Tatort Stuttgart: Machenschaften, Korruption, Geldgier, Wutbürger
Diesem Stuttgarter Tatort fehlt es an nichts: Es geht um Geld, Visionen und Macht. "Der Inder“ kreist um Stuttgart 21 und für Bildungsbeflissene ist auch etwas dabei.
Das wird die Bildungsbeflissenen, so es sie unter den „Tatort“-Zuschauern überhaupt gibt, mächtig freuen. Kaum ist der Krimi gestartet, wird eine Texttafel eingeblendet: „Und jeden Tag muss er sehen, wie dieser Preis neu gefordert wird. Immer wieder – immer, immer wieder!“ Stammt von dem großen Dramatiker Henrik Ibsen, aus dem Stück „Baumeister Solneß“. Allein, dass dieser Krimi im Bühnenmilieu spielen könnte, diese Hoffnung geht fehl. Dieser „Tatort“ heißt „Der Inder“, Theater, und zwar sehr gutes, wird auch gespielt, aber dazu später.
Der Inder heißt Mantal, furchtbar reich und ein Investor obendrauf. Tatsächlich war er ein Hochstapler, dessen ehrgeiziges Wohnprojekt auf dem Gelände von Stuttgart 21 entstehen sollte. Als die Luftnummer ruchbar wurde, verschwand der angebliche Investor auf Nimmerwiedersehen, sein Partner Busso von Mayer (Thomas Thieme) wurde verurteilt. Der „Tatort“ von Niki Stein (Buch und Stein) arrondiert um „Bombaygate“ herum einen harten, konkreten Fall. Der frühere Staatssekretär Jürgen Dillinger (Robert Schupp) wird von einem Auftragskiller erschossen. Kurz zuvor hatte er in einem Untersuchungsausschuss des Landtages ausgesagt, der einem großen Bauskandal im Umfeld von Stuttgart 21 nachgeht. Es fehlt nichts: politische Machenschaften, Korruption, Bestechung, Geldgier, Wutbürger. Spuren führen zum einsitzenden Busso von Mayer, der sich als Bauernopfer sieht und den Verantwortlichen Grässliches an den Hals wünscht. Im Krimi-Personal ein Solitär, von Autor Stein mit großer Sorgfalt und großer Tiefe formuliert. Dieser Mayer wollte bauen, gestalten, im „Drecksloch Stuttgart“ die Vision einer lebenswerten Stadt verwirklichen. Eine Ibsen-Figur, zweifellos, von Thomas Thieme in einer so überragenden wie fein ausnuancierten Weise ausgespielt. Sein Charakter hält mit seinem Verstand nicht Schritt, aber sei’s drum, hier sucht ein enttäuschter Künstler-Mensch seinen Weg ins Licht (oder ins Dunkel?).
Den abgewählten Ministerpräsidenten interessierte nur die Macht
Autor Stein erlaubt sich die Extravaganz, den Typus in einer zweiten Figur zu variieren, in Robert Heinerle (Ulrich Gebauer), dem abgewählten Ministerpräsidenten. Auch dieser hat verloren, was von Mayer verloren hat: die Macht zur Gestaltung. Korrupt, geldgierig, das sind andere und nicht wenige, diese beiden Männer wollten Größeres, vielleicht Unmögliches. Gefürchtete „Häuslebauer“ sind sie nicht, sie wollen Kapitales. Das muss keine größere Sympathie wecken, gleichwohl „höchstes“ Interesse.
Was nebenbei kreucht und fleucht, gehört wahrscheinlich zu einem Stuttgart-21-Krimi. Da ist der Naturschützer Günter Michael (Thomas Balou Martin), der wahnhaft die Thermalwasserströme in Gefahr sieht, die Ausschussvorsitzende Petra Keller (Katja Bürkle), die gegen Korruption kämpft, da ist die Landesregierung, die zwischen den Stimmungen ihrer Wähler und den Sachzwängen der Politik gefangen ist. Interessante Figuren, für das zuweilen überkomplexe Schachspiel dieses Krimis und das Allerlei an Verdächtigen aber nicht durchweg gut gewählt und eingängig schraffiert. Beschädigt den sehr positiven Gesamteindruck nur in Nuancen, „Der Inder“ verbindet wirkliche Spannungsdramaturgie und wirkliche Menschenzeichnung.
Es zahlt sich für den Stuttgarter „Tatort“ aus, dass die Kommissare fallorientiert agieren und nicht wiederholt in privatistische Seancen abgleiten. Fahnder ohne miese Kindheit, Tourettesyndrom und Einsamkeitsanfälle? Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) agieren behend durchs Puzzle, und es ist wahrlich kein Fehler, dass Lannert, sprich Richy Müller, in den Gefängnisszenen Bodo von Mayer alias Thomas Thieme gegenübersitzt. Da braucht es schauspielerisches Vermögen, um nicht klein und verdruckst rüberzukommen. Richy Müller macht das mehr im kleinen Karo, zugleich im feinen Muster.
Es ist ein dichter Krimi, fokussiert im Kamerabild (Stefan Sommer), ein vielköpfiger „Tatort“ dazu, es gilt die dringende Aufforderung zu vermehrter Zuschau-Konzentration. Ein paar Szenen sind zu viel, möglich, dass bei einigen im Publikum statt einer Multiperspektive nur ein Wuselbild entsteht. Da hätte Regisseur Stein oder wenigstens die SWR-Redaktion dem Autor Stein zuweilen in die Parade fahren müssen.
„Stuttgart 21“, das Großbauprojekt zwischen Borkenkäfer und vom Erstickungstod bedrohter Stadt, wird mit verhandelt. Nicht großsprecherisch mit These, Antithese und Synthese, mehr als funktionale Gemengelage, die Interessen und Enttäuschungen, Profit und Verlust, Ängste und Hoffnungen generiert – und Menschen wie den Politiker Heinerle und den Stadtentwickler von Mayer. Du willst hochfliegen – du zahlst einen hohen Preis.
„Tatort: Der Inder“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15
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