl die Schauspieler Richy Müller alias Kommissar Thorsten Lannert und Felix Klare alias Kommissar Sebastian Bootz im September diese Szenen gedreht haben, bei denen sie auf der Autobahnraststätte ratlos vor dem Lkw stehen – mit den Bildern aus Österreich im Kopf. Ein Schock? Man meint es, den beiden im Film anzusehen.

Deswegen muss das kein besserer „Tatort“ als sonst sein, ist es aber doch. Über weite Strecken zumindest. Der Polizeieinsatz an der Autobahn geht furchtbar schief. Wie Jeltsch herausarbeitet, in welchem Gewissenskonflikt sich die beiden Kommissare, vor allem der von Schuldgefühlen getriebene Lannert, befinden, wie der nächste Konflikt heraufbeschworen und dabei riskant die gefährliche Frage gestreift wird, ob das miese Geschäft der Schlepper nicht doch auch ein moralisches sei; das ist schon starkes Fernsehen. Das übrigens komplett auf privates Ermittler-Bohey verzichtet, wie das im „Tatort“ gang und gäbe geworden ist.

„23 Menschen sind krepiert, während wir 20 Meter entfernt waren“, ringt Ermittler Thorsten Lannert um Fassung. Das sagt alles. Die Schleuser seien weltweit vernetzt „wie Reiseveranstalter“, erklärt Staatsanwältin Álvarez (Carolina Vera). „Die haben überall Büros, wo sie Schleusungen nach Europa anbieten, Nordafrika, Syrien, Istanbul.“ Nicht nur die Handlanger vor Ort wollen die Ermittler zur Strecke bringen, sondern auch die Hintermänner, „die Bosse der Bosse“.

Der Oberboss wird in einer Szene etwas schablonenhaft in die Handlung eingeführt. Auch an anderen Stellen schwächelt der Krimi im Detail, wohl im Bemühen, das große Ganze, die Unmenschlichkeit der Schlepper- und Flüchtlingsproblematik nicht aus den Augen zu verlieren.

Schüsse in John-Wayne-Manier

Die Afrikanerin Lela (Florence Kasumba) zum Beispiel, die auf die Ankunft ihrer Familie in einem weiteren Lkw mit 40 Flüchtlingen wartet und in der direkten Konfrontation zwischen Ermittlern und Schleusern etwas deplatziert wirkt.

Oder die Schüsse, die Kommissar Bootz auf einen Elitekiller in John-Wayne-Manier abgibt. Oder die irreale Kulisse eines heruntergekommenen, dunklen Plattenbaus, wohin die Wege der Menschenschlepper führen, die Regisseur Züli Aladag („Wut“) so durchgehend böse-dräuend in Braun taucht, als ob es kein Morgen gebe. Dorthin verschlägt es Lannert, entschlossen, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, entschlossen auch, zu sühnen, etwas wiedergutzumachen, was nicht gutzumachen ist.

Ein politischer Krimi, mit einer brisanten Grundfrage, für die Kommissare, die schon öfters Fragen des Vertrauens und Gewissens zu verhandeln hatten. Soll man seinem Gewissen folgen und Leben retten oder einen Verbrecher stoppen? „Wenn wir die Menschen nicht nach Europa holen, kommen sie auf eigene Faust und sterben in der Wüste“, sagt der Schlepper Kostic (Sascha Alexander Geršak). Nicht nur dieser Satz lässt einen ratlos zurück.

„Tatort – Im gelobten Land“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

Zur Startseite